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Protokoll 251. Verhandlungstag – 16. Dezember 2015

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Zeug_innen:

  • Jeanette Re. (BKA, Ermittlungen zu Bahncards auf die Namen André und Susann Eminger)
  • Ricarda We. (Kriminalbeamtin, Ermittlungen zu Bahncards auf die Namen André und Susann Eminger)
  • Frank Le. (Brandermittler, Brand Frühlingsstraße 26, asservierte Zigarettenkippen)
  • Christian Bö. (BKA, Ausspähnotizen zu München und Zwickau)

An diesem Prozesstag sagen zunächst Ermittler_innen zu Ermittlungsdetails aus. Dabei geht es um Bahncards, Zigarettenstummel und Ausspähnotizen. Danach verliest der Angeklagte Ralf Wohlleben seine Aussage.

Im Publikum sitzen neun Personen aus der Neonazi-Szene, darunter Thomas Gerlach [zuletzt 151. Verhandlungstag], Steffen Richter, Karlheinz Statzberger, Petra Ka., Maximilian Le., Nico Me. und Marco Zi. Unten im Saal sitzt Jacqueline Wohlleben. Um 09:45 Uhr betreten Zschäpe, Wohlleben und Schultze den Saal. Wohlleben nimmt neben seiner Frau Jacqueline Platz, zuvor grüßt er nach oben in Richtung der Gruppe von Neonazis.

Der Verhandlungstag beginnt um 09:48 Uhr. Erste Zeugin ist die BKA-Beamtin Jeanette Re. Götzl sagt, es gehe um Ermittlungen zu Bahncards betreffend Susann und André Eminger, hier um Ermittlungen bei der Commerzbank AG. Re. berichtet, dass zunächst das LKA Baden-Württemberg das Auskunftsersuchen gestellt habe, dann habe das BKA das Verfahren übernommen und die Commerzbank AG habe es direkt an das BKA beantwortet. Die Bank habe Kontoführungsdaten und Kopien der Legitimationspapiere übersandt. Es sei mitgeteilt worden, dass für André Eminger unter zwei Kundenstammnummern Konten geführt würden. Bei einem Kontokorrentkonto sei eine Frau Waltraud Sch. verfügungsberechtigt gewesen. Seit dem 07.06.2010 gebe es außerdem ein Kontokorrentkonto mit der Unterkontonummer 00. Es sei eine Gewerbeanmeldung bei der Eröffnung vorgelegt worden. Eminger sei seit dem 01.04.2010 selbstständig als Bauhelfer tätig gewesen. Die Eingänge auf dem Konto würden das auch zeigen, die Überweisungsgutschriften würden auf eine geschäftsmäßige Tätigkeit Emingers hinweisen, teilweise habe es auch Zahlungen der Firma D. in Zwickau gegeben. Bei den Ausgängen habe es Überweisungsausgänge gegeben auf ein Konto der Kreissparkasse Aue-Schwarzenberg, die als Privatentnahmen deklariert seien. Ansonsten gebe es Zahlungsvorgänge für Miete, sonstige Rechnungen, Telekommunikationszahlungen Zahlungskarteneinsätze u.a. im Einzelhandel, Überweisungen nach Bestellung im Einzelhandel.

Außerdem gebe es zwei Überweisungen an die Deutsche Bahn. Bei der einen habe im Buchungstext die Bahncardnummer der auf André Eminger lautenden Karte gestanden. Diese Karte sei im Wohnmobil gefunden worden. Zu der Bahncard lautend auf Susann Eminger habe es schon Ermittlungen des LKA Baden-Württemberg gegeben, es liege ein Vermerk vom 09.11.2011 vor. Dann berichtet Re. kurz zu den Konten auf der anderen Stammnummer, dass Eminger dort ein Depot eröffnet habe. Es seien 4.000 Euro in bar eingezahlt worden, dann seien Wertpapiere gekauft und diese seien in Tranchen von 1.000 Euro verkauft worden. Das sei dann mit kleinem Gewinn wieder auf das Kontokorrentkonto gutgeschrieben worden. Im Anschluss sei es jeweils zu Bargeldauszahlungen gekommen. [phon.] Nach der letzten Auszahlung hätten sich dann noch 38 Euro [phon.] auf dem Kontokorrent befunden, seitdem sei es umsatzlos.

NK-Vertreter RA Behnke fragt, ob es Untervollmachten auf dem Konto gegeben habe. Re. sagt, auf der ersten Stammnummer habe es für alle bestehenden und zukünftigen Konten eine Verfügungsberechtigung für Frau Waltraud Sch. gegeben, für die andere Nummer habe es keine Verfügungsberechtigung gegeben. Auf Frage, auf welche Weise die Überweisungen für die Bahncards erfolgt sind, sagt Re., dass dazu zu dem Zeitpunkt keine Einzelbelege vorgelegen hätten. Auf Frage, ob sie habe feststellen können, ob Frau Sch. Überweisungen oder Abhebungen getätigt habe von dem Konto, sagt Re., das Konto habe ausschließlich Bargeldzahlungen [phon.] gezeigt. Weil zum Zeitpunkt des Schreibens des Vermerks noch keine Einzelbelege vorgelegen hätten, sei es nicht klar, ob es der Inhaber oder die Verfügungsberechtigte gewesen sei. Um 10:02 Uhr wird die Zeugin entlassen.

Es folgt die Zeugin Ricarda We. Auch bei dieser Zeugin geht es um die Bahncards auf die Namen Susann und André Eminger. We. sagt, sie sei zu dem Zeitpunkt, als sie den Vermerk geschrieben habe, noch beim BKA gewesen und sei mit Ermittlungen zu Beantragung und Bezahlung der beiden Bahncards beauftragt gewesen. Dazu habe sie Kontakt aufgenommen mit der Konzernsicherheit der DB, diese habe die entsprechenden Unterlagen zu den Bahncards übersandt. Der Antrag zur Erstellung einer Partner-Bahncard sei am 08.05.2009 [phon.] gestellt worden auf den Namen “Susann Eminger” mit einem Bild von Beate Zschäpe und auf den Namen “André Eminger” mit einem Bild von Uwe Böhnhardt. Auf die Frage, ob dazu ein Ausweis vorgelegt werden müsse, habe, so We., die DB geantwortet, das sei grundsätzlich erforderlich, aber es würden keine Kopien angefertigt und es könne sein, dass ein Mitarbeiter im Reisezentrum nach eigenem Ermessen darauf verzichtet. Zunächst sei als Adresse die ehemalige Meldeadresse des Ehepaars Eminger in der Hans-Soph-Straße in Zwickau angegeben gewesen. Dann sei das Ehepaar im März 2011 in die Adam-Ries-Straße gezogen und die Kontaktanschrift sei bei der DB geändert worden.

Es habe zwei Folge-Bahncards gegeben im Juni 2010 und im Juni 2011 und diese seien auch verschickt worden, laut Unterlagen an die jeweiligen Adressen. Die Bezahlung sei jeweils von Konten des André Eminger bei der Kreissparkasse Aue und später bei der Commerzbank Zwickau erfolgt. Götzl: “Zu dem Konto der Commerzbank Zwickau: Sind damals entsprechend Niederlegungen erfolgt über die Nummer?” We. sagt, dazu könne sie nichts sagen, weil das bei ihnen getrennt gewesen sei mit den Finanzermittlungen. Sie habe nur die Information bekommen, dass das Konto auf André Eminger gelautet habe. Vorhalt: Zahlungen für beide Vertragskonten 2011 bei Konto Commerzbank, Inhaber: André Eminger. We.: “Genau.” NK-Vertreter RA Behnke fragt, ob We. bei der Sparkasse Ermittlungen habe anstellen können, wer noch Zugang haben könnte zu dem Konto?” We.: “Ich selbst nicht.” Die Zeugin wird um 10:08 Uhr entlassen.

Danach wird der Brandermittler Frank Le. [zuletzt 241. Verhandlungstag]gehört. Götzl: “Es geht uns um eine unbekannte Person mit der Bezifferung 17. Mir geht es darum, was Sie dazu sagen können, inwiefern Sie dann als Spurenbeamter damit befasst waren, worum es sich handelt, welches Material, welches Asservat und wo es gegebenenfalls aufgefunden wurde.” Le. sagt, es handele sich um einen Müllbeutel, der von der Kriminaltechnik der PD Zwickau in den Keller des Hauses Frühlingsstraße 26 verbracht worden sei. Er habe einen Kriminaltechniker, Herrn Kr., beauftragt, die gesamte Durchsuchung der Türen, Fenster einschließlich Außengelände [phon.] zu tätigen. Vor dem Haus sei ein Müllbehälter vorgefunden worden, darin sei ein Müllbeutel vorhanden gewesen. Den hätten sie in den Keller des Hausgrundstücks 26 verbracht, dort sei der Inhalt ausgebreitet worden, um die darin befindlichen Zigaretten zu trocknen, weil die Asservate teilweise feucht gewesen seien. Es sei unmittelbar neben der Kreissäge im Keller auf dem Betonfußboden ausgebreitet, worden. Am 12.11.2011 [phon.] sei der Tatort durch das BKA übernommen worden, wo die Tatortgruppe diese Gegenstände übernommen habe, u.a. den Müllbeutel, mit der Maßgabe der Aufnahme der Gegenstände. Durch den Kriminaltechniker sei der Hinweis nicht weitergegeben worden, dass der eigentliche Fundort nicht im Keller, sondern im Müllbehälter vor dem Haus war. Es werden dann dazu Lichtbilder in Augenschein genommen. Le.: “Ich habe ja dem BKA eine Antwort geschrieben, zu dem Müllbeutel.” Götzl: “Vielleicht erläutern Sie es einfach.” Zum ersten gezeigten Bild sagt Le.: “Hier liegt der Müllbeutel.” Zum nächsten gezeigten Bild sagt er: “Das ist die Aufnahme am 05.11., da liegt der Müllbeutel noch nicht.” Sie hätten den am Abend dahin gelegt, so Le. [phon.] Le. wird um 10:17 Uhr entlassen. Es folgt eine Pause bis 10:46 Uhr.

Dann geht es mit dem Zeugen Christian Bö. weiter. Götzl sagt, es gehe um die Auswertung von Kartenmaterial, Bö. solle berichten, inwiefern er damit befasst gewesen sei, was ggf. die Auswertung ergeben habe. Bö. sagt, es handele sich um Kartenausschnitte, teilweise von Landkarten, und eine Adressliste mit 78 Adressen, händisch durchnummeriert von 1 bis 88, wobei 10 bis 19 fehlen würden. [phon.] Es gehe u.a. um München. Dabei handele es sich um Ausdrucke auf A4-Papier, also mglw. aus einem Kartenprogramm, mit handschriftlichen Vermerken. Es gebe einen Gesamtausschnitt von München und sechs einzelne Abschnitte, handschriftlich mit “S1” bis “S6” versehen, die dann einzeln ausgedruckt seien. Das korreliere mit der Adressliste. [phon.] Zu Zwickau in Sachsen gebe es einen Innenstadtabschnitt und einen nördlichen Abschnitt. Dort gebe es schwarze Markierungen an bestimmten Straßen: Kosmonautenstraße, Karl-Marx-Straße [phon.]. Die seien handschriftlich gefertigt mit Filzstift o.ä. Es seien keine Ausdrucke, sondern Landkarten, so Bö. Es gebe, glaube er, auch Brandspuren. Bei einem Asservat seien im südlichen Bereich kleine Bereiche mit “P” markiert und eingerahmt. Aufgabe der Auswertung sei gewesen, eine Inhaltsangabe zu fertigen und herauszufinden, ob die Adressen in der Liste mit den Adressen in den Karten [phon.] übereinstimmen und diese wiederum mit der Adressliste des NSU übereinstimmen.

Bei München seien alle in den Adresslisten vorhanden, so Bö., bei Zwickau nicht. Hinzufügen wolle er noch, dass bei der Liste zu München die Adressen in Computerschrift seien und handschriftlich nummeriert seien. Außerdem gebe es handschriftliche Notizen dazu, manchmal Haken, aber auch “guter Fluchtweg” oder “möglicherweise Hinterhof” [phon.]. Götzl fragt, ob zu Taten ein Bezug feststellbar gewesen sei. Bö.: “Ich kann dazu sagen, dass kein direkter Tatbezug festgestellt werden konnte.” Er gebe aber zu bedenken, dass es Taten sowohl in München als auch in Zwickau gegeben habe. Bei den Asservaten zu München habe zu keiner der Tatörtlichkeiten ein Bezug hergestellt werden können. Seines Wissen sei der Ausdruck im Juni 2005 erfolgt, was zum Mord an Boulgarides passen könne, aber es würden sich keine Adressen finden, die mit Tatörtlichkeiten übereinstimmen.

Es folgt die Inaugenscheinnahme von Fotos des stark angekokelten Asservates zu Zwickau. Zunächst wird das gesamte Asservat gezeigt, dann folgen Vergrößerungen, auf denen Bö. Markierungen zeigt. Bö. nennt die Kosmonautenstraße, die eingerahmt sei, den Bereich der Leipziger Straße, der Brückenstraße. Das sei alles mit dem gleichen Stift markiert worden. Dann sehe man auf dem nächsten Foto die Karl-Marx-Straße und nochmal den Bereich Kosmonautenstraße und am linken Rand die Breitscheid-Straße, großflächig, keine genaue Adresse, sondern ein größerer Bereich. Dann geht es um das nächste Asservat. Bö. sagt, es gehe um einen Teilausschnitt einer Straßenkarte, dort würden sich blaue Markierungen mit “P” finden. Es folgt die Inaugenscheinnahme von Fotos eines weiteren Asservates. Bö. sagt, das fehle im Vermerk vom 01.12.2011, es handele sich um das Gebiet um Zwickau, eine Wanderkarte oder Straßenkarte, aber es seien keine handschriftlichen Notizen ersichtlich gewesen. Götzl geht zum nächsten Asservat über. Bö. sagt, es handele sich eine Adressliste, wie angeführt: “Wobei die Seite mit 10 bis 19 dabei ist, die wurde mir damals nicht vorgelegt. Wobei einzelne von den Punkten auf der Karte eingezeichnet gewesen sind. [phon.]” Bö. sagt, er fange mit der ersten Seite an. Insgesamt seien es 88 Adressen, händisch markiert, bei 10 bis 19 gebe es wie gesagt keine handschriftlichen Markierungen.

Dann auf der folgenden Seite die Adresse von einem Landtagsmitglied, mit Anschrift, da finde sich die Notiz: “Privat, guter Fluchtweg”. Die 27 sei ebenfalls mit Haken versehen. Auf der folgenden Seite sei ein SPD-Büro in Moosach mit Haken versehen und eine “Außenstelle 2” mit Fragezeichen, weil vielleicht nicht klar gewesen sei, um was es sich handelt. Auf der nächsten Seite würden sich zwei Haken finden, bei “Deutsch-Türkische Freundschaft Föderation e.V.” sowie “Deutsch-Türkischer Kulturverein e.V.” Bö. geht weiter die Seiten durch und nennt “Muslim e.V.”; “Muslime helfen e.V.” und dann “Pasing Türkischer Kulturverein” Da finde sich eine Notiz. Bö.: “‘Komplett türkisches Eckhaus, Dienst- und Änderungsschneiderei’. Wenn ich das richtig entziffere.” Dann nennt Bö.: “Deutscher Alevitenbund e.V.” und “Verein Türkisch-Islamischer Kultur”. Bei letzterem finde sich die Notiz: “Inder, Gemüseladen”. Auf der Seite mit den Nummern 68 bis 77 seien zwei Adressen händisch ergänzt: Die Adresse von einem Mitglied des Bundestages, mit der Notiz: “Sehr gute Lage, Zugang im Garten” und “Islamisches Kulturzentrum” mit der Notiz: “Hinterhof” Auf der letzten Seite finde sich ein Haken beim “Türkisch-Islamischen Verein Allach”. Bei “Kreisverband” sei ergänzt “SPD”, die Öffnungszeiten und “klein, wie Salzgitter”. Auf der letzten Seite, mit der Adresse 88, finde sich keine handschriftliche Notiz. Danach werden die Kartenausschnitte von München in Augenschein genommen, zuerst die komplette Übersicht von München, die am 05.06.2005 [phon.] ausgedruckt worden sei. Auf der seien die sechs Bereiche S1 bis S6 in rechteckiger Form markiert. Dann folgen die einzelnen Ausdrucke. Bö. sagt, wie man sehe, seien hier die einzelnen Symbole mit Zahlen belegt. Diese Adressen seien in der Liste enthalten und auch in den Adresslisten des NSU, die damals vorgelegen hätten. Bö.: “Jetzt, wo ich die Seite 10 bis 19 gesehen habe, gehe ich davon aus, dass diese Adressen auch verzeichnet sind.” Zum Bereich “S1” sagt Bö., dass hier z.B. der “Verein zur Förderung des Islam” markiert sei. Dann geht er die einzelnen Karten durch. Um 11:07 Uhr wird Bö. entlassen.

Danach sagt Wohllebens Verteidigerin Schneiders, dass sie eine Erklärung abgeben wolle. Auf Nachfrage von Götzl, ob es sich um eine Einlassung Wohllebens handele, sagt sie, es gehe zunächst nur um eine Erklärung der Verteidigung. Dann verliest sie eine Version eines zuvor bereits auf ihrer Facebook-Seite veröffentlichten Statements. Wohlleben, so Schneiders, befinde sich seit vier Jahren in U-Haft, seit Mai 2013 laufe die Hauptverhandlung. Schultze und Gerlach hätten Wohlleben schwer belastet, um ihre eigene Rolle herunterzuspielen. Mehrere Zeugen hätten Wohlleben geschadet. Ihr Mandant müsse einige Dinge klarstellen, um dem seine Sicht der Geschehnisse entgegenzustellen. Ihre Kollegen und sie hätten ihm dazu geraten auszusagen. Es sei notwendig diesen Schritt zu gehen, weil über Beweisanträge allein wesentliche Tatsachen nicht eingeführt werden könnten. Wohlleben werde Fragen aller Verfahrensbeteiligten beantworten, aber Fragen, die nur dem “Szenevoyeurismus” dienen würden, würden beanstandet. Es handele sich bei der Einlassung um einen “Akt der Notwehr” gegen “Lügen und Unterstellungen”.

Danach wird eine kurze Pause bis 11:27 Uhr eingelegt. Dann verliest Wohlleben seine Einlassung:

[Wohlleben verliest seine Einlassung sehr schnell. Die folgende Wiedergabe, die auf mehreren Mitschriften von “NSU-Watch”-Mitarbeiter_innen basiert , steht daher unter Vorbehalt.]

Mit meiner folgenden Aussage schildere ich die Sachverhalte, an die ich eine Erinnerung habe und die Verfahrensrelevanz haben. Ich habe darauf Wert gelegt, nur zu berichten, was ich auch tatsächlich erinnere. Auf Vermutungen, Schlüsse, Bilder im Kopf habe ich fast gänzlich verzichtet oder sie kenntlich gemacht. Ich habe den Weg der Verlesung einer schriftlichen Erklärung gewählt, weil ich aufgrund der vierjährigen Haftzeit, eineinhalb Jahre in Isolationshaft, Konzentrationsschwierigkeiten habe. Ich habe Wortfindungsstörungen und stottere gelegentlich. Ich führe dies auf die Haftbedingungen zurück. Mir ist aufgefallen, dass manche Dinge erst nach längerem Überlegen oder durch Akteneinsicht wieder in Erinnerung kamen.

Persönliche Verhältnisse: Geboren und aufgewachsen bin ich in Jena. Das Verhältnis zu meinen Eltern möchte ich als normal beschreiben, wobei ich die Erziehung mitunter als streng empfand. Das führte 1992 auch dazu, dass ich von zu Hause ausgerissen bin. In dem Zusammenhang kam ich kurzzeitig in einem Jugendheim unter, wo mir das eigene Zimmer und die Ausbildungsmöglichkeit als Tischler gefiel. Deshalb hatte ich den Wunsch, längere Zeit in einer solchen Einrichtung zu verbleiben. In Absprache mit meinen Eltern und dem Jugendamt kam ich in ein Kinder- und Jugendheim nach Gera, wo ich bis 1993 in einer Wohngruppe mit Betreuung lebte. Danach zog ich wieder bei meinen Eltern ein, zu denen ich weiterhin ein normales Verhältnis pflegte und die ich auch am Wochenende besuchte. Bis 1997 bewohnte ich mit meinen Eltern und meiner Schwester eine Dreiraumwohnung in Lobeda-Ost. 1997 bezog ich eine Altbauwohnung in Jena-Göschwitz, aus der ich aufgrund einer Sanierungsmaßnahme 1999 ausziehen musste. Ich bekam ein Wohnungsangebot in Jena-Winzerla. Dort wohnte ich bis zum Auszug 2002. Mein neuer Wohnsitz wurde dann die Jenaische Straße 25 in Lobeda. Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass der Begriff “Braunes Haus” nicht auf die Kreativität der Bewohner zurückzuführen ist, sondern auf die politische Linke in Jena. Wir bevorzugten “Hausgemeinschaft Zu den Löwen” und den Zusatz “Wohn- und Schulungsobjekt”. 2002 lernte ich auch meine Frau Jacqueline kennen. 2004 bekamen wir unsere Tochter [1] und 2005 heirateten wir und zogen nach Jena-Winzerla. 2006 kam unsere Tochter [2] zur Welt. 2008 zogen wir in den Stadtteil Jena-Ost, wo ich bis zu meiner Festnahme wohnte.

Meine schulische Ausbildung begann ich 1981 auf der “Polytechnischen Oberschule Rosa Luxemburg” in Jena. 1990 besuchte ich die “POS Julius Schaxel”, 1991 die “Fichte-Schule”. Nach Berufsvorbereitungsjahren und einer abgebrochenen Ausbildung zum Verkäufer fand ich erstmal Arbeit in einem Reinigungsunternehmen. Ob ich dort gekündigt habe oder gekündigt wurde, weiß ich nicht mehr. Neben einer einmonatigen ABM in der Jugendwerkstatt Jena machte ich eine überbetriebliche Ausbildung im Lager eines großen Möbelhauses in Rothenstein. Die Lehre habe ich 1998 erfolgreich abgeschlossen. Weil ich der Übernahme in eine Filiale in einem anderen Bundesland nichts abgewinnen konnte, war ich dann wieder arbeitslos. Über eine Qualifizierungsmaßnahme fand ich eine Anstellung als Verkäufer in einem Teppichfachmarkt, erst in einer Filiale in Jena, später in Hermsdorf. Das Arbeitsverhältnis endete 2000. Ich hatte inzwischen ein gesteigertes Interesse für Computer entwickelt und versuchte, in diesem Bereich etwas zu finden. Das war nicht einfach ohne belegbare Vorkenntnisse. Es brauchte Überzeugungsarbeit, bis mir das Arbeitsamt gestattete, an einem Eignungstest teilzunehmen. Es ging darum, ob man die Voraussetzungen mitbringt für eine Umschulung zum Fachinformatiker oder nur zum Netzwerktechniker. Ich zeigte meine Eignung zum Fachinformatiker. 2003 konnte ich die Ausbildung erfolgreich abschließen. Es gelang mir nicht, eine Anstellung zu finden, was auch mit meinen politischen Aktivitäten begründet wurde. So sagte mir ein Arbeitgeber nach einem Praktikum, dass sich sogenannte Linke bei einem Kunden gemeldet hätten. Er hätte kein Problem mit meinen Ansichten, wolle aber nicht, dass seine Firma in den Fokus vermeintlicher antifaschistischer Aktivitäten gerät. Ich habe bis 2007 an Weiterbildungen teilgenommen. Dann habe ich einen Arbeitsplatz als Feinelektroniker bekommen, den ich bis zu meiner Festnahme behielt.

Mein politischer Werdegang: Interesse an Politik hatte ich seit frühester Kindheit. Die Entwicklungen in der damaligen DDR waren auch für mich prägend. Ich verfolgte mit Freunden den Rücktritt von Erich Honecker am Radio. Wir hofften, dass wir ein freies Leben führen könnten. Insbesondere die Ausreisewelle ging an niemandem von uns spurlos vorbei. Ich hatte 1988 meine erste große Liebe gefunden, die dann aber 1989 in den sogenannten Westen zog. Die gewünschten Veränderungen traten durch die Wende nicht ein. So kam es, dass auch ich mich zusammen mit Freunden an den Montagsdemonstrationen, die auch in Jena stattfanden, beteiligt habe. Nach dem Mauerfall und der Wiedervereinigung von BRD und DDR versuchte man irgendwie mit den neuen Verhältnissen zurecht zu kommen. Dazu gehörte auch, dass man sich einem politischen Lager zugehörig fühlte. Das war selbstredend noch weit entfernt von gefestigten politischen Ansichten. Da ich schon immer einen großen Nationalstolz empfand, der integraler Bestandteil der DDR-Erziehung war, fand ich keinen Grund, diesen plötzlich abzulegen. Im Gegenteil. Ich wunderte mich über ehemalige Freunde, die plötzlich die Meinung vertraten, dass jeder, der eine BRD-Fahne schwenkt, ein Nazi sei. Da ich anderer Meinung war, ist es nicht verwunderlich, dass ich mich dem Teil der Jugend zugehörig fühlte, der heute als rechts bezeichnet wird. Dies drückte sich durch das Hören bestimmter Musik wie “Böhse Onkelz” oder das Tragen von Kleidung wie “Chevignon” und “Replay” aus.

1992 oder 1993 fand eine Wahlkampfveranstaltung einer nationalen Partei statt, mglw. NPD oder DNP. Ich hatte eher zufällig davon erfahren. Also wartete ich auf dem Jenaer Markt. Als sie ankamen und mit dem Aufbau begannen, versuchte ich mich irgendwie mit einzubinden. Letztendlich durfte ich dann ein Plakat hochhalten. Mich hat es damals beeindruckt, wie organisiert alles ablief. Allerdings bestand bei mir damals kein Interesse an der Mitgliedschaft in einer Partei. Ab 1994 begann ich, auch aufgrund meiner intensiven Freundschaft zu André Kapke, öfters Veranstaltungen zu besuchen. Neben einem Konzert und den Stammtischen in Rudolstadt oder Schwarza ab 1995 auch Demonstrationen. Außerdem kam auch meine Mitgliedschaft in der Kameradschaft Jena hinzu. Die lokale Szene teilte sich in Skins und Scheitels auf. Während für erstere Musik und Alkohol wichtig waren, war es bei den Scheitels mehr das Interesse an Politik. Ich selber sah mich als Scheitel und wurde auch als solcher wahrgenommen.

1999 gingen große Teile derer, die sich als THS verstanden, in die NPD. Dabei hatte der Thüringer Landesverband damals keinen guten Ruf, auch wegen verschiedener umstrittener Personen. Deshalb war ich verwundert, als plötzlich Tino Brandt vor mir stand, mir einen Mitgliedsantrag vor die Nase hielt und sagte: Hier ausfüllen und unterschreiben, Kapke ist auch schon Mitglied. Mir war natürlich klar, dass hier einem möglichen THS-Verbot entgegengewirkt werden sollte. Es dauerte nicht lange – ich glaube, wir hatten damals noch nicht mal einen eigenen Kreisverband -, da kam es schon zu neuen Landesvorstandswahlen und Brandt suchte händeringend Leute. Auch auf mich hat er länger eingeredet und es stellte sich für mich die Frage, welche Aufgabe ich da übernehmen sollte, weil ich bisher niemand war, der Ämter oder Funktionen bekleidet hatte, und es mir auch nicht zutraute. Brandt meinte, ich könnte als Landesschulungsleiter kandidieren. Ich willigte ein und wurde überraschend auch gewählt. Eine der durchgeführten Schulungen war übrigens die Brauchtumsschulung mit Edda Schmidt im Jahr 2000 in der Froschmühle, wo ich selbstverständlich auch die ganze Zeit anwesend war. In Jena musste noch ein NPD-Kreisverband gegründet werden. Vorsitzender wurde Carsten Schultze, ich wurde sein Stellvertreter. Allerdings gab es Stimmen, die bezweifelten, ob er aufgrund seines jungen Alters der Richtige sei. Deswegen wurde ich gebeten, auch dieses Amt zu übernehmen, was ich auch tat. Nicht jeder hatte ein Interesse daran, seinen Namen im Zusammenhang mit der NPD wiederzufinden. Arbeitsplatzverlust, Probleme in Schule, Studium, Lehre wären noch die kleinsten möglichen Folgen gewesen. Es war also mitunter nicht immer ganz einfach einen Vorstand zu wählen. Auch ich hatte aufgrund eines Brandanschlags 1998 vor meinem Wohnhaus Bedenken, aber ich war als Landesvorstand bekannt [phon.], so dass es letztendlich auch egal war.

An dieser Stelle unterbricht Wohlleben seinen Vortrag und bittet darum, dass das Bild “Golf.gif” gezeigt wird. Das Bild von einem ausgebrannten PKW wird an die Leinwände projiziert. Wohlleben: “Das Foto zeigt den abgebrannten PKW Golf, der Tino Brandt gehörte, der vor meinem Haus abgebrannt wurde, Weihnachten 1998.” Dann fährt Wohlleben fort:

Außerdem hatte ich festgestellt, dass mir die Parteiarbeit liegt und wir dadurch eine ganz andere Wahrnehmung erfuhren. Durch die guten Kontakte von Brandt, hatten wir auch fast immer aktuelles Infomaterial vorrätig. Im Jahr 2000 wurde bekannt, dass der Ortsteil Winzerla einen Ortschaftsrat erhalten soll. Dies war für mich ein bisher völlig unbekanntes Gremium. Ich habe mich dann über die Arbeit eines Ortschaftsrats informiert und erfahren, dass die Hürden, an einer solchen Wahl teilzunehmen, relativ gering sind. Es bedarf lediglich einer Person aus dem Stadtteil, die den Kandidaten schriftlich vorschlägt. Ich habe den Entschluss gefasst, an dieser Wahl teilzunehmen. Ich sah dies als gute Möglichkeit, mich mit Parlamentsarbeit vertraut zu machen und außerdem an der Stadtteilarbeit [phon.] mitzuwirken. Vorgeschlagen hat mich Carsten Schultze. Es gab im Vorfeld verschiedene Veranstaltungen, wo man sich vorstellen konnte. Auch hier erinnere ich mich, dass Carsten Schultze mehrfach dabei war. Trotz massiver Stimmungsmache linker Gruppen wurde ich in den Ortschaftsrat gewählt. Dort machte ich darauf aufmerksam, dass es mir nicht darum geht, Parteipolitik zu betreiben, wo diese völlig unangebracht ist. Wichtig war mir Kinder- und Jugendarbeit und die Außendarstellung des Stadtteils, der oft “Ghetto” genannt wurde. So habe ich z. B. zusammen mit dem Ortsbürgermeister und anderen Ortsteilräten verschiedene Treffpunkte von Jugendlichen aufgesucht und Gespräche geführt. Es ging u.a. um die Frage, warum sie nicht die bestehenden Freizeitangebote nutzen. Es wurden auch mal Spielplätze sauber gemacht und einiges mehr. Es wurde gemeinsam ein Bürgerbüro mit Sprechzeiten eingerichtet und eine neue Internetseite erstellt.

Woran ich mich auch erinnere, war ein Treffen mit dem sogenannten Ausländerbeirat der Stadt Jena. Es ging dabei um die Vorstellung dieser Institution. Im Nachgang kam es noch zu einem persönlichen Gespräch zwischen der Vorsitzenden und mir. Weil dieses ziemlich vorurteilsbeladen ablief, machte ich ihr ein Gesprächsangebot. Es ging um ein Treffen zwischen Mitgliedern des Ausländerbeirats und des NPD-Kreisverbands. Trotz anfänglicher Zusage und einer Nachfrage von mir, fand die Zusammenkunft nie statt. Die Begründung war, dass man uns kein Podium bieten wolle. Ob ich diese Information direkt von der Vorsitzenden hatte oder von einem Mitglied des Beirats, einem Türken, mit dem ich mich privat getroffen hatte, weiß ich nicht mehr. Im Jahr 2001 wurde ich dann, kurz vor der Enttarnung von Tino Brandt, Pressesprecher der Thüringer NPD. Brandt erzählte uns, damit meine ich die Mitglieder des Landesvorstands und mich, anfänglich noch, dass die Vorwürfe gegen ihn nicht zuträfen. Weil er dieses Dementi nicht selbst verbreiten wollte [phon.], wurde ich gebeten seinen Posten zu übernehmen. Als Brandt dann endgültig enttarnt war und alle Ämter niedergelegt hatte, wurde ich gemäß Satzung kommissarisch zum stellvertretenden Landesvorsitzenden berufen. Nachdem ich 2002 aus dem Ortschaftsrat Winzerla ausscheiden musste, weil ich meinen Wohnsitz nach Altlobeda verlegt hatte, kandidierte ich dort 2004 für den Ortschaftsrat. Auch hier gelang mir der Einzug, allerdings musste ich mein Mandat aufgrund eines erneuten Wechsels des Wohnsitzes wieder abgeben. Auch bei Bundes- und Landtagswahlen trat ich wiederholt als Kandidat in Erscheinung. Mitglied des NPD-Landesvorstands blieb ich bis 2008. Hierbei bekleidete ich verschiedene Ämter. U.a. war ich für Neue Medien zuständig und hatte das “Referat Familie und Bevölkerung” inne. 2010 entschied ich mich allein aus persönlichen Gründen zum Austritt aus der Partei. Ich beteiligte mich mehr an der Arbeit des “Freien Netz Jena”, welches 2009 aus dem “Nationalen Widerstand Jena” hervorgegangen war.

Zu den einzelnen Personen: Es ist immer schwierig, wenn man Menschen beurteilen muss. Zumal ich mit meiner Menschenkenntnis auch nicht immer richtig lag. Alle Einschätzungen sind meiner persönlichen Subjektivität geschuldet.

Holger Gerlach habe ich meiner Erinnerung nach bereits vor der Wende gekannt. Wann und wo ich ihn kennenlernte, weiß ich allerdings nicht mehr genau. Dafür meine ich mich gut daran zu erinnern, dass ich Holger nach der Wende, so 1992/93, im Jugendclub “Treffpunkt” wiedergetroffen habe und wir Kontakt hielten. Mit ihm verband mich der starke Drang nach Glücksspielen. Hiermit ist insbesondere die Zockerei an Spielautomaten gemeint, welche meiner Meinung nach teilweise schon pathologische Züge hatte. Bei mir reduzierte sich das mit meiner ersten eigenen Wohnung und dem Geschenk von Juliane Walther, einem eigenen Automaten. Holger hat damit noch länger gekämpft, wie er mir sagte. Durch seinen Wegzug nach Hannover wurde unser Kontakt reduziert. Anfänglich fuhr ich noch ab und an nach Hannover, später sahen wir uns nur, wenn er mal in Jena war. Irgendwann nach der Geburt meiner Tochter [2] sagte mir Holger bei einem Besuch bei seiner Schwester, dass er Drogen nimmt. Ab da suchte ich gar keinen Kontakt mehr zu ihm, weil ich mit Drogen noch nie etwas am Hut hatte. Ich habe ihn als jemanden in Erinnerung, der durch seine Tollpatschigkeit aufgefallen ist. Z. B. beim Go-Kart-Fahren, wo er, weil er Bremse und Gas verwechselte [phon.], Letzter wurde, oder als Kartenleser, wo er von einer “blauen Straße” sprach und Uwe Mundlos ihm dann sagte: “Mensch, das ist ein Fluss.”

Uwe Böhnhardt muss ich so 1992 kennengelernt haben. Er war introvertiert und hatte einen trockenen Humor. Zudem habe ich ihn als jemanden in Erinnerung, der sein Geld gerne für Militaria-Artikel ausgegeben hat und sich für Waffen und Geräte, von der Axt bis zur Zwille, begeistern konnte. Z. B. hat er sich einen Wurfanker gekauft. Als ich ihn fragte, was er damit vorhabe, konnte er als Antwort lediglich mitteilen, dass er dieses Gerät gesehen hatte und haben wollte. Eine Verwendung hatte er beim Kauf offensichtlich gar nicht im Sinn gehabt.

Wann ich Uwe Mundlos kennenlernte, weiß ich nicht mehr, auch wo, kann ich nicht mehr sagen. Ich habe ihn als “Schwiegermuttis Liebling” in Erinnerung. Er war humorvoll, sympathisch, redegewandt, kontaktfreudig. Dabei war es völlig egal, wo man gerade war, ob in einer Disko, auf einer Demo oder im Polizeigewahrsam.

Beate Zschäpe: Ich erinnere ich mich nicht mehr genau, wann und wo ich sie kennengelernt habe. Ich habe sie als jemanden in Erinnerung, mit dem man gut und lange reden konnte. Sie hatte Schlagfertigkeit und viel Witz. Durch ihre offene und direkte Art war sie mir persönlich sehr sympathisch. Ich erinnere mich z. B. an abendliche Gespräche – nicht inhaltlich – nachdem der Winzerclub für den Tag geschlossen hatte und es uns noch nicht nach Hause zog.

Carsten Schultze muss ich so 1997/98 kennengelernt haben, ich habe keine genaue Erinnerung. Ich weiß noch, was ich ihm sagte, als wir uns zufällig, 2005 oder 2006, an der Jenaer Hauptpost getroffen haben. Ich setzte ihn davon in Kenntnis, dass uns meiner Meinung nach in Jena einer wie er fehlen würde. Jemand, der selbstständig ist, junge Leute begeistern kann und mitzieht. Und genau das verbinde ich mit ihm. Er war ein lustiger und sympathischer Typ, mit dem ich gerne meine Zeit verbracht habe. Wenn er mich zu seinen JN-Treffen eingeladen hat, sah ich dort immer viele junge Leute, die ihm ihre volle Aufmerksamkeit schenkten und zu ihm aufblickten. Er fühlte sich meiner Meinung nach in dieser seiner Rolle wohl.

KS Jena: Wann die KS Jena gegründet wurde und wo die Gründung stattgefunden hat, kann ich heute nicht mehr sagen. Ich habe auch keine Erinnerung mehr, wer die Idee hatte und welche Personen beteiligt waren. Ich verbinde mit der KS Jena auch nicht bestimmte politische Forderungen. Ich würde sie eher als Zusammenschluss beschreiben von Menschen mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner: positives Bekenntnis zu Heimat und Herkunft. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir großartige politische Diskussionen geführt hätten. Was immer wieder ein Thema war, war die Forderung nach einem eigenen Jugendclub, darüber bestand Konsens. Ansonsten ging es bei den KS-Abenden um interne Dinge wie Mitgliedsbeiträge oder die Teilnahme an Veranstaltungen, aber auch Diskussionen, ob während der Sitzungen geraucht oder getrunken werden darf. Man war als KS Jena nicht völlig unpolitisch, aber man griff bei Flugblättern und Plakaten schon aus Kostengründen lieber auf professionell vorgedruckte Werke anderer nationaler Parteien oder Organisationen zurück. Wenn man selber etwas produziert hat, dann meist in Schnippselform. Ein Schnippsel wurde z. B. beim Jenaer Weihnachtsmarkt vom Riesenrad runter geworfen: “Die KS Jena wünscht allen Jenensern und Jenaern ein schönes Weihnachtsfest.” Namen: André Kapke, Uwe Böhnhardt, Holger Gerlach und ich. Es gab noch mehr Mitglieder, z. B. Tom Turner, den bereits nach kurzer Zeit die Lust verließ. Aufgrund der Fluktuation sind mir keine weiteren Namen mehr präsent. Uwe Mundlos hat sich nach meiner Erinnerung erst später in die KS eingebracht. Ich weiß aber nicht, ob als Mitglied. Beate Zschäpe habe ich ebenfalls nicht als Mitglied in Erinnerung. Wenn sie an Treffen teilgenommen hat, dann als Begleiterin von Uwe Böhnhardt. Als Mitglieder werden immer wieder Stefan Apel und Marc Rüdiger [He.] erwähnt. Bei [He.] kann ich eine Mitgliedschaft ausschließen. Bei Apel bin ich mir nicht sicher. Wenn überhaupt, war er nur kurze Zeit Mitglied.

Nationaler Widerstand Jena: Irgendwann sind die Aktivitäten der KS Jena eingeschlafen, was auch darauf zurückzuführen ist, dass man mehr und mehr unter dem Namen “THS – Sektion Jena” agierte. Ein Gruppenname, der auf Tino Brandt zurückzuführen ist. Denn dieser erstellte in Eigeninitiative Aufkleber mit dieser Bezeichnung. 1998 oder 1999 wurde dann aus der KS Jena der “Nationale Widerstand Jena”, wobei auch diese Namensgebung auf Tino Brandt zurückzuführen ist. Der stellte den Speicherplatz für die ersten Netzseiten zur Verfügung. Er wies mir auf dem Server einen Unterordner mit der Bezeichnung “NWJ” zu. [phon.] Er teilte mir mit, das würde besser passen. [phon.] Weil er Kosten und Gebühren übernahm, gab es auch keine Diskussion, dadurch war der neue Gruppenname festgelegt. Der “Nationale Widerstand Jena” wurde also nicht gegründet, sondern bestand plötzlich. Eine offizielle Gründung wäre auch nicht zweckmäßig gewesen. Man verstand sich als Zusammenschluss aller aktiven nationalen Menschen in und um Jena. In der Rubrik “Wir über uns” stand:

Dann verliest Wohlleben Teile der Selbstdarstellung des NWJ, wie sie auf dessen Internetseite veröffentlicht wurde. Es handele sich beim NWJ um “nationale Jugendliche aus Jena, die sich entweder in Parteien, Organisationen oder freien Kameradschaften organisieren”. In Jena seien zur Zeit die NPD mit einem Kreisverband und deren Jugendorganisation JN mit einem “Stützpunkt in der Saalestadt” aktiv. Des weiteren sei noch die “Sektion Jena” des THS zu erwähnen, die “den größten Teil der Sympathisanten” verzeichnen könne. Der NWJ wolle “auf diesem Wege betonen das er jegliche Art von Gewalt, zur Durchsetzung politischer Interessen, entschieden ablehnt” [Fehler im Original der Website]. Weiter verliest Wohlleben aus der Selbstdarstellung: “Bei all unseren Betrachtungen steht das Volk im Vordergrund. Von ihm leiten sich alle Denkansätze ab.” Man habe es sich zur Aufgabe gemacht, “die Kultur unseres Volkes zu erhalten” und versuche “alte Bräuche und Sitten wieder aufleben zu lassen”. Ziel sei es, “unsere Kultur vor weiteren Zerfall zu schützen” [Fehler im Original der Website]. Der NWJ fühle sich “tief mit unseren Ahnen verwurzelt”, daher sehe man es als Pflicht an “sie zu ehren und ihre Traditionen weiterleben zu lassen”. Wohlleben verliest weiter: “Wir bekennen uns zu jedem Teil unserer Geschichte. Wir nehmen sie als gegeben hin und versuchen keinesfalls uns von ihr abzuwenden.” Ausdrücklich betonen wolle man, dass “wir unser Volk niemals über ein anderes stellen”. Jedes Volk und somit jede Kultur habe sich in Jahrhunderten entwickelt und sei somit schützenswert. Wohllebens Vortrag endet auf den Slogan: “Für ein Europa der Vaterländer”. Danach setzt Wohlleben die Verlesung des eigentlichen Textes seiner Einlassung fort:

Diese Sätze würde ich auch heute noch so unterschreiben. Ich hatte schon Mitte der 90er Jahre nichts gegen Ausländer, sondern etwas gegen die Politik, die den massenhaften Zuzug von Ausländern nach Deutschland förderte. Anfang der 90er kam ich nach Frankfurt/Main. Dort hatte ich den Eindruck, dass es dort ganze Stadtteile gibt, die nicht mehr von Deutschen bewohnt wurden. So etwas wollte ich für Jena nicht. Ich kann die Gründe der Ausländer verstehen, aber ich hatte und habe die Befürchtung, dass der massenhafte Zuzug kulturfremder Ausländer, die Ghettoisierung und Parallelgesellschaften zu sozialen Spannungen führen. Nicht die Ausländer sind der politische Gegner, sondern die Politik der etablierten Parteien.

Wie bindend die Forderung “Europa der Vaterländer” für mich war, zeigt das maßgeblich durch André Kapke und mich veranstaltete “Fest der Völker”, das ebenfalls die Forderung nach einem “Europa der Vaterländer” enthielt. Viele Gäste kamen aus dem europäischen Ausland: Ungarn, Tschechien, Frankreich, Schweden, England, Rumänien, Bulgarien, Griechenland, Italien, Schweiz, Österreich, Estland und einigen mehr. [Aufzählung mglw. unvollständig] Die Mobilisierungsnetzseite war in 16 verschiedenen Sprachen.

An dieser Stelle wendet sich Wohlleben Richtung NK und sagt: “Kann ich irgendwas wiederholen, Herr Daimagüler?” Götzl sagt, Wohlleben solle etwas langsamer vorlesen. Wohlleben fährt fort:

Aus diesem Fest entstanden auch Freundschaften, z.B. mit dem Giovanni aus Italien, dem Sivold aus Russland und dem Portugiesen Mario.
Ausländer- bzw. Asylpolitik spielte eine untergeordnete Rolle. Es ging zunächst darum, dass nationale Positionen überhaupt erst einmal Gehör finden, das Totschweigen und die Repressionen zu durchbrechen. Keine von uns durchgeführte Demonstration befasste sich mit Asylpolitik. Dasselbe galt auch für Plakate oder Aufkleber. Einzig der von Tino Brandt initiierte Aufkleber “Bratwurst statt Döner” war eine Ausnahme davon. Die einzige politische Aktion zur Ausländerpolitik war eine Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Diese Position vertrat damals auch die CDU/CSU. Zur Mitgliederstruktur des NWJ Angaben zu machen, ist schwierig, weil es keine Treffen der Gruppe gab und auch keine Mitgliedsbeiträge. Wozu ich was sagen kann, ist zu sogenannten Aussteigern. Das gab es im Laufe der Jahre immer wieder und mir ist nicht ein Fall erinnerlich, wo hieraus ein Problem erwachsen wäre. Manchmal war man sogar froh, etwa bei solchen, die sich durch übermäßigen Alkoholkonsum hervortaten [phon.]. Bei anderen bedauerte man eine entsprechende Entscheidung, beeinflusste diese aber nicht. Es war nicht unüblich, dass weiter ein freundschaftliches Verhältnis gepflegt wurde. Wir, André Kapke und ich, haben uns früh darauf verständigt, keine weltanschaulichen Schulungen durchzuführen. Jeder sollte die Möglichkeit erhalten, selbstständig den Weg zu einem gefestigten Weltbild zu gehen. 2009 wurde aus dem NWJ das “Freie Netz Jena”.

THS: Auch beim THS habe ich keine Erinnerung mehr daran, ab wann dieser genau bestand. Es ist nicht ganz einfach zu definieren, was der THS letztlich war. Denn es konnte jeder, der es wollte, unter dem Namen agieren oder sich dem THS zugehörig fühlen. Es gab keine Mitgliedschaft. Was es gab, waren die Mittwochsstammtische, an denen jeder teilnehmen konnte, und Koordinierungstreffen Thüringer Gruppen, nicht nur THS [phon.]. Ich persönlich habe die Mittwochsstammtische als eine Art festen Anlaufpunkt in Erinnerung. Man wusste, dass man Gleichgesinnte aus vielen Ecken Thüringens trifft. Politik spielte eine eher untergeordnete Rolle. Ich könnte mich nicht entsinnen, dass da mal irgendwer eine Rede gehalten hätte. Das wäre vermutlich wegen der Lautstärke auch schwer möglich gewesen. Außerdem war es auch deshalb unsinnig, weil von einigen teilweise im hohen Maße dem Alkohol zugesprochen wurde. Es gab aber Informationen zu Veranstaltungen und Infomaterial. Tino Brandt brachte die “Nation & Europa”-Heftchen mit und einiges mehr. Diese Sachen wurden kostenlos weitergegeben. Einmal hat man mir zwei Reifen meines PKW abgestochen, wobei ich zu den Tätern nur Vermutungen anstellen könnte. Auf jeden Fall war ein ortsansässiger Kamerad sofort mit Ersatzreifen behilflich. Vorfälle dieser Art waren keine Seltenheit und in dem Fall noch eher harmlos.

Die Sonntagstreffen, auf denen ich hin und wieder zugegen war, verliefen in ruhiger Atmosphäre. Hier wurde besprochen, ob und wenn ja, welche Gruppe welche Veranstaltung durchführt oder welche Veranstaltungen man personell unterstützt. Lautsprecheranlagen oder Megaphone waren Mangelware, deshalb war eine Koordination der Veranstaltungen angezeigt. Dadurch wurde verhindert, dass mit schlechter oder gar keiner Technik eine Demonstration durchgeführt wird, und dass es zu einer Spaltung des Mobilisierungspotenzials kommt. Woran ich mich ebenfalls erinnere, ist, dass rechtliche Schritte besprochen wurden. So u.a. als eine öffentliche Sonnwendfeier auf dem Jenzig, auch mit THS-Mitgliedern, durch Polizeikräfte gestürmt wurde und es zu unzähligen Ingewahrsamnahmen kam. Es war erschreckend, mit welcher Brutalität die eingesetzten Beamten vorgegangen sind. Es waren viele Familien mit Kindern da und es gab keinen Grund einzuschreiten. Leider gehörten solche Vorfälle des öfteren zum Wochenenderlebnis. Es wurden an den Sonntagstreffen auch Themen besprochen wie das Zeitungsprojekt “Neue Thüringer Zeitung” oder bestickte THS-T-Hemden. Aber ich kann nicht mehr einschätzen, ob ich bei den Treffen selbst dabei war oder mir nur davon berichtet wurde. Die Sonntagstreffen waren auch immer wieder Ziel von Überfällen sogenannter Linker. So steuerte einmal plötzlich ein Auto mit hoher Geschwindigkeit auf den sich auf der Straße befindlichen Sven Rosemann zu, der beiseite sprang. Dann ist mir noch ein Überfall auf den PKW von Sandro Tauber erinnerlich. Er befand sich damals mit seiner schwangeren Freundin auf der Anreise zu einem Sonntagstreffen. Er wurde auf der Landstraße von Vermummten mit einem Morgenstern angegriffen und das Auto beschädigt. [phon.] Mit dem Namen THS haben wir noch nach der Enttarnung von Tino Brandt gearbeitet. Dies beschränkte sich aber auf das Zeigen eines Transparents: “Thüringer Heimatschutz – Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte” – aus einem Gedicht von Ernst Moritz Arndt.

Zum Jahrhunderthochwasser 2002 sind wir in die betroffenen Gebiete gefahren, um zu helfen. Ich erinnere mich an Torgau und Jessen, wo wir Tätigkeiten übernahmen. Da es immer wieder Presseanfragen gab, wer wir sind, haben wir auf den Namen “Thüringer Heimatschutz” zurückgegriffen. 2005 gab es durch Mario Brehme Bemühungen, den THS zu reaktivieren. Da aber sowohl André Kapke als auch ich die Vermutung hatten, dass dies schneller zu einem Verbot führen könne, als sich das alle Beteiligten vorstellen können, lehnten wir dieses Vorhaben ab und kommunizierten dies auch. Wir wiesen auch darauf hin, dass ein Verbot auch Menschen betreffen könnte, die früher dem THS zugerechnet wurden. Anlässlich der Hausdurchsuchung 2011 bei mir sah ich nochmal das einzige Relikt, was ich und andere mit dem THS verbinden, das Transparent. Es hing im Garten des “Wohn- und Schulungsobjektes Zu den Löwen”.

Vor dem Untertauchen: Es ist nicht einfach, jetzt noch zeitlich genau zu rekapitulieren, wann man sich mit den genannten Personen getroffen hat. Ich gehe deshalb anhand von Treffpunkten vor.

Jugendclique Tischtennisplatte Lobeda-Ost: Hier traf ich Uwe Böhnhardt und Jürgen Helbig. Uwe Mundlos und Beate Zschäpe schließe ich aus, weil sie mir da unbekannt waren. Carsten Schultze auch. Zeitlich beschränke ich den Treffpunkt auf 1991 bis 1993, was ich daraus schließe, dass ich damals mit Uwe Böhnhardt und Jürgen Helbig von zu Hause ausgerissen bin. Holger Gerlach habe ich nach meiner Erinnerung erst bei einem Heimurlaub wiedergetroffen, deshalb schließe ich aus, ihn dort getroffen zu haben.

Jugendclique Drackendorf: Hier war ich 1993/94 regelmäßig. Ich erinnere mich nur an Holger Gerlach, den ich des öfteren zu Hause abholte. Ausschließen kann ich nicht, dass wir dort Uwe Böhnhardt und Jürgen Helbig ab und an getroffen haben, aber ich habe daran keine Erinnerung mehr. Ausschließen kann ich Uwe Mundlos, Beate Zschäpe und Carsten Schultze.

Jugendclique Altlobeda: Ende 1993, Anfang 1994, weil sich meine damalige Freundin Ulrike [P.] regelmäßig dort aufhielt. Dort traf ich oft Jürgen Helbig, weil unsere Freundinnen befreundet waren. Nicht ausschließen kann ich, dass ich Uwe Böhnhardt dort getroffen habe. Holger Gerlach schließe ich aus. Auf alle Fälle nicht getroffen habe ich dort Uwe Mundlos, Beate Zschäpe und Carsten Schultze.

Verschiedene Treffpunkte: Da ich 1994 meine Fahrerlaubnis erhielt und mir einen Trabant zulegte, gab es vorerst keinen festen Treffpunkt mehr. Die meiste Zeit fuhr ich mit André Kapke, der auch Trabant fuhr, umher. Kapke kannte ich bis dahin nur flüchtig, aber nach meiner Erinnerung seit 1990. An Wochenenden fuhren wir auf Dorfdiskos. Ich kann nicht ausschließen, dort auf Uwe Mundlos und Beate Zschäpe getroffen zu sein, denn dort war auch oft Stefan Apel anwesend.

Gut erinnere ich mein erstes Skinheadkonzert in Rudolstadt zusammen mit André Kapke. Mitorganisator oder Organisator dürfte Tino Brandt gewesen sein. Es müsste sich um das Konzert handeln, nach dem Brandt nach eigener Aussage Mitarbeiter des TLfV geworden ist. Kapke und Brandt müssen sich damals schon gekannt haben, denn wir bekamen Plätze auf der Empore zugewiesen. Ich empfand das als angenehm, denn unten auf der Tanzfläche kam es zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen Skins. Das war auch der Beginn unregelmäßiger Fahrten nach Rudolstadt und Schwarza zu den Mittwochsstammtischen. Kapke hatte irgendwann keinen eigenen PKW mehr und wir fuhren mit meinem PKW Wartburg zu den Stammtischen. Holger Gerlach traf ich damals auch immer mal wieder, meist bei ihm zu Hause. Allerdings habe ich auch hier keine Erinnerung mehr, wie oft das gewesen ist. Was ich auch nicht erinnere, ist, ob Gerlach bei Fahrten nach Rudolstadt bzw. Schwarza dabei war. Uwe Böhnhardt war damals mit einer Angelika [D.] aus Gerlachs Nachbarhaus befreundet. Ich sah ihn hin und wieder.

Winzerclub: Es muss Ende 1994, Anfang 1995 gewesen sein, als der Winzerclub zum regelmäßigen Treffpunkt für mich wurde. Anfangs nur wegen der Abendgestaltung. [phon.] Dann war es so, dass ich, weil ich nicht mehr über ein eigenes Fahrzeug verfügte, bereits nachmittags mit Bus oder Bahn in den Winzerclub fuhr und ihn erst abends wieder verließ. Wir, u.a. Uwe Böhnhardt und Stefan Apel, spielten Karten und bei diesen Spielen habe ich zum ersten Mal Beate Zschäpe, damals wohl schon als Freundin von Uwe Böhnhardt, in Erinnerung. Uwe Mundlos habe ich auch im Winzerclub getroffen, aber ich meine, eher selten unter der Woche. Wie lange der Winzerclub für mich regelmäßiger Anlaufpunkt war, weiß ich nicht mehr; ich war auch nach dem Untertauchen von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe noch ab und zu dort.

Lobeda-West: Irgendwann, wohl 1996, verbrachte ich einen Großteil meiner Freizeit in Lobeda-West. Dort wohnten André Kapke und Christian Kapke. Es gab dort verschiedene Treffpunkte, Wohnungen bis Hauseingänge. Der Freundeskreis um Christian Kapke bekam einen Raum im Jugendclub “Impuls”. Dort lernte ich Juliane Walther kennen, mit der ich später eine Beziehung einging. Dort schauten hin und wieder André Kapke und Uwe Böhnhardt vorbei. Uwe Mundlos, Beate Zschäpe und Holger Gerlach erinnere ich nicht, was nicht heißen muss, dass diese nicht auch dort verkehrten. Wir haben uns damals nicht regelmäßig gesehen. [phon.] Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt verbrachten viel Zeit bei Uwes Bruder. Holger Gerlach könnte schon außerhalb von Jena gewesen sein. André Kapke war durch die Arbeit in der Firma seines Vaters viel beschäftigt. Uwe Mundlos dürfte da schon das Ilmenau-Kolleg besucht haben. Ich selber machte eine Ausbildung in einem Möbelhaus. Dadurch waren Treffen meist nur am Wochenende möglich, wobei ich allerdings auch Erinnerungen an Mittwochstreffen in Saalfeld-Gorndorf habe, zu denen Uwe Mundlos aus Ilmenau anreiste.

Freundeskreis Jürgen Helbig / Conny [Co.]: Anfang 1997 verbrachte ich einen großen Teil meiner Zeit mit dem Freundeskreis um Jürgen Helbig und Conny [Co.]. Wir fuhren viel umher. Ich bekam meine erste Wohnung, die beiden waren mir eine große Hilfe bei Renovierung und Umzug. Uwe Mundlos, André Kapke, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe sah ich damals immer seltener. Ich wusste, dass Beate Zschäpe eine Wohnung in Winzerla hatte; André Kapke müsste im gleichen Zeitraum eine Wohnung in Lobeda-Ost erhalten haben. Holger Gerlach dürfte schon in Hannover gewohnt haben, so dass ich ein Zusammentreffen mit ihm fast ausschließen kann.

Zusammengefasst: Unabhängig von den Treffpunkten besuchten wir – damit meine ich André Kapke, Holger Gerlach, Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt, Beate Zschäpe – verschiedene politische Veranstaltungen, wobei ich heute nicht mehr weiß, ob immer alle genannten Personen dabei waren. Erinnerlich sind mir u.a. der Sandro-Weilkes-Marsch in Neuhaus, der Rudolf-Heß-Marsch in Worms oder das Münstermann-Gedenken in Aschaffenburg. Ich erinnere mich auch an die Teilnahme am Roeder-Prozess in Erfurt. Roeder war wegen Sachbeschädigung angeklagt. Er soll Informationstafeln anlässlich der Wehrmachtsausstellung in Erfurt mit dem Wort “Lüge” versehen haben. Zu dem Bild, auf dem Uwe Böhnhardt schreiend zu sehen ist und ich hinter ihm bin, muss man sagen, dass linke Chaoten das Auto von Uwe Mundlos beschädigt hatten. Wir konnten nicht zurückfahren. Bei der Organisation der Rückfahrt, wurden wir mittels Steinwürfen von sogenannten Antifas angegriffen. Böhnhardt drehte sich um und hat etwas in Richtung der Steineschmeißer gerufen. Es gab auch unregelmäßige Zusammenkünfte mit Aktivisten anderer Städte: Volksfeste, Diskos, Badeausflüge, Geburtstagsfeierlichkeiten. [phon.] Ich erinnere mich auch an Urlaubsreisen, so an spontane Wochenendurlaube in der Tschechischen Republik. Neben Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt waren auch Holger Gerlach und Kay [St.] mal mit. Ich erinnere mich an einen Ungarn-Urlaub mit Beate Zschäpe, Uwe Mundlos, Holger Gerlach zum Balaton.

1996 war ich mit Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Kay [St.] am Aufhängen des Puppentorsos beteiligt. Beate Zschäpe war nach meiner Erinnerung nicht dabei. Unsere damaligen Aussagen bei der Polizei sind insoweit richtig, was den Aufenthalt bei der Geburtstagsfeier in Schwarzbach und die Heimfahrt betrifft. Wir waren nach meiner Erinnerung noch kurz in Beate Zschäpes Wohnung und haben diese dann wieder verlassen. Beate blieb zu Hause. Wir sind dann mit dem PKW von Uwe Mundlos zur Brücke gefahren. Ob die Puppe da schon im Auto lag, weiß ich nicht mehr. Mein Tatbeitrag war das Schmierestehen und das Abhören des Polizeifunks. Mir ist nicht erinnerlich, ob ich zum damaligen Zeitpunkt schon wusste, dass mit der Puppe eine Bombenattrappe verbunden werden sollte. Das war eine Reaktion auf eine Absichtserklärung von Jenaer Journalisten, die angekündigt hatten, nicht mehr über die rechte Szene zu berichten [phon.]. Wir wollten sie zwingen, über uns zu berichten. Der Besuch von Ignatz Bubis, des damaligen Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in der BRD, spielte dabei keine Rolle. Danach kam es zu einer Hausdurchsuchungswelle. Dabei wurden Sachen beschlagnahmt, bei denen die Beamten bereits vorher wussten, dass diese wieder ausgehändigt werden müssen. Um die Anzahl der Beschlagnahmungen so niedrig wie möglich zu halten, kam Uwe Böhnhardt auf die Idee, eine Garage oder einen Garten zu mieten, wo man dann solche Sachen lagert. Eine solche Vermietung ist nirgendwo verzeichnet, weshalb aus seiner Sicht die Sachen dort sicher waren. Ich hatte bislang weder Probleme mit Hausdurchsuchungen, noch Dinge, die man dort hätte lagern müssen. Daher hatte ich kein Interesse. Irgendwann habe ich erfahren, dass Uwe Böhnhardt eine Garage an der Kläranlage gefunden hat. Ich muss mindestens einmal dort gewesen sein für eine Reparatur am Fahrzeug von Uwe Böhnhardt. Wir holten Werkzeug aus der Garage. Dort war aber nichts von dem zu sehen, was die Polizei dann 1998 dort gefunden haben will. Die Garage war so eingerichtet, dass man einen PKW hätte unterstellen können. Ich habe keine Koffer öder Ähnliches gesehen. [phon.] Aus meiner Sicht war das eine ganz normale Garage.

Für mich hat auch das sonstige Verhalten von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nie Anlass gegeben zu vermuten, dass die mal dazu fähig sein könnten, schwere Straftaten zu begehen, schon gar nicht gegen Ausländer, weil diese für uns nicht Thema waren. Mir ist auch überhaupt nur ein Vorfall mit Gewalt in Erinnerung. Ein Vorfall im Clubkeller “Modul”. Den habe ich aber nicht komplett mitbekommen, denn ich muss auf dem Rückweg vom Stadtzentrum gewesen sein. Als ich mich auf das “Modul” zubewegte, sah ich einen Menschenauflauf, den ich allerdings nicht zuordnen konnte. Erst als ich nach unten gehen wollte, sah ich Uwe Böhnhardt auf der Straße liegen, von mehreren Personen körperlich bedrängt. Uwe Mundlos habe ich gar nicht wahrgenommen; auch Beate Zschäpe nicht. Irgendwann kam jemand und sagte: “Weg hier!” Ich habe erst später Uwe Mundlos wahrgenommen, der ein lädiertes Gesicht hatte. André Kapke habe ich mit einem zerrissenen Polohemd in Erinnerung. An Holger Gerlach habe ich keine Erinnerung. Das Ganze hatte aber keinen politischen Hintergrund, sondern war eine Kneipenschlägerei, so wurde mir das berichtet.

Was die Bombenattrappen im Stadion und auf dem Nordfriedhof und die Briefbombenattrappen anbelangt, weiß ich nicht mehr, ob ich damals unmittelbar davon Kenntnis hatte. Jedenfalls wurde nicht drüber gesprochen, weil prinzipiell nicht über so etwas gesprochen wurde. Man ging davon aus, dass die Szene mit Spitzeln durchsetzt ist. Da ich zu keiner Zeit für einen staatlichen Dienst als Spitzel gearbeitet habe, habe ich auch nicht nachgefragt [phon.]. Bzgl. der Bombenattrappe am Theaterhaus weiß ich nicht mehr genau, wann und von wem ich erfahren habe, dass das auf Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zurückzuführen ist. Ich glaube, es wurde mir bei einem Treffen nach dem Untertauchen von einem der Uwes erzählt. Ich erinnere mich, dass mir irgendwann mal gesagt wurde, dass das TNT nur dabei gewesen sei, um Aufmerksamkeit zu provozieren. Das passte, denn sie mochten es ja zu provozieren. So als zuerst Uwe Mundlos und später auch Uwe Böhnhardt plötzlich mit einer Art braunen Uniform unterwegs waren. Ich hatte Kenntnis, dass die beiden Uwes die Puppe aufgehängt und die Bombenattrappe am Theater hingestellt haben. Nach meiner Auffassung handelte es sich um Provokationen, mit denen keine Menschen getötet oder verletzt werden sollten. Von daher kam ich nie auf den Gedanken, dass die beiden Uwes zu solchen Straftaten fähig sein könnten, wie sie hier angeklagt sind.

Nach dem Untertauchen: Am 26. Januar 1998 gab es mehrere Durchsuchungsaktionen. Uwe Böhnhardt konnte den Ort verlassen. Was er dann konkret gemacht hat, weiß ich nicht. Mir ist auch nicht erinnerlich, wer zu mir kam, und mich fragte, ob man mein Auto haben könne. Ich weiß, dass es darum ging, vorerst die Stadt zu verlassen. Sicher wurde mir auch von der Durchsuchung berichtet und dass man vorhat, erstmal zu verschwinden. Es war durchaus üblich, seinen PKW zu verleihen. Zumal ich als Ersatz das Auto von Uwe Mundlos bekam. Bzgl. des von Juliane Walther erinnerten Treffens zwischen Volker [He.], ihr und mir in der Wohnung habe ich keine Erinnerung. Ich erinnere mich nur, dass wir bei Jürgen Helbig übernachteten, weil ich vermutete, dass es auch bei mir zu einer Hausdurchsuchung kommen könnte. So etwas war keine Seltenheit. [phon.] Ich wollte gegenüber meinem Mitfahrer zur Berufsschule nicht in Erklärungsnot geraten. [phon.] Was sich in den darauffolgenden Tagen abspielte, weiß ich auch nicht mehr. Ich weiß nur, dass der PKW von Mundlos plötzlich weg war. Das war ungünstig, denn ich war auf ein Auto angewiesen. Irgendwie muss ich das aber kompensiert haben. An Fahrten mit dem Vater von Uwe Mundlos erinnere ich mich jedenfalls nicht, ausschließen kann ich sie aber auch nicht. Auch an den ersten telefonischen Kontakt und sein Zustandekommen habe ich keine Erinnerung.

Es gab ein Telefonzellensystem, das schon früher angewendet wurde. Wer es entwickelt hat, kann ich nicht mehr sagen, auch nicht wie es genau war [phon.]. Es kam zu verschiedenen Telefonaten. Zu Inhalten könnte ich nur Vermutungen anstellen. Genaue Erinnerungen habe ich nur daran, dass ich mehrmals die Mutter von Uwe Mundlos aufsuchen sollte, was ich auch tat. Mit welchen Anliegen, weiß ich nicht mehr. Ich erinnere mich, dass ich nicht nur mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt telefoniert habe, sondern am Anfang auch mit einer unbekannten männlichen Person. An Telefonate mit Beate Zschäpe erinnere ich mich nicht. Auch mit welcher Regelmäßigkeit, erinnere ich nicht. Am Anfang wurde immer beim aktuellen Telefonat der nächste Termin ausgemacht. Später bekam ich eine Funknummer, um mich anzukündigen, und dann die Nummer einer Telefonzelle. [phon.] Ich erinnere mich, dass Jürgen Helbig eine Zeit lang seinen Anschluss und seinen Anrufbeantworter zur Nachrichtenübermittlung zur Verfügung stellte. Telefonisch habe ich von den Uwes erfahren, dass mein PKW mit einem Defekt liegen geblieben ist, wo das Auto steht und wo der Schlüssel versteckt ist. Sie wären in Hannover gewesen und fast von der Polizei geschnappt worden. Man habe sie laufen lassen. Danach hätten sie sich andere Kennzeichen besorgt.

Mit Jürgen Helbig und einer weiteren Person bin ich zu dem angegebenen Ort gefahren; nach meiner Erinnerung in Sachsen, Waldheim, auf einem Feldweg, nicht weit von der Bundesautobahn 4. Das Auto hatte keine äußerlichen Schäden. Die Kennzeichen waren nicht mehr am Auto, sie lagen im Auto. Der Schlüssel lag auf dem Hinterrad. Es ließ sich auch starten, aber es schien ein Getriebedefekt vorzuliegen. Wir haben es zu einer Tankstelle geschleppt. Zuvor haben wir jedoch die Kennzeichen wieder angebracht. Wir beschlossen, mein Auto an der Tankstelle stehen zu lassen und nach Jena zu fahren, um beim ADAC eine Abschleppstange zu leihen und es damit zu probieren. Wie es sich dann ergeben hat, dass Andreas Rachhausen mein Auto mit dem Hänger geholt hat, kann ich nur vermuten. Auf jeden Fall hat er es geholt, es stand dann hinter meinem Haus. Am 3. März 1998 wurde das Auto von Sandro Tauber während einer Diskussionsveranstaltung im Hotel Esplanade in Jena zum Thema Rechte Gewalt von sogenannten Linken angezündet. Da der PKW baugleich mit meinem Fahrzeug war, bot mir Sandro an, sich um die Reparatur meines PKW zu kümmern. Mit Conny [Co.] schleppte ich meinen PKW nach Rudolstadt. Wir halfen bei den Arbeiten. Danach funktionierte mein PKW wieder.

Es muss kurz nach dieser Reparatur gewesen sein, als ich das erste Mal nach Chemnitz gefahren bin, um mich mit Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe zu treffen. Den genauen Termin muss ich telefonisch ausgemacht haben. Ich weiß nicht mehr, ob mit einem der beiden Uwes oder mit einer anderen Person. Auf jeden Fall war vorgegeben, dass ich in der Nähe einer Tankstelle kurz vor Chemnitz auf eine Person warte, die mich dann anspricht. Diese Person, ein Glatzkopf, kam dann auch. Er forderte mich auf, in seinen VW Polo einzusteigen, was ich auch tat. Wir haben uns unterhalten, aber mir ist nur eine Bemerkung zu meinem Auto erinnerlich. Er sagte: “Dein Auto fährt ja wieder.” Wir haben dann meiner Erinnerung nach eine Altbauwohnung in Chemnitz aufgesucht. Dort habe ich Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe das erste Mal nach ihrem Verschwinden wiedergesehen. Was gesprochen wurde, erinnere ich nicht, nur noch eine kleine Wohnung mit einem Schlauchzimmer hinter einem Wohnzimmer. Weitere Personen, außer den Dreien, mir und dem Fahrer waren nicht anwesend. Was die Transporte von Jürgen Helbig anbelangt, habe ich ihn weder gefragt noch gebeten, mir zu helfen. Die Telefonate gingen zunächst über Helbigs Telefonanschluss. Er bot mir seine Hilfe von sich aus an. Ich habe keine Erinnerung, was er transportiert hat. Ausschließen kann ich seine Vermutung, dass es sich irgendwann mal um eine Waffe gehandelt hat. Das vermutet er nur wegen der Ermittlungen. [phon.] Die meisten Sachen kamen von Böhnhardts Eltern. Um was es sich dabei genau gehandelt hat, weiß ich nicht mehr. Auch ob ich von Frau Mundlos etwas ausgehändigt bekam, weiß ich nicht mehr. Was ich aber erinnere, ist der Transport eines Zip-Laufwerks für Uwe Mundlos. Das ist mir nur in Erinnerung, weil er der einzige war, den ich kannte, der ein solches Speichermedium besaß.

Bzgl. der “Pogromly”-Spiele ist es auch schwer, genaue Angaben zu machen. Selbst das Zwischenlager bei Jürgen Helbig ist mir nur erinnerlich, weil er es angegeben hat. Tino Brandt hat einen Großteil der Spiele aufgekauft. Welche Stückzahlen kann ich nicht sagen. Zur Gesamtstückzahl könnte ich auch nur spekulieren, aber mehr als 20 waren es auf keinen Fall. Ich habe das Spiel vor dem Untertauchen mal gespielt. Mundlos hat es mitgebracht, es war in meiner Wohnung. Juliane und Uwe Böhnhardt waren dabei. Ich fand das Spiel nicht sonderlich toll.

Irgendwann Anfang 1999 kam es zu einem weiteren Treffen zwischen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt, Beate Zschäpe und mir. Es waren keine weiteren Personen anwesend [phon.]. Telefonisch wurden mir Zeitpunkt und Ort genannt, und dass ich aufpassen solle, nicht verfolgt zu werden. Mit welchem PKW ich gefahren bin, weiß ich nicht mehr, nicht mein eigener. Das Treffen sollte dazu dienen, von Beate Zschäpe eine Vollmacht für eine anwaltliche Vertretung zu bekommen. Ausschließen kann ich nicht, dass auch Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt entsprechende Vollmachten übergeben haben. Vage erinnere ich mich, dass ich mal bei RA Thaut war. Es ging um die Selbstgestellung von Böhnhardt. Mglw. war Frau Böhnhardt dabei. [phon.] Bei dem Treffen mit den Dreien, das in einem Park in der Nähe von einem Einkaufszentrum stattfand, gab es noch ein persönliches Gespräch zwischen Uwe Böhnhardt und mir. Er äußerte den Wunsch, dass ich mich nach einer scharfen Pistole umhören solle. Wenn es ginge mit Munition. Es sollte eine Pistole und kein Revolver sein. Als ich ihm entgegnete, dass ich mich nicht auskenne, sagte er sinngemäß, ich solle nur darauf achten, dass es ein deutsches Fabrikat ist. Wenn er sie nicht gebrauchen könne, würde er sie wieder verkaufen können. Auf Frage nach der Bezahlung sagte er, ich könnte mal bei Tino Brandt anfragen. Ich habe ihn gefragt, wozu er eine scharfe Waffe bräuchte. Böhnhardt hat mir klar gemacht, dass er nicht mehr in Haft gehen würde und sich eher selbst erschießen würde.
Ob das Treffen mit Eisenecker vor oder nach der Übergabe der Vollmacht stattgefunden hat, weiß ich nicht mehr. Ich erinnere, dass ich mit Carsten Schultze nach Goldenbow gefahren bin. Es ging darum, dass die Drei wieder zurückkommen sollten. Ich erinnere mich sonst noch an eine Frage zu einem Findling, welchen er bei Bauarbeiten gefunden hatte. Dieser lag im Flur und er wollte wissen, ob ich weiß, wie man die Stelle findet, um ihn mit einem Schlag zu zerkleinern.

Irgendwann übernahm Carsten Schultze die Telefonate. Wie es dazu kam, erinnere ich genauso wenig wie das Ansprechen durch André Kapke und mich. Es muss bei ihm schon so gewesen sein, dass er über eine Telefonzelle eine Funknummer angewählt hat. Bei Neuigkeiten [phon.] befand sich ein entsprechender Text mit genauen Anweisungen auf dem Anrufbeantworter, z. B. auch, ob ich bei Telefonterminen dabei sein sollte. Irgendwann ging der Kontakt nur noch über Funktelefone. Welche Aufgaben konkret an wen vermittelt wurden, kann ich nicht mehr sagen, auch nicht, zu welcher Zeit. Es gab aber jedenfalls den Auftrag, in die Wohnung Zschäpe einzubrechen, um persönliche Unterlagen zu sichern. Diesen Einbruch hat Carsten Schultze durchgeführt. Jürgen Helbig stand Schmiere. Das hat mir Carsten Schultze erzählt. Einen Teil der Sachen haben Carsten Schultze und ich hinter der “Fliegerscheune” vergraben. Den anderen Teil haben wir in der Saale versenkt. Des weiteren gab es den Auftrag, ein Motorrad zu stehlen. Der Typ wurde vorgegeben. Ich vermutete, dass die Teile verkauft werden sollten. Das Motorrad sollte irgendwohin gebracht werden. Ich habe mit Carsten Schultze, wie bestellt, ein Motorrad MZ ETZ 150 gestohlen. Es sprang nicht an und wir haben es in einem Gebüsch bei einer Autobahnbrücke versteckt. Später wollte ich entweder alleine oder zusammen mit Carsten Schultze nochmal zu dem Motorrad, es war aber nicht mehr da.

Dann gab es immer wieder die Frage nach finanzieller Unterstützung und die Unterbringung im Ausland war ständig im Gespräch. Kurz nach dem Untertauchen kamen immer noch Gelder zusammen, aber im Laufe der Zeit reduzierte sich das fast auf Null. Wie genau die Gelder zu den Untergetauchten kamen, kann ich nicht mehr mit Bestimmtheit sagen. Zu dem behaupteten Kredit kann ich nur sagen, dass ich zu der Zeit nicht kreditwürdig war. Das ergibt sich auch aus den Finanzermittlungen. Weitere Gelder außer den 500 DM von Tino Brandt habe ich für die Drei nicht entgegengenommen. Das hat nach meiner Erinnerung immer André Kapke gemacht. Die Gelder für die Spiele haben nach meiner Erinnerung Jürgen Helbig und André Kapke weitergeleitet. Aus Geldgeschichten habe ich mich immer rausgehalten, weil es in der Szene immer wieder Streit wegen Geld gab. Es gab immer Gerede, man würde sich selbst bereichern. Bestes Beispiel ist, als André Kapke einmal Geld abhanden kam.

Zum Thema Ausland war von Südafrika und Amerika die Rede. Ich erinnere mich, dass Thorsten Heise als Ansprechpartner im Gespräch war, und dass Holger Gerlach sich darum bemühte. Aber warum das nicht geklappt hat, weiß ich nicht. Zum Stern-Interview erinnere ich, dass eine große Summe im Gespräch war. Ich befürwortete das Interview, weil es den Sprung ins Ausland ermöglichen konnte. Beate Zschäpe wollte nicht ins Ausland. Uwe Böhnhardt war rechtskräftig verurteilt und für ihn kam aus meiner Sicht nur eine Flucht ins Ausland in Betracht. Ich erinnere mich, dass ich für die Vermittlung von Telefonaten mit der Familie Böhnhardt und Tino Brandt zuständig war. Bei der Familie Böhnhardt warf ich Zettel mit Telefonzelle und Zeitpunkt in den Briefkasten. Telefonische Kontakte zwischen Uwe Mundlos und dessen Eltern stellte ich nicht her. Hier übermittelte ich persönlich Nachrichten, zum Beispiel Grüße, und dass es ihm gut gehe, an seine Mutter. Uwe Mundlos hatte die Befürchtung, dass sein Vater zur Polizei geht. Brandt informierte ich persönlich. Ausgemacht hatten wir: Buchbestellung mit Datum und Uhrzeit über das Telefon bei seiner Arbeit. [phon.] Woran ich eine Erinnerung habe, ist ein geplantes Treffen von Familie Böhnhardt und mir mit Uwe Böhnhardt. Aus diesem wurde aber nichts, weil Uwe Böhnhardt zu große Bedenken hatte. Er ging davon aus, dass seine Eltern und ich überwacht werden.

Carsten Schultze erklärte irgendwann seinen Rückzug. Somit übernahm ich dann wieder, wenn auch beschränkt, den Kontakt. Ich nutzte ausschließlich Telefonzellen. Ich erinnere mich an Telefonzellen an den Rewe-Kaufhallen in Winzerla und Lobeda-West. [phon.] Ich rief die bekannten Funknummern [phon.] an und hörte den Anrufbeantworter ab. Viele direkte Telefonate gab es nicht. Erst mit dem Auffliegen von Tino Brandt als Spitzel gab es wieder Redebedarf. Ich sagte einem der Uwes, dass ich nicht derjenige sein möchte, wegen dem sie gefunden werden. Es bewegte sich weder etwas wegen einer Rückkehr der Drei über RA Eisenecker noch bzgl. einer Flucht ins Ausland und ich bat darum, den Kontakt einzustellen. Man wollte sich nur noch ein letztes Mal mit mir treffen. Kurz nach Brandts Enttarnung bin ich mit dem Zug nach Zwickau gefahren. Wer mich am Bahnhof abholte, weiß ich nicht mehr. Wir sind in einen Park in der Nähe des Bahnhofs gelaufen. Das beherrschende Thema war die V-Mann-Tätigkeit von Brandt. Sie fragten mich, ob ich davon ausgehe, dass Brandt etwas zum Aufenthaltsort der Drei verraten hätte. Dazu konnte ich nichts sagen, hielt es aber für möglich. Aus der Frage schloss ich, dass Brandt es wusste. Ich ging davon aus, dass man sie hätte finden können. [phon.] Mir wurde noch gesagt, dass man derzeit überlege, dass sich Beate alleine stellt und die anderen erstmal versteckt bleiben.

Zu den Anklagevorwürfen: Die BAW wirft mir vor, dass ich Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe bei der Organisierung ihres Lebens im Untergrund behilflich gewesen sei. Dies soll ich als “steuernde Zentralfigur der gesamten Unterstützerszene” mindestens bis 2001 getan haben. Diese Behauptung ist unzutreffend und beruht auf Spekulationen. Dies zeigt auch die Beweisaufnahme. Keiner der sogenannten Chemnitzer Unterstützer kannte und kennt mich persönlich. Sicherlich habe ich einen gewissen Beitrag geleistet, v.a. die Flucht vereinfacht, z.B. indem ich ihnen meinen PKW gegeben habe. Allerdings ist es aus meiner Sicht garantiert nicht so, dass man, im Gesamtkontext betrachtet, hierdurch eine maßgebliche Organisierung ihres Lebens im Untergrund erkennen kann. Ich habe mir die Unterstützungsleistungen nicht selber ausgedacht, sondern wurde von den Uwes darum gebeten. Es ist nicht so, dass ich “Mittelsmänner” gebeten habe, Aufträge vorzutragen, sondern diese haben das von sich aus gemacht auf Wunsch der Uwes. Ich erinnere nur an die Aussage von Carsten Schultze, der in seiner Vernehmung am 01.02.2012 sagte, dass “es die allgemeine Stimmung bei Ralf Wohlleben und mir war, dass die drei hoffentlich nichts von uns wollten”. Das war auch meine Einstellung. [phon.] Im Gegensatz zu Jürgen Helbig wollte Carsten Schultze Anerkennung und Lob und hat es mir wahrscheinlich deswegen erzählt.

Was die Waffenbeschaffung durch den Angeklagten Carsten Schultze angeht: Es hat mich stark gewundert, dass er so viele wichtige Details vergessen hat. Insbesondere die Tatsache, dass ihm durch mich oder die beiden Uwes bekannt war, dass ich schon vor ihm den Auftrag hatte, eine Waffe zu beschaffen. Wegen Überwachung und Strafverfolgung wollte ich keine Waffe besorgen. Ich wollte auch nicht am Suizid von Böhnhardt schuld sein. Das sagte ich aber niemandem. Schließlich wurde Carsten Schultze beauftragt; dies sagte mir einer der Uwes am Telefon. [phon.] Ich fragte, wo er denn eine Waffe besorgen könne, wenn ich es schon nicht wüsste. Einer der Uwes sagte, Carsten könne es doch beim Schultz im “Madley” probieren. Als mich Carsten Schultze fragte, versuchte ich nicht, wie die BAW mir vorwirft, diesem Wunsch möglichst genau zu entsprechen, sondern verwies ihn lediglich, ohne dass er mir Details der Bestellung nannte, an Andreas Schultz. Ich ging nicht davon aus, dass er dort Erfolg haben würde, dass man dort neben CDs und Klamotten auch Waffen erhalten kann. Wenn mir die BAW weiter vorwirft, der Angeklagte Schultze habe von mir 2.500 DM erhalten, weise ich dies zurück. Wie die Finanzermittlungen ergeben haben, war ich damals gar nicht im Stande, eine derartige Summe aufzubringen. Hierfür spricht, dass Carsten Schultze selbst ausgesagt hat, das Geld von den beiden Uwes zurückerhalten zu haben. Das Geld hat er jedoch nicht an mich weitergeleitet. Dies spricht gegen den GBA. Ich gehe davon aus, dass das Geld von Tino Brandt kam. Uwe Böhnhardt hatte mir ja gesagt, dass man zu Tino Brandt solle für Geld. Im Übrigen spricht auch das Schreiben von Tino Brandts RA Jauch dafür. Wenn der GBA davon ausgeht, dass die Waffe aus Spendengeldern finanziert wurde, so ist das falsch. So viel [phon.] hatte ich nicht zur Verfügung. Wenn Spenden eingingen wie die 500 DM von Tino Brandt wurden diese immer gleich weitergeleitet, weil sie meiner Kenntnis nach dringend gebraucht wurden. In diesem Fall per Überweisung von Carsten Schultze. Dies ergibt sich auch aus einer Meldung des Thüringer VS.

Das Überbringen der Waffe durch Carsten Schultze zu mir [phon.]: Carsten Schultze hatte von mir keinen Auftrag, mir die Waffe zu zeigen. Ich kenne mich mit Waffen nicht aus. Außerdem hatte ich damals das Gefühl einer permanenten Überwachung. Ich fühlte mich auch in meiner Wohnung überwacht. Ich ging davon aus, dass ich vom gegenüberliegenden Schulgebäude aus akustisch und optisch überwacht werde. Deswegen war ich überrascht [phon.], als er mit einer Waffe vor der Tür stand. Ich war verärgert, dass er eine Waffe zu mir gebracht hat. Was gesprochen wurde, habe ich nicht mehr in Erinnerung. [phon.] Ich weiß noch, dass wir uns die Waffe im toten Winkel meiner Wohnung, im Essbereich, angesehen haben. Ich weiß nicht mehr, wer die Waffe auspackte. Ich war über den Schalldämpfer überrascht. Aus reiner Neugier habe ich den Schalldämpfer aufgeschraubt. Ich habe mit Sicherheit nicht extra Handschuhe geholt. Für mich war der Schalldämpfer ein einfaches Zubehörteil, so wie bei Schreckschusswaffen ein Leuchtkugelaufsatz an Silvester [phon.]. Ich habe auch zu keiner Zeit Überlegungen angestellt, wofür er eingesetzt werden könnte. Er war einfach da. An die von Carsten Schultze geschilderte Situation, wonach ich mit einem Lächeln im Gesicht die Waffe auf ihn gerichtet hätte, kann ich mich nicht erinnern. Ich erinnere mich aber an die Waffe, an den Zustand mit aufgeschraubtem Schalldämpfer. Der Schalldämpfer war definitiv kürzer als die Waffe und dicker als der Schalldämpfer, den ich in den Akten gesehen habe. Er war auch ziemlich schwer, ähnlich schwer wie die Waffe. An ein auffälliges Außengewinde bei der Pistole kann ich mich ebenfalls nicht erinnern. Die Pistole habe ich klobiger als die Ceska in den Akten in Erinnerung.

Ich habe Carsten Schultze nicht beauftragt, die Waffe nach Chemnitz zu bringen. Ich gehe davon aus, dass er das selbst mit den beiden Uwes ausgemacht hat. Eine Einbindung von mir wäre sinnlos gewesen. Ich weise in aller Deutlichkeit die Unterstellung der BAW zurück, ich hätte bei der Beschaffung und Weiterleitung der Waffe damit gerechnet, dass damit ideologisch motivierte Tötungsdelikte begangen werden und mir sei das wegen meiner eigenen Einstellung recht gewesen. Wie ich schon ausführte, ging ich davon aus, dass Uwe Böhnhardt die Waffe ausschließlich für sich wollte, um sich im Falle einer Festnahme selbst zu töten. Egal wie man den Begriff Rechtsextremismus definieren will, Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele lehnte ich zu jeder Zeit und bis heute ab. Diese Haltung war im nationalen Lager bekannt. Sie hat sich bereits durch Zeugenaussagen hier und durch Vernehmungen im Ermittlungsverfahren manifestiert. André Kapke und ich wurden Ende 2007 von einer Horde sogenannter Antifaschisten vor dem Jenaer Rathaus brutal zusammengeschlagen. Als wir am Boden lagen, traten die Angreifer uns mehrfach gegen Kopf und Oberkörper. [Tu.] vom Staatsschutz berichtete mir, eine Zeugin habe angegeben, dass sie dachte, ich sei totgeschlagen worden. Kapke und ich hatten zuvor an einer Sitzung des Jenaer Stadtrates teilgenommen und waren auf dem Weg nach Hause. Die Täter wurden, wie immer, nicht ermittelt. Weiter wurde im März 2008 mein PKW vor meinem Wohnhaus angezündet.

Wohlleben bittet darum, Bilder an die Leinwände zu projizieren. Zu sehen ist ein brennender VW Golf. Dann setzt Wohlleben fort:

Meine Kinder sahen das brennende Auto sogar. In beiden Fällen haben Kapke und ich zum Gewaltverzicht aufgerufen. Dies kann auch der Zeuge Kevin Schnippkoweit [Anmerkung von NSU-Watch: Schnippkoweit wurde 2009 vom Landgericht Kassel wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Haftstrafe verurteilt; er hatte bei einem Nazi-Überfall auf ein Zeltlager der Jugendorganisation der Linkspartei eine 13-Jährige schwer verletzt] aussagen, dass ich die Leute beruhigt habe und sagte, das solle man der Polizei überlassen. Meine Ablehnung von Gewalt umfasst erst recht die Ablehnung von Morden. [phon.] Ich ging zu jedem Zeitpunkt davon aus, dass sich meine Freunde den Behörden stellen oder die Flucht ins Ausland antreten. An schwere Straftaten habe ich keine Gedanken verschwendet. Ich habe nicht damit gerechnet, dass man sich in so einer Situation einem zusätzlichen Fahndungsdruck aussetzt. Die Drei wollten ja nicht geschnappt werden.

In Bezug auf die Erinnerungsleistung des Angeklagten Schultze erstaunt mich ein Fakt extrem, nämlich der, dass er vergessen haben will, dass es im Nachgang an seine Waffenbeschaffung Beschwerden von Uwe Böhnhardt gab, der sagte, dass die beschaffte Waffe gar nicht funktionieren würde. Ich meine, er hat sie sogar als Schrott bezeichnet. Ich weiß nicht mehr, ob Carsten Schultze oder Uwe Böhnhardt mir das sagte. Ich erinnere mich daran, dass Carsten Schultze mit Unverständnis reagierte und sinngemäß sagte: “Jetzt regen die sich auch noch auf.”

Zu sonstigen Vorhalten:

Turner-Tagebücher: Ich habe sie nie gelesen, obwohl sie auf meiner Festplatte gefunden wurden. Ich habe sie zwar heruntergeladen, weiß aber nicht mehr wann und warum. Mich verwundert, dass dem so viel Beachtung geschenkt wird; der Zeitstempel ist vom 18.05.2005. Ich weise darauf hin, dass sich auf demselben Datenträger ein von mir geschnittenes Video “Xenophobie” befindet, das sich mit der Überfremdung der Gesellschaft beschäftigt. Jegliche Art von Fremdenfeindlichkeit wird abgelehnt und als Urheber der kapitalistische Globalismus genannt. Ebenso auch beim Fest der Völker.

Im Folgenden verliest Wohlleben den Aufruf zum “Fest der Völker” 2005, wie er auf diversen neonazistischen Websites veröffentlicht worden war. Man lebe, so Wohllebens Vortrag, “in einer Zeit der Auflösung, des totalen Wandels und der Umstrukturierung aller bisherigen Lebensformen”: “Die damit einhergehende Zerstörung ethnischer und kultureller Eigenarten, die Jahrtausende lang gewachsene natürliche Struktur, wird in naher Zukunft vollkommen ausgelöscht sein.” [Fehler im Original des Aufrufs] Den wenigsten Menschen würden die “eigenen kulturellen und ethnischen Werte” heute noch etwas bedeuten: “Auflösungserscheinungen mit all ihren Nebenwirkungen; Dekadenz, soziale Gleichgültigkeit und Verlust des großen europäischen Geistes in Form seiner abendländischen Philosophie und Wertvorstellung, einer für die Welt einstmals als Leitbild fungierend und wegweisenden großen Epoche sind geopfert auf Altären des Mammons der Kapitalisierung und Industrialisierung unserer Gesellschaft.” [Fehler im Original des Aufrufs]
Wohlleben spricht davon, dass hier eine “neue Jugend” stehe, die “den Geist des alten Europa in sich” trage, sich “der Tragweite der derzeitigen erzwungenen Veränderungen bewusst” sei und diese “aus innerster Überzeugung” ablehne. Man sei die Jugend eines anderen Europas “als der EU-Aristokraten in Maastricht und ihren Kultur vernichtenden Vasallen”. Man fordere den “Erhalt der gewachsenen Strukturen” gegen eine “industrialisierte Zwangsumwandlung in den derzeitig erlebbaren Ausmaßen”. Zwar sollten Kultur und Gesellschaften “wachsen und gedeihen”, aber nicht “zum Spielball internationaler Industriemanager” werden. Überall in Europa wachse unter jungen Menschen die Erkenntnis, dass es nur eine Zukunft geben könne, wenn man sich seiner Vergangenheit bewusst ist: “Ein Baum kann ohne Wurzeln nicht gedeihen.” Dann verliest Wohlleben: “Wir Nationalisten sind keine Ausländerfeinde wie es die Presse gerne behauptet, wir achten jede Kultur und jeden Menschen”. Man sei jedoch, so der Vortrag weiter, der Meinung, dass “jeder Mensch und jede Kultur ihren angestammten Platz in dieser Welt hat” und dieser müsse von jedem respektiert werden.

Wohlleben weiter: “Wir haben verstanden, wer die Nutznießer einer ‘Einwelt’ Ideologie sind, nicht der Mensch, der in ihr nur zum notwendigen Produktions- und Konsumentenmittel verkommt, Nutznießer sind die Großkonzerne und die kleine Kaste die sie leitet, Manager, Politiker Industrielle.” [Fehler im Original des Aufrufs] Die Auswirkungen der derzeitigen Politik, der “massenhaften Einwanderung von fremdländischen Menschen in die Staaten Europas” werde, so Wohlleben weiter, Menschen hervorbringen, die “nicht mehr an ihre Heimat, Kultur und Herkunft gebunden” seien, weil sie “einfach keine mehr” hätten. Diese seien leichter auszubeuten als Menschen, die “an Kultur und Heimat gebunden und mit dieser verwurzelt” seien: “Wer kämpft schon gerne für etwas, zu dem er überhaupt keinen Bezug hat, was ihm völlig egal ist?” Die Auswirkung sei “[m]odernes Nomadentum”, wie es heute schon in den USA alltäglich sei. In der “globalisierten Welt” würden Menschen zu “Spielfiguren der ganz wenigen privilegierten Industriegangster und ihren Helfern aus der Politik”. Die “andere Jugend Europas” wolle mit dem “Fest der Völker” ein Zeichen setzen. Es sei ihnen nicht gleichgültig, “was mit uns und der Welt geschieht”. Man werde “nicht alles unwidersprochen hinnehmen, was uns versucht wird aufzuzwingen”. Wohlleben endet auf den Satz: “Für Deutschland, für Europa.”

Dann lässt Wohlleben eine Videodatei “xeno.mp4” abspielen. [Es handelt sich um eine Version eines Videos der neonazistischen Gruppe “Media pro Patria”. “Media pro Patria” fertigte meist Videos, in denen verschiedene Neonazis in unterschiedlichen Einstellungen Propagandatexte in die Kamera sprechen, oft mit Musik unterlegt. Im Video “Xenophobie” wird “Ethnopluralismus” propagiert. Es richtet sich an andere Neonazis, die vorgeblich davon überzeugt werden sollen, keine “Ausländerfeinde” zu sein. Die Argumentation im Video ist letztlich aber rassistisch.]

Danach setzt Wohlleben mit der Einlassung fort:

Waffenlieferung über Gerlach: Mit aller Deutlichkeit weise ich die Behauptung von Holger Gerlach zurück, dass ich ihm eine Pistole übergeben hätte, damit er sie zu den beiden Uwes bringt. Holger Gerlach hat lediglich bei mir übernachtet, wenn er in Jena war. Uwe Böhnhardt bat auch Holger Gerlach, eine Waffe zu besorgen. Das hat mir entweder Holger Gerlach oder Uwe Böhnhardt gesagt. Ich hatte Holger Gerlach irgendwann informiert, dass Carsten Schultze über das “Madley” eine Waffe organisiert hatte. Deswegen ist es auch nicht verwunderlich, dass er als Bezugsquelle Andreas Schultz nennt, dieser aber einen Verkauf an mich ausschließt. Ich habe den Verdacht, dass Holger Gerlach durch diese Lüge verschleiern will, von wem er die Waffe tatsächlich erhalten hat.

Depot von 10.000 DM: Wenn Holger Gerlach behauptet, ich hätte als Depot 10.000 DM erhalten, so stimmt dies nicht. Ich habe nie einen Betrag in derartiger Höhe erhalten und kann auch ausschließen, dass ich dies vergessen habe.

Bewaffnungsdiskussion: Bzgl. der von Holger Gerlach geschilderten Richtungsdiskussion, die er anfänglich sogar Bewaffnungsdiskussion genannt haben soll, kann ich mich überhaupt nicht erinnern. Eine Bewaffnung, die dem eigenen Schutz dient, also aus Schreckschusspistole, Abwehrspray o.Ä. besteht, war damals jedem selber überlassen. Wenn überhaupt, gab es darüber einen Erfahrungsaustausch. Über scharfe Waffen oder Sprengstoff wurde nie geredet. Worüber es mal eine Diskussion gab, war, ob man aufgrund der medialen Blockadehaltung nicht mal provokantere Aktionen machen sollte.

Verurteilung von André Kapke und mir wegen gemeinschaftlich begangener Körperverletzung im minderschweren Fall: Ende 1998 wurden neben dem Auto von Tino Brandt vor meinem Wohnhaus auch das Fahrzeug des Republikaners Wilhelm Tell und der PKW von Christian Kapke durch Linkskriminelle angezündet. Christian Kapke wurde wenige Tage danach in der Straßenbahn von zwei jungen Frauen angesprochen, was denn seine neuen Schonbezüge machen würden. Weil er diese erst kurz vorher gekauft hatte, ging er von Täterwissen aus und überredete sie zu einem Treffen. Weil er eine Falle befürchtete, entschied er sich dazu, neben einem kameraüberwachten Treffpunkt noch ein paar Bekannte im Hintergrund warten zu lassen. Eine weibliche Bekannte, Jana [A.], sollte die Gesprächsatmosphäre lockern. Wer alles wartete, weiß ich nicht mehr. Gleich zu Beginn kam es zu Unstimmigkeiten unter den Damen. [phon.] André Kapke und ich entschieden uns spontan, nochmal das Gespräch zu suchen. Wir mussten hinterherfahren und ihnen entgegenlaufen. [phon.] André forderte sie mit lauter Stimme auf, sich auszuweisen. Eine der beiden wurde von André an einen Zaun gedrückt. Ich habe keine Erinnerung mehr, warum. Es hat nicht lange gedauert, schnell fand man den Weg zurück auf ein normales Gesprächsniveau. Die Frage, ob sie wüssten, wer das Auto angezündet hat, verneinten beide Damen und nach kurzer Verständigung, das Gespräch doch noch zu führen, sind wir mit ihnen zurück in Richtung des ersten Treffpunkts gelaufen. Ich bin dann zu meinem Auto gelaufen und habe am nächsten Tag erfahren, dass man noch bis tief in die Nacht an der Haltestelle im Holzhäuschen gesessen hätte und es eine angeregte Gesprächsatmosphäre war. Man habe sogar Bücher ausgetauscht. [phon.] Irgendwann später gab es eine Vorladung bei der Polizei, weil Anzeige gegen André Kapke und eine unbekannte Person erstattet worden war. Ich war nur als Zeuge vorgeladen, habe dann aber zugegeben, dass ich der sogenannte Unbekannte bin.

Schultzes Behauptung “Die haben jemanden angeschossen.”: Die von Carsten Schultze aufgestellte Behauptung, es hätte mal ein Telefonat gegeben, welches ich mit dem Satz “Die haben jemanden angeschossen” zusammengefasst hätte, hat es so nie gegeben. [phon.] Entweder zeigt Carsten Schultze starke Belastungstendenzen mir gegenüber oder er erinnert sich falsch. Das Gespräch habe ich meiner Erinnerung nach mit André Kapke oder Brandt geführt. Es ging um den Südafrika-Urlaub von Mike [St.] und einem [Bö.]. Die sollen sich bei einer Schießübung selbst angeschossen haben. Das erklärt auch das Lächeln im Sinne von: “Die Idioten.”

Auch der von Carsten Schultze behauptete Vorfall, wonach ich jemandem auf dem Kopf rumgesprungen sei, zeigt den Belastungseifer von Schultze. Das hat es nie gegeben. [phon.] Es fällt auf, dass Carsten Schultze zugibt, an einer Körperverletzung beteiligt gewesen zu sein und gleichzeitig sagt, dass ich dabei war. [phon.] Das ist genauso bei dem geschilderten Telefonat [phon.] zu Nürnberg: Er gibt zu, Kenntnis von einem Anschlag in Nürnberg erlangt zu haben, und im gleichen Atemzug sagt er, ich hätte ihm von einem Schusswaffeneinsatz erzählt. [phon.] Ich zitiere aus einem Schriftsatz seiner Verteidiger vom 18.12.2012: “Es ist also nicht auszuschließen, dass der Beschuldigte Wohlleben eine entsprechende Bestellung mit Schalldämpfer unmittelbar oder über Dritte dem Zeugen Schultz unterbreitet hat.” Diese Spekulation spricht dafür, dass es die Verteidiger von Schultze sind, die ihn dahin steuern, die Vorgaben aus der Anklage zu bestätigen und damit gleichzeitig ihren Mandanten zu entlasten.

Zur “Geburtstagszeitung”, die ich zusammen mit Jana [A.] André Kapke geschenkt haben soll: Ich schließe aus, dass ich Texte beigesteuert habe. Lediglich Fotos kommen mir bekannt vor und dürften von mir stammen.

Abschließend möchte ich zu verschiedenen Personen Angaben machen:

David [Fe.]: Kannte ich schon Mitte der 1990er Jahre von Dorfdiskos. Ist inzwischen mein Schwager und mir dadurch bekannt. Seinen ehemaligen Gasthof in Lichtenhain/Bergbahn habe ich mehrfach besucht. Dabei gab es auch Fahrten ins angrenzende Oberweißbach. Dort habe ich aber keine weiteren Personen, auch nicht Michèle Kiesewetter, kennengelernt.

Claus Nordbruch: Kenne ich von Schulungsveranstaltungen, kein näherer Kontakt.

Enrico [Ri.]: Kannte ich vor dem Verfahren nicht, evtl. gab es Berichte von Uwe Mundlos über ihn.

Thomas Starke: War mir namentlich schon vor dem Verfahren bekannt, auch ein persönliches Aufeinandertreffen kann ich nicht ausschließen. Dass er mit Beate Zschäpe liiert war, war mir neu.

Frank Liebau: Kenne ich durch seinen Laden, das “Madley”. Es war aber keine freundschaftliche Beziehung. Das “Madley” verdiente mit der Szene Geld, aber es ging kein Geld in die Szene zurück. Ich habe nur ganz selten dort eingekauft.

Andreas Schultz: Kenne ich auch nur aus dem “Madley”. Kein freundschaftliches Verhältnis.

Frank Schwerdt: Kenne ich seit Ende der 1990er Jahre. Er war mein Landesvorsitzender bei der
Thüringer NPD und stellvertretender Kreisvorsitzender im NPD-Kreisverband Jena. Sehr gutes, freundschaftliches Verhältnis.

Jürgen Länger: Kannte ich seit der Schulzeit vom Sehen. Ein Freund von ihm wohnte direkt an der POS. Er fiel durch seine Körpergröße auf. Seinen Namen hielt ich die ganze Zeit für einen Spitznamen. Wir haben uns nie persönlich gekannt. Nur einmal, 2009, fragte er mich, wo die Demonstration zum Arbeiterkampftag am 1. Mai stattfindet.

Enrico Theile: Kannte ich auch nur vom Sehen. Obwohl er an der “POS Rosa Luxemburg” war und in der Nähe wohnte, keinerlei Kontakt.

Torsten Schau: Kannte ich bis zu diesem Verfahren nicht. Es kann sein, dass Uwe Mundlos mir von ihm erzählte, aber ich habe keine konkrete Erinnerung .

Nachfolgende Personen kannte ich bis zum Verfahren nicht: André Eminger, Susann Eminger, Maik Eminger, Matthias Dienelt, Max Florian [Bu.], Fiedlers, Jan Werner, Mandy Struck, Kay [Ri.], Jörg [Ri.], Pierre [Ja.], Andreas Graupner, Antje Probst, Jörg Winter, Thomas Rothe, Enrico [Pö.], Hermann [Schn.], Hendrik Lasch, Hartmut [Tsch.], Carsten Szczepanski, Siegfried [Sch.], Michael Probst, Mirko Hesse, Ralf Marschner, Ralph Hofmann, Hans-Ulrich [Mü.].

Wie alle anderen habe auch ich vom Thema NSU erst im November 2011 aus den Medien erfahren. Unerklärlich ist mir, dass der Staat trotz beinahe lückenloser Überwachung und Durchsetzung mit Spitzeln nicht in der Lage gewesen sein soll, die Drei aufzuspüren. Ich bin nicht schuldig im Sinne der Anklage. Ich bin entsetzt darüber, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos derart kaltblütig Menschen getötet haben sollen. Es war mir unvorstellbar, dass sie zu solchen Taten im Stande waren. Ich habe bis heute keine Erklärung, warum sie es getan haben. Ich kann es kaum glauben und habe kein Verständnis dafür. Ich war mit ihnen über Jahre befreundet, nur deshalb habe ich sie bei ihrer Flucht unterstützt. [phon.] Ich hätte es besser nicht getan. Hätte ich damals geahnt, dass sie einmal Menschen töten würden, hätte ich ihnen nicht geholfen. Ich bedauere jede Gewalttat, durch die Menschen getötet oder verletzt werden. Den Angehörigen der Opfer gilt mein Mitgefühl. Es folgt eine Pause bis 14:36 Uhr.

Götzl: “Mit der Befragung können wir natürlich heute noch nicht fortsetzen, Herr Wohlleben. Was für heute aber noch aussteht, das wäre die Stellungnahme zu dem Entbindungsantrag.”

Dann verliest Zschäpe-Verteidiger RA Heer eine Erklärung zum Entpflichtungsantrag Zschäpes gegen ihre Verteidiger_innen Heer, Stahl und Sturm. Selbstverständlich trete man der Aufhebung der Bestellungen jeweils nicht entgegen. Angesichts des Verhaltens von RA Grasel seien aber einige korrigierende Anmerkungen angebracht. Man gebe keinem Mandanten eine “Anweisung” sich zu erklären oder sich schweigend zu verteidigen, sondern man gebe lediglich Empfehlungen: “Wir haben Frau Zschäpe weder eine Verteidigungsstrategie auferlegt, noch eine Aussage blockiert.” Richtig sei, dass man sie fortlaufend beraten und Einschätzungen dargelegt habe: “Weder haben wir uns einer Diskussion noch der Fortführung ihrer Verteidigung im Falle einer Aussage verschlossen.” Es könne bei Uneinigkeit mit dem Mandanten im Interesse des Mandanten geboten sein, das Mandatsverhältnis zu beenden: “Die von Rechtsanwalt Grasel hierauf gestützte Konsequenz des Verlustes anwaltlichen Beistands bestand von unserer Seite aus zu keinem Zeitpunkt.” Den Vorwurf einer Pflichtverletzung weise man zurück. Dies gelte auch für die wahrheitswidrige Darstellung der Ablehnung einer Kommunikation mit Zschäpe.

Im Folgenden verliest Heer, wann und wie Sturm, Stahl, Heer Grasel bei mehreren Anlässen ihre Kooperationsbereitschaft zugesichert hätten. Man habe ihm etwa mitgeteilt, dass man sich einer Besprechung aller Verteidiger mit der Mandantin nicht verschließe, ferner sei Grasel gebeten worden, die Strategie mit ihnen abzustimmen und sie auf dem Laufenden zu halten. Es sei Grasel angeboten worden, ihn in einer Art Aktenvortrag umfassend über die Beweisaufnahme zu informieren. Darauf sei Grasel nicht zurückgekommen. Man habe Grasel Anregungen gegeben hinsichtlich der Einarbeitung. Es sei ihm angeboten worden, dass er sich nach Besuch bei Zschäpe gerne auch am Sonntag melden könne. Eine Rückäußerung sei nicht erfolgt. Es sei ihm auch mitgeteilt worden, dass auch nach dem Antrag auf Aufhebung ihrer Bestellungen die Bereitschaft unverändert fortbestehe. Am 25.11. sei mit Grasel ein Gespräch über die Konsequenzen einer Änderung der Verteidigungsstrategie geführt worden. Am 07.12. habe man Grasel mitgeteilt, dass man für eine Besprechung zur Verfügung stehe. Am 08.12. habe es eine Besprechung mit RA Borchert gegeben, an deren Ende dieser geäußert habe, er habe das Gespräch als “sehr angenehm” empfunden.

Dann sagt Heer, dass sich Grasel für eine sachgemäße Einarbeitung in der verhandlungsfreien Zeit mit Sturm, Stahl, Heer hätte ins Benehmen setzen können. Dann hätten sich, so Heer, sinnvollere Möglichkeiten ergeben, sich über die Hauptverhandlung zu informieren, als über die Mitschriften von Sturm, Stahl, Heer, die nur zum eigenen Gebrauch bestimmt und für Dritte nicht durchgängig verständlich seien. Da Rechtsanwälte nicht gehalten seien, solche Unterlagen an Mandanten herauszugeben, bestehe kein Anlass sie an Grasel zu geben. Dieser habe außerdem selbst am 15.07.2015 geäußert, dass er, sofern sie ihm zur Verfügung stehen würden, wahrscheinlich auch nichts damit anfangen könne. Grasel selbst habe Sturm, Stahl, Heer eine Liste mit den aus seiner Sicht erheblichen Zeugen zukommen lassen. Dann sagt Heer, dass auch Zschäpe selbst wiederholt Gespräche angeboten worden seien und nennt die Daten. Man habe auch geäußert, dass man sich einer evtl. Änderung der Verteidigungsstrategie nicht verschließe. Heer: “Von einem unkooperativen und unkollegialen Verhalten unsererseits und einem Boykott von Rechtsanwalt Grasel kann keine Rede sein. Der bereits zurückgewiesene Vorwurf eines bewusst schädigenden Verhaltens ist so absurd, dass er keines weiteren Kommentars bedarf. Solange unsere Bestellungen Bestand haben, kommen wir unseren Berufspflichten nach, Frau Zschäpe zu verteidigen. Dass dies nicht hinreichend effektiv möglich ist, haben wir bereits verdeutlicht.” Götzl: “Das ist eine Erklärung für Sie alle drei?” Sturm, Stahl und Heer bestätigen das.

NK-Vertreter RA Hoffmann: “Ich würde darum bitten, dass das Gericht heute schon eine Frage an Herrn Wohlleben stellt, denn es gibt eine Festplatte im Computer von Herrn Wohlleben, die vollständig verschlüsselt ist und wenn er bereit ist, das Passwort herauszugeben, könnte das aufbereitet werden.” Ralf Wohlleben: “Also, ich halte das nicht für sinnvoll, aus dem ganz einfachen Grund, weil die Daten auf der Festplatte, die ich für die Beiträge hier ausgewählt habe, die sollte auch verschlüsselt sein, aber die war es nicht. Die Daten der verschlüsselten Festplatte dürften mit der identisch sein, weil ich da, als ich die verschlüsselt habe, das System neu aufgesetzt hatte.” Götzl sagt, man werde dann morgen zunächst die geladenen Zeugen hören und dann mit der Befragung von Wohlleben beginnen. Wohlleben: “Ich hatte das mit den Verteidigern so vereinbart, das wir maximal die Sachen mit den persönlichen Verhältnissen machen und dann im neuen Jahr die sonstigen Sachen.” Götzl: “Okay, dann morgen persönliche Verhältnisse und Sonstiges im neuen Jahr.” Der Verhandlungstag endet um 14:52 Uhr

Das Blog “nsu-nebenklage“: “Wohlleben bestreitet die ihm von der Anklage vorgeworfenen Taten. Er habe zwar seinen Freunden beim Untertauchen geholfen, es aber niemals für möglich gehalten, dass diese solche Straftaten begehen. Er habe auch einen Tip gegeben, wo Carsten Schultze nach einer Waffe fragen könnte, er sei aber davon ausgegangen, dass Uwe Böhnhardt diese Waffe nur haben wollte, um sich im Falle einer Festnahme selbst zu töten. Im Gegenteil habe er sich in seiner politischen Arbeit, aber auch privat immer gegen die Anwendung von Gewalt, insbesondere gegen fremdenfeindliche Gewalt ausgesprochen. Er greift damit die bereits von André Kapke vorgetragene Charakterisierung seiner Person als ‘Friedenstaube’ auf. Wohlleben inszeniert sich als Opfer. Als Opfer der Wende, die nicht die von ihm gewünschte nationalistische Ausrichtung brachte, sondern Globalisierung, Migration und Kapitalismus. Als Opfer der Polizei, die willkürlich gegen ‘Nationalisten’ vorgegangen sei. Als Opfer der Antifa, die ihn und seine Kameraden immer wieder angegriffen habe. Als Opfer der Mitangeklagten Gerlach und Schultze, die nicht nur sich selbst, sondern auch ihn belasten. Spannend ist, dass Wohlleben angab, Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt mehrfach in Chemnitz und einmal, nach der Enttarnung Tino Brandts als V-Mann (Mai 2001), in Zwickau getroffen zu haben. Bei einem Treffen in Chemnitz sei ein ihm unbekannter ‘Glatzkopf’ dabei gewesen, der Details der Flucht gekannt habe, am Telefon habe ein ihm unbekannter Mann Anweisungen erteilt. Mit diesen Angaben bestätigt er seine wichtige Funktion für die drei, auch bei der Frage, ob diese durch Brandt gefährdet seien. Bemerkenswert an der Erklärung Wohllebens ist, dass sie ähnlich der Erklärung Zschäpes stark auf den angeblichen Selbstmordplan Böhnhardts aufbaut. Wo Zschäpe allerdings abstruse Erklärungen für bestimmte Behauptungen gesucht hat, beschränkt sich Wohlleben auf das bloße Leugnen. Wo Zschäpe ihre politische Einstellung zu verbergen versucht hat, nutzt Wohlleben den Auftritt im Gerichtssaal für politische Propaganda, verliest ausführlich aus dem Aufruf zum von ihm mit veranstalteten ‘Fest der Völker’, spielt ein Neonazi-Propaganda-Video ab, das Theorien des ‘Ethnopluralismus’ darstellt. […] Die Wohlleben stark belastenden Aussagen der Angeklagten Schultze und Gerlach, die zu einem frühen Zeitpunkt bereits gegenüber der Polizei gemacht worden sind und später vor Gericht wiederholt wurden, werden sich mit bloßem Leugnen nicht widerlegen lassen, zumal eine Einlassung zu einem so späten Zeitpunkt, die auf die bereits durchgeführte Beweisaufnahme zugeschnitten ist, ohnehin nur geringen Beweiswert hat. Im Übrigen zeigte sich schon bei der allerersten Frage an Wohlleben, dass er seine Ankündigung, er wolle alle Fragen beantworten, nicht durchhalten wird: gefragt nach dem Passwort einer verschlüsselten Festplatte, weigerte er sich, dieses herauszugeben, behauptete, die Daten seien identisch mit denen auf der nicht verschlüsselten Platte. Eine wenig plausible Erklärung – wenn die Dateien mit den schon bekannten identisch wären, wäre es ja kein Problem, das Passwort herauszugeben.”
http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2015/12/16/16-12-2015

Der Beitrag Protokoll 251. Verhandlungstag – 16. Dezember 2015 erschien zuerst auf NSU Watch.


„Ich denke, hier ist viel aufzuklären.“ – Bericht aus dem NSU-Untersuchungsausschuss Mecklenburg-Vorpommern 14.06.2019

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Beim NSU-Untersuchungsausschuss in Mecklenburg-Vorpommern wurde am 14.06.2019 die Nebenklage-Vertreterin Antonia von der Behrens als Sachverständige gehört. Sie sagt insbesondere zum Gruß an den NSU im Fanzine “Der Weisse Wolf” aus. Sie betont, dass ohne ungeschwärzte Akten eine Aufklärung nicht möglich sei. Antonia v. d. Behrens stellt dar, dass auch beim NSU-Mord an Mehmet Turgut ausschließlich gegen die Familie und in Richtung Organisierte Kriminalität ermittelt worden sei. Dabei hätte es gerade bei diesem Mord in Rostock viele Hinweise auf einen rechten Hintergrund gegeben. Von der Behrens fordert den NSU-Untersuchungsausschuss Mecklenburg-Vorpommern auf, die Rolle des Fanzines “Der Weisse Wolf” im NSU-Komplex und das Wissen der Behörden darüber aufzuklären.

Sachverständige:

  • Antonia von der Behrens – Nebenklagevertreterin im NSU-Prozess

In der zweiten öffentlichen Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses in Mecklenburg-Vorpommern ist Antonia von der Behrens, Nebenklagevertreterin im Münchener NSU-Prozess, als Sachverständige geladen. Eröffnend stellt sie dar, wie wichtig es sei, dass der Untersuchungsausschuss sich nochmal die Aufgabe der Aufklärung setze: „Es gibt kein Bundesland, in dem es so viele und unterschiedliche Verbindungen des NSU gibt.“ Sie legt dann zunächst dar, welche Informationen den Behörden zum Zeitpunkt des Mordes an Mehmet Turgut am 25.02.2004 vorgelegen hätten. Zum Einen bezieht sie sich auf die Meldungen von Carsten Szczepanski alias V-Mann Piatto, der den Behörden bereits 1998 Hinweise auf das Unterstützungsumfeld, Waffenbeschaffung und geplante Überfälle weitergegeben hatte. Zum Anderen zeigt sie auf, dass den Behörden das Kürzel „NSU“ ab 2002 bekannt war, nicht als der NSU, aber als Name, davon zeigt sich die Sachverständige überzeugt. Das zeige sich an dem sog. NSU-Brief und den darauf folgenden Gruß an den NSU in Neonazi-Zine „Der Weiße Wolf“, worauf sie später noch einmal ausführlich eingehen werde.

Trotzdem sei nach dem Mord an Mehmet Turgut nur in Richtung Organisierte Kriminalität ermittelt worden, nie sei ein rassistisches Motiv in Betracht gezogen worden. Die Kritik sei nicht, dass überhaupt gegen die Familien ermittelt wurde, sondern, dass dies der einzige Ansatz gewesen sei. Jede noch so kleine Spur in Richtung Organisierte Kriminalität sei verfolgt worden, Spuren in die andere Richtung dagegen gar nicht. In Rostock seien aber die Hinweise sehr stark gewesen, das dies eine falsche Ermittlungsrichtung gewesen sei. Keiner habe beispielsweise wissen können, dass Mehmet Turgut im Imbiss sein würde. Da habe sich die Frage aufgedrängt, hatte man es wirklich auf ihn persönlich abgesehen oder sei dies ein symbolischer Mord gewesen.

Welche Rolle Mecklenburg-Vorpommern im NSU-Prozess gespielt habe, werde sie schriftlich in ihrem Gutachten ausführen, sagt Antonia v. d. Behrens. Sie wolle nun auf den Punkt der Kommunikation zwischen dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Thüringen und der Abteilung für Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern eingehen. Sie beziehe sich insbesondere auf die „Akte Drilling“, das seien zwei Bände des LfV Thüringen, diese seien nicht mehr als geheim eingestuft, daraus könne man zitieren. Aus der Akte ergebe sich, dass wenige Tage nach dem Abtauchen am 26.01.1998 das LfV Thüringen das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und andere Landesämter über das Abtauchen informiert habe und darum gebeten hätten, dass die anderen Ämter in der Sache nachforschen sollten. V. d. Behrens sagt, sie gehe davon aus, dass es über diesen Vorgang Akten in Mecklenburg-Vorpommern geben müsse. Es habe zu dieser Anfrage immer mal Rückmeldungen gegeben, vor allem von Tino Brandt. Diese Informationen seien zum Teil in Thüringen geblieben, manchmal seien sie weitergegeben worden. Dies sei im sog. Schäferbericht aufgearbeitet worden, die habe man untersucht, wer was bekommen habe. So könne man überprüfen, was in Mecklenburg-Vorpommern vorliegen müsste.

Im Juni 1999 habe es einen vorläufigen Abschlussbericht des LfV Thüringen gegeben. Es wird deutlich, dass sich das LfV Aufgaben angemaßt habe. Sie hätten auch Fahndung betrieben, das dürfe der Verfassungsschutz gar nicht. Aber deswegen gebe es auch viele Informationen in dem Bericht. Darin finde sich der Hinweis, dass die drei im nördlichen Bereich der Bundesländer untergetaucht seien. Darüber haben es Kommunikation mit anderen LfVs gegeben. Der Abschlussbericht sei nach Sachsen, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern gegangen, jedoch nicht nach Schleswig-Holstein oder Hamburg. Daraus könne man ableiten: Mit dieser Formulierung sei Mecklenburg-Vorpommern gemeint, sonst hätte man auch die anderen informieren müssen. Es sei die Frage, ob der Bericht in Mecklenburg-Vorpommern angekommen und wie damit umgegangen worden sei. Aber für Behauptung des Untertauchens im nördlichen Bereich gebe es keinen Beleg, es sei versucht worden, das in Thüringen nachzuvollziehen. Vor dem dortigen Untersuchungsausschuss sei angegeben worden, es sei der Kontakt zu RA Eisenecker gemeint gewesen, da sei es um die Unterbringung der drei gegangen. V. d. Behrens stellt dagegen, dass es nach Aktenlage nicht um Unterbringung sondern um rechtliche Vertretung gegangen sei. Sie fragt, ob es tatsächlich Hinweise gegeben habe oder ob dies nur eine Ablenkung von Sachsen gewesen sei. Vielleicht könne die Abteilung für Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern weiterhelfen, was sie mit dieser Information gemacht hätten.

RAin v. d. Behrens wendet sich nun den Verbindungen des NSU zu Anwalt Dr. Hans Günther Eisenecker zu. Es sei bekannt, dass Dr. Eisenecker nicht nur Vorsitzender des NPD-Landesverbands Mecklenburg-Vorpommern war, er habe bundesweit Neonazis vertreten, auch mehrfach aus Thüringen. Daher sei ein Kontakt zum späteren Unterstützungsumfeld entstanden. Der erste relevante Hinweis sei von Tino Brandt gekommen. Er habe 1999 mitgeteilt, Mario Brehme habe Ende 1998 ein Praktikum bei Eisenecker gemacht, er habe dort auch Akten bearbeiten dürfen. V. d. Behrens führt aus, es sei möglich, dass Mario Brehme über diesen engen Kontakt mehr über den Kontakt von Eisenecker zum NSU gewusst habe. Im NSU-Prozess habe er dies allerdings verleugnet. Er habe keine Informationen gehabt, das sei aber eine „Nullaussage“.

Ende Januar 1999 habe Brandt gemeldet, dass es einen Termin von Unterstützern von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe bei Dr. Eisenecker geben solle, es gehe um die Möglichkeit der rechtlichen Unterstützung. Als Termin habe er den 05.02.1999 genannt. In Mecklenburg-Vorpommern sei es daraufhin zur Observation des Treffens gekommen. Die Abteilung für Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern habe das Treffen observiert. Vorher sei Norbert Wießner vom LfV Thüringen – als V-Mann-Führer mehrerer wichtiger V-Leute im NSU-Komplex, eine zentrale Person – nach Mecklenburg-Vorpommern gekommen. Er habe die Einweisung für die Observation übernommen. Tatsächlich seien dann Ralf Wohlleben und Carsten Schultze beobachtet und fotografiert worden, die RA Eisenecker besuchten. Diese Fotos gebe es in der „Akte Drilling“. Noch am selben Abend hätten sich Wohlleben und Schultze bei Tino Brandt gemeldet, es sei alles gut gelaufen. RA Eisenecker brauche eine Vollmacht. Dann sei versucht worden, eine Vollmacht zu besorgen, am 07. März 1999 habe diese Vollmacht von Zschäpe vorgelegen. Wie diese dahin gekommen sei, sei nicht nachweisbar. Zschäpe habe in ihrer Einlassung behauptet, sie habe am RA Eisenecker persönlich getroffen, es hätte ein Treffen in einer Gaststätte gegeben. RAin v. d. Behrens sagt, sie wolle das nicht bewerten, aber man wisse, die drei hatten viele Kontakte in die Außenwelt, aber sie seien vorsichtig gewesen, wie sie diese pflegten. Das sei alles überlegt und durchdacht gewesen. Daher könne es nicht sein, dass es keinen Vorlauf für das Treffen gegeben habe. Davon stehe aber nichts in den Akten, daher könne das Treffen auch evtl. nicht stattgefunden haben. Das was Zschäpe gesagt habe, könne auch alles erfunden sein, das müsse man im Hinterkopf behalten.

Einen Tag später habe es ein Telefonat zwischen Brandt und Böhnhardt gegeben. Das habe Brandt vorher dem LfV Thüringen gemeldet, aber die hätten das Telefonat angeblich nicht abgehört. Es gebe aber ein Gesprächsprotokoll. Daraus gehe hervor, dass Böhnhardt sich nach Eisenecker und seiner Vertrauenswürdigkeit erkundigt habe, Eisenecker habe sich auf einer Demonstration „unkameradschaftlich“ verhalten. Brandt habe gesagt, es sei alles ok, Eisenecker habe im Sinne der Demonstration gehandelt. Ob da Telefonat mit einem tatsächlichen Treffen in Verbindung gestanden habe, sei unklar, aber es habe viel Kommunikation gegeben.

V. d. Behrens berichtet von einer weiteren Meldung Tino Brandts. Eisenecker soll sich mit Familie Böhnhardt getroffen haben, außerdem habe Wohlleben zu Brandt gesagt, dass die drei sich mit Eisenecker treffen wollen, es solle einen Code geben, dann wisse Brandt, zwei Tage später sei das Treffen. Aber ob es so gekommen sei, wisse man nicht, Brandt habe das nicht gemeldet. Zschäpe habe dazu ausgesagt, es habe ein weiteres Treffen und zwei weitere Telefonate gegeben. Ob das stimme sei unklar, klar sei: „Es gibt im Frühjahr 19999 eine hohe Kontaktdichte zwischen NSU, NSU-Netzwerk mit Eisenecker.“

Der Untersuchungsausschuss müsse klären, was die Behörden in Mecklenburg-Vorpommern mitbekommen hätten. Dies hänge daran, wie weit Eisenecker überwacht worden sei, rechtlich sei das zwar schwierig: „Aber nach der einen Observation soll das aufgehört haben?“ Das sei unwahrscheinlich, diese Verbindungen und Ansatzpunkte müssten sich angesehen werden.

V. d. Behrens geht nun über zum zweiten Komplex, der sog. „NSU-Brief“ und der Gruß an den NSU im

“Der Weisse Wolf” Nr. 18, Vorwort mit Gruß an einen “NSU

Neonazi-Fanzine „Der Weisse Wolf“. Wichtig sei zunächst sich vor Augen zu führen, dass es überhaupt das Wissen um den Gruß gebe, sei auf das apabiz und NSU-Watch zurückzuführen, die das damals veröffentlicht hätten. Dies hätte Ermittlungen in Gang gesetzt. Ohne die Veröffentlichung wäre das nicht ermittelt worden, die zum sog. „NSU-Brief“ gehörige Adressliste wäre nur auf Festplatte des NSU gefunden worden, man hätte nicht nachweisen können, dass der NSU den Brief auch verschickt hat. Nach der Veröffentlichung habe das BfV dann behauptet, sie hätten davon nichts gewusst zu haben. Mecklenburg-Vorpommern habe sich bis vor Kurzem gar nicht öffentlich dazu verhalten. Es habe aber im Anschluss an die Veröffentlichung Durchsuchungen bei David Petereit gegeben. Dabei seien eine Kopie des Briefs sowie in der Privatwohnung von Petereit der abgeheftete Brief in Ordnern gefunden worden. V. d. Behres sagt, es sei unklar, ob in den Prozess-Akten eine Kopie des wirklichen Briefs sei, da müsste der Untersuchungsausschuss sich drum bemühen, eine Originalkopie zu bekommen, um das mit Festplatte abzugleichen. Petereit habe beim Prozess gesagt, er erinnere sich nicht. Das sei aber unglaubwürdig, dass er eine Spende von 2500 € vergesse, wenn er sich im Heft schon für Spenden für 20€ bedanke.

Jedenfalls habe es mit den Durchsuchungen den Beleg gegeben: Der sog. „NSU-Brief“ sei versandt worden. Es habe weitere Durchsuchungen gegeben, bei wem, das habe sich aus dem Zettel mit den zehn Adressen von Neonazi-Projekten und Institutionen ergeben, der in der Frühlingsstraße gefunden worden sei. Auf dem Zettel seien die Adresse als Paare gegenüber geschrieben gewesen und aus dem aus sog. „NSU-Brief“ ergebe sich, dass der Brief zehnmal versandt worden sei. Die Adressen seien in diesen Paaren als Adresse und Absender auf den Umschlag geschrieben worden. Wenn er nicht hätte zugestellt werden können, wäre er an den jeweiligen Absender, also eine andere Neonazi-Organisation gegangen. Man habe nur diese zehn Adressen, vielleicht habe es mehr gegeben. Es sei in der Frühlingsstraße ja auch viel Papier verbrannt, Datenträger kaputt gegangen. In den Asservaten gebe es nur einen Ausschnitt, aber hier könne man sicher sein, hier sei wurde versendet worden. Nicht nur fünfmal, sondern an alle.

Der Herausgeber des Fanzines „Fahnenträger“ aus Sachsten-Anhalt, Torsten Wabra, habe beim BKA zugegeben, dass er den Brief bekommen habe. Im Prozess habe er es geleugnet. Aber beim BKA habe er angeben, das dies für ihn großes Ereignis gewesen sei, 500€ zu bekommen. Auch sein Umfeld habe das noch gewusst, das zeigten ebenfalls Vernehmungen. Überall sonst sei nichts gefunden worden. Bei Vernehmungen sei geleugnet oder tatsächlich nicht gewusst worden. Die Ermittlungen des BKA seien lückenhaft, nicht alle potentiellen Empfänger seien vernommen worden, nicht alle Durchsuchungen seien gemacht worden.

Im Juni/Juli 2012 habe die Frankfurter Rundschau dann berichtet, es gebe eine Quellenmeldung aus Mecklenburg-Vorpommern von 2002, beim „Weissen Wolf“ sei eine Spende mit Begleitbrief eingegangen. Im Bundestagsuntersuchungsausschuss sei das Sebastian Egerton (Dienstname) vom BfV vorgehalten worden, der habe die Meldung bestätigt, habe es später aber zurückgenommen. V. d. Behres sagt, insgesamt sei das unklar, was das BfV angehe: „Haben sie Meldung aus Mecklenburg-Vorpommern erhalten, wer hat sie gesehen, wer hat sie inhaltlich zur Kenntnis genommen, wer hat sie in Verbindung gebracht mit Grüßen im ‚Weissen Wolf‘“? Das sei unklar, alles werde relativiert. Egerton habe erst gesagt, sie hätten sie bekommen, aber er habe sie nicht gesehen. Bei dem Sonderermittler Jerzy Montag habe er zugegeben, dass er sie gesehen habe, aber er habe sie nicht mit dem „Weissen Wolf“ in Verbindung gebracht. Später habe Egerton das zurückgenommen, Montag habe aber gesagt, so habe Egerton ausgesagt, auch seine Mitarbeiter hätten dies gehört.

Antonia v. d. Behrens sagt, die Frage sei, wie wurde Heft in BfV ausgewertet? V-Mann Thomas Richter (Corelli) sei beauftragt worden, das Heft zu besorgen. Egerton habe behauptet, sie hätten die Grüße nicht ausgewertet, darin bleibe er zwar konsistent, aber das halte sie für unglaubwürdig.
Egerton habe gesagt, die Grüße wären zu viel für die Auswertung gewesen. V. d. Behrens führt dagegen aus, in Ausgabe 18 gebe es keine Grußseite, nur den Gruß an den NSU im Editorial. Der „Weisse Wolf“ sei kein Skinszine, es sei formal recht ordentlich gewesen, es habe eine inhaltliche Ausrichtung gehabt.
Zusätzlich seien die Grußseiten für die Ämter sehr wichtig, um Netzwerke nachvollziehen, man könne sehen, wer grüßt wen, wie stehe Szene da. „Wenn man sich auskennt, ist das auch schnell gemacht.“ Diese Angabe, man habe das nicht für wichtig genommen, das sei zu viel, das sei schlicht falsch, das müsse die Grundlage für VS-Arbeit sein, sonst mache das keinen Sinn. Zusätzlich sei der Gruß prominent platziert gewesen. Im Editorial gehe es darum, nicht mehr Party zu machen, sondern richtig zu kämpfen, dann käme abgesetzt fett der Gruß an den NSU.
Daran müsse man die Ämter festhalten. Auch wenn diese behaupten, das Heft sei verloren gegangen, die Ausgabe mit den Auswertungen sei nicht mehr da. Das Problem für den Untersuchungsausschuss sei, er sei für Mecklenburg-Vorpommern zuständig, trotzdem müsse der Wissensstand des BfV eine Rolle spielen.

Bei der Abteilung für Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern gebe es weniger Informationen, so v. d. Behrens. Aber es gebe eine Deckblattmeldung. Diese hätten sie im Prozess nie gesehen, aber es habe eine Zusammenfassung der Behörde, ein sog. Behördenzeugnis, gegeben. Diese besage, es gebe keine keine weiteren Erkenntnisse, der V-Mann habe das Kürzel NSU nicht erwähnt. Die Abteilung für Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern sagt, sie hätten die Ausgabe nicht. Das sei allerdings nicht glaubwürdig. Im ersten NSU-Bundestagsuntersuchungsausschuss habe der damalige BfV-Chef Rainer Fromm angegeben, die Auswertung sei im BfV und in Mecklenburg-Vorpommern erfolgt. V. d. Behrens: „Das kann nur passieren, wenn das Heft vorliegt.“ Außerdem sei unglaubwürdig, dass die Abteilung für Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern sich das das wichtigste Fanzine in Mecklenburg-Vorpommern nicht besorgt habe. Das müsse der Untersuchungsausschuss aufklären.

Selbst wenn man Heft weglasse, gebe es die Quellenmeldung. Da gehe es um 2.500€ Spenden, die anonym eingegangen seien. Da liege es nahe, dass dies kein legal erworbenes Geld sei. Das Geld sei für eine Szene gewesen, die immer Geld brauche. Es sei unwahrscheinlich, dass man da dem V-Mann keine weiteren Aufträge gebe und/oder bundesweit schaue, ob es weitere Briefe gebe. Das sei unwahrscheinlich, wenn der Verfassungsschutz seinen Auftrag ernst nehme. Das sei eine besondere Meldung gewesen, sonst sei es immer nur um Konzerte gegangen. Daher halte sie es für unwahrscheinlich, dass das BfV keine Folgemaßnahmen eingeleitet habe, es sei unwahrscheinlich, dass nichts weitergeleitet worden sei, nicht nachgeforscht worden sei. „Ich denke, hier ist viel aufzuklären.“

Ein weiterer Punkt sei, welche Rolle David Petereit im NSU-Komplex spiele. In Sachsen sei der NSU von Blood & Honour Sachsen unterstützt worden, diese hätten enge Kontakte zu B&H Mecklenburg-Vorpommern gehabt. Alle ursprünglichen Macher vom „Weissen Wolf“ hätten Kontakt zu Uwe Mundlos gehabt, entweder über Ecken oder persönliche Kontakte. Es habe engen Kontakt zwischen Sylvia Fischer und David Petereit gegeben, beide seien in der Hilfsgemeinschaft Nationale Gefangene (HNG) gewesen. Ihr Mann Maik Fischer sei aus Rostock gekommen, er sei in Brandenburg im Gefängnis gewesen, da habe er mit dem „Weissen Wolf“ angefangen. Er und Petereit kannten sich schon lange, ab Ausgabe 13 des „Weissen Wolf“ sei Petereits Postfach im Heft angegeben worden, das alte sei händisch durchgestrichen gewesen. In Heft 14 habe Maik Fischer das Heft an eine jüngere Person abgeben. In Ausgabe 15 melde sich im Vorwort „Eihwaz“, dies sei belegbar das Pseudonym von Petereit. Man könne also davon ausgehen, ab Ausgabe 15 habe David Petereit den „Weissen Wolf“ betreut. In Ausgabe 18 finde sich dann der Gruß an den NSU.
V. d. Behrens sagt, der „Weisse Wolf“ sei von Anfang an von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gelesen worden. In der im Januar 1998 durchsuchten Garage seien zwei Exemplare gefunden worden, die 1. und die 4. Ausgabe, in Ausgabe 4 werde Mundlos gegrüßt.
Personen aus späteren NSU-Netzwerk, mit denen die drei schon vor 1998 im Kontakt waren, hätten außerdem für den „Weissen Wolf“ geschrieben, z.B. Thomas Starke. Mundlos habe den „Weissen Wolf“ an inhaftierte Neonazis versandt.

In Ausgabe 17 des „Weissen Wolf“ gebe es einen Spendenaufruf, man brauche Geld für Webhosting. Was Ausschlag für die Spende gegeben habe, sei unklar. Vielleicht die Verbundenheit und der Aufruf, beides sei naheliegend. V. d. Behrens sagt, man könne dann durchaus nachvollziehen, wie das Geld investiert werde: Das Cover werde bunt, die Druckqualität besser, man habe die Ausgabe rechtlich überprüfen lassen. Mit Ausgabe 20 höre der „Weisse Wolf“ auf, es sei aber unklar, warum. Die inhaltliche Ausrichtung des Hefts sei dem NSU entgegengekommen. Der NSU habe immer kritisiert, dass die Neonazi-Szene zu viel Party mache und zu viel trinken würde. Das gleiche stehe im „Weissen Wolf“, dort gehe es um Ideologie, Gefangenenbetreuung habe einen großen Stellenwert, Konzepte wie „Leaderless Resistance“ würden diskutiert. Ideologisch habe das Heft also dem NSU nahe gestanden. Es seien auch Kontakte nach Sachsen im Heft sichtbar gewesen, beispielsweise hätten Läden aus Sachsen Anzeigen geschaltet.

Nach der Ausgabe Nr. 18 des „Weissen Wolf“ habe David Petereit, Thomas Richter, alias V-Mann Corelli bei einer Party von Enrico Marx, dessen Kameradschaft Teil des Thüringer Heimatschutz war, getroffen. Thomas Richter habe bei Vernehmungen gesagt, Petereit habe ihn angesprochen, ob er den „Weissen Wolf“ im Internet hosten könne, er habe sich bereit erklärt und habe es dann auch nachvollziehbar gemacht. V. d. Behrens betont, Thomas Richter habe Kontakt zu NSU-Umfeld gehabt, wo Name NSU falle, sei er nicht weit. Die Sachverständige sagt, sie gehe davon aus, dass Richter nicht von Petereit angesprochen worden sei, sondern dass Richter darauf angesetzt wurde, das scheine ihr plausibler und aus Logik des BfV wahrscheinlicher. Aber das BfV habe verneint, dass es den Gruß an den NSU überhaupt wahrgenommen habe.

Die Vorsitzende des Untersuchungsausschusses bedankt sich und fragt nach den Polizeiermittlungen nach dem Mord an Mehmet Turgut und ob es Hinweise in Richtung rechts gegeben habe.
V. d. Behrens sagt, das komme darauf an, was als Hinweis ausreiche. 2006 sei eine zweite Fallanalyse in Auftrag gegeben worden. Darin sei ein zweiter möglicher Ermittlungsstrang neben dem Bereich Organisierte Kriminalität aufgemacht worden: Ein bis zwei Täter könnten aus „Türkenhass“ morden. Diese Ermittler hätten also genug Informationen gehabt, um beide Thesen für möglich zu halten. Aus Sicht von v. d. Behrens sei einer der Punkte gewesen, dass kein Kontakt zwischen den Opfern hergestellt werden konnte. Die Opfer seien sehr unterschiedlich gewesen, es sei eher unwahrscheinlich gewesen, dass die sich zusammenschließen würden. Es habe mehrere Tatorte gegeben, bei denen die Täter nicht hätten wissen können, dass die später ermordete Person da anzutreffen ist. Die Familien und auch Familie Turgut hätten stets betont, sie können sich ein rechtes Motiv vorstellen, das sei immer ignoriert worden. V. d. Behrens sagt, wenn man das alles zusammen nehme und man kein Motiv finden könne, dann hätte es auf jeden Fall ein Ermittlungsstrang sein müssen, in Richtung eines rechten Motivs zu ermitteln. In der Berichten der BAO Bosporus sei aber immer davon die Rede, man habe zwar keine Hinweise, aber es müsse sich um Organisierte Kriminalität handeln.

Diesem zweiten Ermittlungsschiene in Richtung Rechts sei 2006 aber nur kurz nachgegangen worden. Das habe auch an der Fussball-WM 2006 gelegen. Das Motto sei gewesen „Die Welt zu Gast bei Freunden“, daher seien die Erkenntnisse zurückgehalten worden. Dann sei nur kurz ermittelt worden. Dann sei Baden-Württemberg beauftragt worden, eine Fallanalyse zu erstellen. Diese sei zu dem Ergebnis gekommen, es könne sich nur um Organisierte Kriminalität handeln, es könne sich außerdem nur um einen Täter handeln, der nicht aus Europa komme. Damit sei der zweite Ermittlungsstrang in Richtung rechts beendet worden.

Es habe vorher einen Versuch in Nürnberg gegeben, vom LfV Bayern Erkenntnisse zu Nürnberger Neonazis zu bekommen, es habe nach einer längeren Zeit eine Liste von Neonazis übergeben. In dieser hätten keine Frauen drin gestanden, sonst hätte darin auch die NSU-Unterstützerin Mandy Struck stehen müssen. Dann habe es Gefährderansprachen gegeben, die Neonazis hätten angegeben, nichts über die Mordserie zu wissen, damit sei das beendet worden. Die Verfassungsschutzämter hätten außerdem keine Informationen weitergegeben, obwohl sie gewusst hätten, dass Neonazis in Sachsen sind, die Geldprobleme haben und es eine Überfallserie gegeben habe. Auch das Wissen über die Ideologie, die zu der Mordserie passe, wurde nicht weitergegeben. Es hätte aber auch keine Anfragen gegeben.

Es fragt der Linkspartei-Abgeordneter Peter Ritter, wie v. d. Behrens es einschätze, dass nach dem Mord an Mehmet Turgut, bei der „Soko Kormoran“, ein Drogenermittler als Chef eingesetzt wurde. Er fragt nach der der V-Leute Praxis in den 90er Jahren und nach der Bewertung der Sachverständigen zur sog. „Trio-These“ der Bundesanwaltschaft.

V. d. Behrens sagt, der Mord an Mehmet Turgut wäre ein guter Zeitpunkt gewesen, die Ermittlungsrichtung zu ändern. Aber wenn man einen Drogenermittler einsetze, dann sei die Richtung schon klar. Wenn man alle Fakten damals zusammen genommen hätte, hätte in Richtung rechts ermittelt werden müssen. Man zementiere das mit dem Einsatz eines Drogenermittlers, dass es nicht in diese Richtung geht. Es seien in Mecklenburg-Vorpommern auch türkische Ermittler eingesetzt worden. Die Polizei habe gesagt und auch öffentlich kommuniziert, dass die Familien mauerten, da hätten die Ermittler die Hoffnung gehabt, bei türkischen Beamten, da komme mehr raus. Der Besitzer des Rostocker Imbiss habe in dieser Situation seinen Mut zusammen genommen, er glaube, der Mord habe einen rechten Hintergrund. In dem Protokoll der Vernehmung stehe das aber nur nur so da, es sei keine Spur angelegt worden.

V. d. Behrens beschreibt die Erfahrungen der Familien als regional unterschiedlich. Die bayrischen Ermittler seien besonders gnadenlos gewesen, sie hätten der Frau von Enver Şimşek vorgespielt, ihr Mann habe eine Affäre gehabt, um sie aus der Reserve zu locken. So krasse Formen fänden sich an anderen Tatorten nicht, aber nirgendwo sei Rücksicht genommen worden. Es sei nicht gesehen worden, dass sie ihren nächsten Menschen verloren haben. Eine Ehefrau musste den Tatort selbst sauber machen. Einer anderen Ehefrau seien die Asservate vom Mordtatort ausgehändigt worden, diese seien noch voller Blut gewesen. „Es war immer klar: die Familien sind unter Verdacht.“ Alle Familien hätten sich tagelang vernehmen lassen, weil sie auf Aufklärung gehofft haben: „Das Gegenteil von ‚Mauer des Schweigens‘.“
Auch das Umfeld der Betroffenen sei ausführlich befragt worden. Sie wurden ausschließlich nach Themen wie Organisierte Kriminalität befragt. Daher habe es im Umfeld schnell Gerüchte gegeben, weil sie nur zu diesen Themen befragt worden seien. Die Familien hätten ein soziales Stigma erlitten. Die Eltern von Mehmet Turgut seien in der Türkei umgezogen, weil sich auch dort die Gerüchte verbreitet hätten, die sie nicht mehr ausgehalten hätten: „Diese Geschichten haben alle Familien zu erzählen.“

V. d. Behrens geht auf das V-Leute System ein. V-Leute seien nach der Wende überall eingesetzt worden, das habe sie im Plädoyer am Beispiel Thüringen ausgeführt. In Thüringen seien alle Schaltstellen der Neonaziszene mit V-Leuten besetzt worden. Aber für Mecklenburg-Vorpommern sei das noch nicht klar. Wenn man sich BfV-Strategie ansehe, sei es unwahrscheinlich, dass es in Mecklenburg-Vorpommern anders war. Vielleicht waren es V-Männer des BfV und nicht der Abteilung für Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern. Das müsse aufgeklärt werden.

Zur sog. „Trio-These“ der Bundesanwaltschaft, sagt v. d. Behrens, die BAW könne nicht sagen, dass es gar kein Netzwerk gab. Stattdessen sagen sie, Netzwerk habe nichts von NSU und den Taten gewusst. Diese These hält v. d. Behrens nicht für haltbar. Der NSU sei bruchlos bei Strukturen verkehrt, die sie schon vor dem Abtauchen hatten. Es habe die Meldung gegeben, auf einem Treffen von B&H Sachsen habe die NSU-Unterstützerin Antje Probst gesagt, man müsse radikaler werden und Anschläge begehen. Carsten Szczepanski (V-Mann Piatto) habe außerdem gemeldet, dass Antje Probst Pässe an die drei geben würde. Sie habe das im Prozess verleugnet, dass das passiert sei, aber es habe zu der Zeit tatsächlich Unklarheiten gegeben, wieviele Pässe Probst besessen habe. V. d. Behrens führt aus, wenn Probst das bei B&H sage, sei das ein klares Zeichen, dass es da Kommunikation gegeben habe. Andere Unterstützer seien genau auf Linie des NSU gewesen, auch in ihren Publikationen. Als Beispiel sei André Eminger zu nennen. Da könne man nicht sagen, die waren so isoliert, das sei unwahrscheinlich. Das gleiche gelte für die alten Unterstützer aus Thüringen, es sei abwegig, dass da nicht diskutiert worden sei. Es habe eine enge Vernetzung der drei in die Szene trotz aller Vorsicht gegeben. V. d. Behrens sagt, sie vermute für die BAW sei dies eine praktische These, weil das begründe, wie kein einziger V-Mann etwas vom NSU und der Mordserie gewusst habe.

SPD-Abgeordneter Julian Barlen fragt nach der NSU/NSDAP CD, diese sei am Krakow am See gefunden worden. Außerdem fragt er, welche Prioritäten v. d. Behrens für den Untersuchungsausschuss setzen würde.

Zu NSU/NSDAP-CD führt v. d. Behrens aus, diese sei von Thomas Richter (V-Mann Corelli) habe sie dem BfV übergeben. Dies wurde aber erst nach einigem Druck klar, nachdem sie LfV Hamburg gefunden wurde.

Die Prioritisierung für den Untersuchungsausschuss fände sie schwierig. Das Wissen der Abteilung für Verfassungsschutz sei das wichtigste, aber auch das schwierigste. Die größte Hürde sei, dass Akten nicht zur Verfügung gestellt würden. Es müsse Druck intern und politisch gemacht werden. Für sie stehe fest: „Es muss hier Wissen geben!“ Außerdem wisse man, ohne B&H hätte der NSU nicht abgetaucht leben können. Daher sei die Aufklärung der Verbindungen von B&H Sachsen und Thüringen nach Mecklenburg-Vorpommern sehr wichtig. Die Frage sei, welche Unterstützungsstrukturen es in Mecklenburg-Vorpommern gegeben habe und in welcher Form. Bezüglich der Prioritäten kommt v. d. Behrens wieder auf den sog. „NSU-Brief“. Es falle auf, darin werde keine Ideologie, keine konkreten Ziele ausgeführt und man fordere trotzdem eine neue Bewegung. Der NSU sei also davon ausgegangen, die Zielgruppe wisse, was gemeint ist. Das sei also ein Brief, der sich z.B. an Combat 18 richtet, sonst mache die Kombination keinen Sinn.

Die Abgeordnete Larisch fragt nach den Auswirkungen des Urteils des NSU-Prozesses auf die militante Neonaziszene.

V. d. Behrens sagt, es sei ein unerträglicher Moment gewesen, als das Urteil begrüßt wurde von Rechten oben auf der Tribüne. Diese hätten das Urteil für Eminger gefeiert. Es sei als ein Signal aufgefasst worden in der Szene, drei der Angeklagten hätten weniger Haft bekommen, als von BAW gefordert. Ob das als Signal intendiert gewesen sei, wage sie nicht zu beurteilen.

Während des Prozesses hätten nur „anderthalb Nazi-Zeugen“ wahrheitsgemäß ausgesagt, alle anderen hätten gemauert, gelogen. Es habe kein Ordnungsgeld, keine Ordnungshaft gegeben. Inzwischen seien fünf Strafverfahren eingeleitet wegen worden Falschaussage, aber diese seien demnächst verjährt, damit sei nicht mit mehr zu rechnen. V. d. Behrens sagt, das wirke bestärkend für Szene. Am Anfang habe es Angst in der Neonaziszene gegeben, was bedeuten die NSU-Ermittlungen für sie. Aber schnell sei klar gewesen, wenn man als Mann sagt, man trinke viel und als Frau, man habe sich nur um die Kinder gekümmert, dann komme man da gut raus. Das habe sich ausgewirkt. Am Anfang seien Angaben beim BKA gemacht worden, im Prozess sei es dann relativiert und zurückgenommen worden. Das habe zu einer Stärkung der Szene geführt.

Die Abgeordnete Wippermann von der SPD fragt nach dem Zusammenhang von Offenlegung von Daten durch die Behörden und vielen Erkenntnisse in Untersuchungsausschüssen.

V. d. Behrens sagt, sie halte ungeschwärzte Akten für sehr wichtig, sonst könne man damit nicht arbeiten. Die bekannten V-Leute seien schon vorher bekannt gewesen, das Bekanntwerden von V-Leuten und Vorlage von Akten sei nicht zusammen zu denken. Aber die Vorlage von Akten sei extrem wichtig. Einstufung und Nicht-Einstufung von Akten habe sie als sehr willkürlich erlebt während der Aufarbeitung des NSU-Komplexes. Es sei immer das gleiche Spiel. Die Willkür ziehe sich durch. Darauf müsse der Untersuchungsausschuss hinweisen, es gebe Unterschiede, und es sei nicht immer alles so eindeutig.

Abgeordneter Ritter fragt nach Bezüge nach Mecklenburg-Vorpommern aus den noch laufenden Verfahren.

Die Sachverständige sagt, es gebe zehn laufende Verfahren der BAW, gegen neun Personen sowie ein Strukturermittlungsverfahren. Sie kenne die Akten nicht, aber der zweite NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages kenne die aber. Die seien da auskunftsfähig.
Das mache das Ausmaß dessen deutlich, was man alles nicht wisse. Im Strukturermittlungsverfahren würde auch ermittelt, woher die ganzen Waffen kämen. Von 20 könne man nur drei konnte man zuordnen, die Ceska und die Polizeiwaffen.

Bert Obereiner von der Afd fragt, ob sie die Aussagen der V-Leute von den anderen Neonazis unterschieden hätten.

Die Sachverständige führt aus, das es unterschiedlich gewesen sein. Carsten Szcepanski, Tino Brandt, Kai Dalek und Marcel Degner seien die V-Leute gewesen, die vernommen worden seien. Degner habe bis zum Schluss geleugnet, dass er V-Mann gewesen sei. Brandt und Szczepanski hätten sich auskunftsfreudig gegeben über die Szene, aber sobald es um seine Meldungen gegangen sei, hätten sie sich dann an nichts erinnern können. Als es dann um eigenes NSU-Wissen ging: „Da war das Wissen weg.“

Die Abgeordnete Larisch fragt nach Ver- und Behinderung der Aufklärung und wie intensiv nach 2011 ermittelt worden sei.

V. d. Behrens sagt, es habe in kurzer Zeit viele Ermittlungen zu den Asservaten gegeben, aber darauf hätte es sich beschränkt. Wer unterstützt habe, dem wurde kaum nachgegangen, so konnten Spuren auch verschwinden. Man hätte sich beispielsweise Namen angucken können und den damaligen Ermittlungsstand als Grundlage nehmen können. Man hätte alle Mitglieder von B&H Sachsen vernehmen müssen, das sei nicht passiert: Es seien nicht alle vernommen und manche erst sehr spät.

Die zweite öffentliche Sitzung des NSU-Untersuchungsausschuss Mecklenburg-Vorpommern endet um 11:38 Uhr.

    Der Beitrag „Ich denke, hier ist viel aufzuklären.“ – Bericht aus dem NSU-Untersuchungsausschuss Mecklenburg-Vorpommern 14.06.2019 erschien zuerst auf NSU Watch.

    Protokoll 363. Verhandlungstag – 17. Mai 2017

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    An diesem Prozesstag werden von der Verteidigung und der Nebenklage Beweisanträge und Erklärungen verlesen. RA Grasel widmet sich dabei den Aussagen von Annerose Zschäpe, der Mutter von Beate Zschäpe. Die Verteidigung Wohlleben hinterfragt u.a. erneut den Lieferweg der Mordwaffe des NSU, der Ceska. Einige Nebenklagevertreter*innen widmen sich in einem Beweisantrag dem V-Mann Stephan Lange.

    Der Verhandlungstag beginnt um 09:43 Uhr. Götzl begrüßt die Anwesenden: “Guten Morgen, guten morgen, guten Morgen. Nehmen Sie bitte Platz! Wir setzen fort.” Nach der Präsenzfeststellung wendet er sich an Zschäpe-Verteidiger RA Grasel: “Herr Rechtsanwalt Grasel, Sie hatten angekündigt, einen Beweisantrag stellen zu wollen. Also bitte!” Grasel beginnt: “Zum Beweis …” Zschäpe-Verteidiger RA Heer unterbricht ohne Mikrofonverstärkung: “Das geht so nicht.” Zschäpe-Verteidiger RA Stahl mit Mikro: “Sie merken ja, dass wir etwas gereizt sind. Wann hat denn Herr Grasel wem angekündigt, dass er heute einen Beweisantrag stellen will?” Götzl sagt, das sei per Fax angekündigt worden: “Ich weiß es auch erst seit heute morgen.” Grasel sagt, er habe den Antrag gestern Nachmittag per Fax angekündigt.

    Dann verliest Grasel den Antrag:
    Zum Beweis der Tatsachen, dass Frau Beate Zschäpe das erste halbe Jahr nach ihrer Geburt bei den Großeltern gelebt hat, da ihre Mutter, die Zeugin Annerose Zschäpe, zurück nach Rumänien musste, um dort ihr Studium fortzusetzen; Frau Beate Zschäpe von Mitte 1975 bis Ende 1976 bei Herrn Trepte, dem neuen Partner ihrer Mutter, lebte; Frau Beate Zschäpe nach der Heirat ihrer Mutter mit Herrn Zschäpe zunächst weiterhin unter der Woche bei ihren Großeltern lebte und nur am Wochenende bei ihrer Mutter war, beantrage ich die Verlesung des Protokolls der Zeugenvernehmung der Frau Annerose Zschäpe vom 15.11.2011. Hilfsweise beantrage ich die Vernehmung der damaligen Vernehmungsbeamten Le., P. und Se.

    Frau Annerose Zschäpe hat in einem an den Senat gerichteten Schreiben vom 09.05.2017 ausdrücklich erklärt, dass sie mit der Verlesung ihrer damaligen Zeugenaussage gegenüber dem Bundeskriminalamt vom 15.11.11 im Rahmen der hiesigen Hauptverhandlung einverstanden ist und ihre Aussage dadurch auch im Rahmen der Gutachtenserstattung von den Sachverständigen Verwendung finden kann. Das entsprechende Schreiben der Frau Annerose Zschäpe ist in Kopie beigefügt und hat u.a. folgenden Wortlaut: “Am 15.11.11 hatte ich gegenüber dem Bundeskriminalamt in Bezug auf meine Tochter Beate eine schriftliche Aussage gemacht. Ich möchte hiermit ausdrücklich bestätigen, dass ich damit einverstanden bin, dass diese Aussage in der Hauptverhandlung verlesen wird und somit bei der Erstattung der Gutachten durch Prof. Dr. Bauer und durch Prof. Dr. Saß jeweils Berücksichtigung finden kann.”; “Ich bin gegebenenfalls ebenfalls damit einverstanden, dass die mich damals vernehmenden Le., P. und Se. über die damalige Vernehmungssituation und über den Inhalt meiner Aussage als Zeugen vernommen werden.” Die seinerzeit von der Zeugin Zschäpe gegenüber dem Bundeskriminalamt gemachten Angaben sind für die Beurteilung der frühkindlichen Entwicklung ihrer Tochter Beate vom Bedeutung, wie dies der Sachverständige Prof. Dr. Bauer in seinem am 03.05.17 erstatteten Gutachten bereits ausgeführt hat. Die Regelung des § 252 StPO schließt einen Verzicht des zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen auf das gesetzlich normierte Verwertungsverbot nicht aus, da die Norm des § 252 StPO ausschließlich den persönlichen Belangen des Zeugen dient.

    Götzl: “Dann kommt zur Verlesung das angesprochene Schreiben von Frau Annerose Zschäpe.”

    Götzl verliest das Schreiben:
    Sehr geehrter Herr Vorsitzender Richter Götzl, am 15.11.2011 hatte ich gegenüber dem Bundeskriminalamt in Bezug auf meine Tochter Beate eine schriftliche Aussage gemacht. Ich möchte hiermit ausdrücklich bestätigen, dass ich damit einverstanden bin, dass diese Aussage in der Hauptverhandlung verlesen wird und somit bei der Erstattung der Gutachten durch Prof. Dr. Bauer und durch Prof. Dr. Saß jeweils Berücksichtigung finden kann. Ich gebe diese Erklärung auch vor dem Hintergrund ab, dass ich mich im Rahmen meiner Vernehmung vor dem Strafsenat auf mein Zeugnisverweigerungsrecht berufen hatte. Auf dieses Recht berufe ich mich bezüglich der Verlesung meiner Aussage nicht mehr. Ich bin gegebenenfalls ebenfalls damit einverstanden, dass die mich damals vernehmenden Le., P. und Se. über die damalige Vernehmungssituation und über den Inhalt meiner Aussage als Zeugen vernommen werden. Meine damalige Aussage entspricht nach wie vor der Wahrheit. Ich bitte darum, auf eine persönliche Vernehmung zu verzichten, weil ich den Angaben vom 15.11.2011 nichts Sachdienliches hinzufügen kann.

    Götzl: “Wir werden es kopieren und Ihnen zur Verfügung stellen. Einen Punkt möchte ich ansprechen zum letzten Absatz. Hier wird die Bitte geäußert, Frau Zschäpe nicht zu vernehmen, weil sie nichts Sachdienliches hinzufügen könne. Ist die Frage, ob man dann nicht doch Frau Zschäpe vernehmen kann. Machen wir mal eine Viertelstunde Pause und setzen dann um 10:10 Uhr fort.” Es folgt eine Pause bis 10:12 Uhr.

    Götzl: “Soll zu den Antrag Stellung genommen werden?” Bundesanwalt Diemer: “Wir treten dem nicht entgegen. Wir meinen auch, dass die Erklärung der Mutter zur Verwertung der Aussage eindeutig genug ist. Was nicht deutlich wird, ist, ob sie weiterhin in der Hauptverhandlung das Zeugnis verweigert. Wenn nicht, muss sie geladen werden, es sei denn man führt eine eindeutige Klärung herbei.” Grasel: “Ich kann zumindest bekanntgeben, dass nach telefonischer Rücksprache sie hier wieder von ihrem Recht nach 52 Gebrauch machen wird. Sie hat es laienhaft formuliert, aber das ist der Stand.” NK-Vertreter RA Reinecke: “Mit einer telefonischen Klärung über Herrn Grasel kann man sich nicht zufrieden geben. Sie meint, sie kann nichts Sachdienliches beitragen. Alleine die Überlassung beim Mann sagt nichts über frühkindliche Vernachlässigung aus, wie es der Sachverständige nahelegt. Wenn man das für relevant hält, kann sie sehr viel beitragen. Daher bedarf es einer eindeutigen Erklärung.” Wohlleben-Verteidiger RA Klemke: “Diese eindeutige Erklärung, die Herr Reinecke vermisst, liegt vor. Man muss das Schreiben der Annerose Zschäpe im Zusammenhang würdigen.” Im dritten Absatz nehme sie zunächst mal Bezug darauf, dass sie sich auf das Zeugnisverweigerungsrecht berufen hat, dann schreibe sie, dass sie sich auf diesen Recht bzgl. der Verlesung [Klemke betont das Wort überdeutlich] und nur darauf nicht mehr berufe, so Klemke weiter. Klemke: “Von daher ist das reine Spiegelfechterei, die hier betrieben wird.”

    NK-Vertreter RA Scharmer: “Vielleicht nur ganz kurz: Das Problem ist natürlich, dass bei einer etwaigen Verlesung es dann um die Vernehmung von Annerose Zschäpe geht, die m. E. durch das BKA mangelhaft durchgeführt wurde, weil wichtige Dinge nicht nachgefragt wurden.” Scharmer sagt, drei Verteidiger hätten Widerspruch eingelegt gegen die Verwertung. Er weist außerdem vorsorglich darauf hin, dass er der Verlesung nicht zustimmen würde und macht kurze Ausführungen, warum er meint, dass das Zustimmungserfordernis auch die Nebenklage betrifft. Götzl: “Frau Zschäpe, würden Sie zustimmen?” Zschäpe nickt. Götzl: “Ja. Die Verteidiger. Herr Grasel?” Grasel: “Selbstverständlich, sonst hätte ich es nicht beantragt.” Götzl: “Frau Rechtsanwältin Sturm?” Stahl bittet darum, das zurückzustellen. Auf Nachfrage von Götzl sagen die Verteidigungen Wohlleben und Eminger, dass sie derzeit keine Erklärungen abgeben; die Verteidigung Schultze stimmt zu. Götzl: “Sind denn weitere Anträge, Beweisanträge für heute zu stellen? Mir geht es zunächst mal nur ums Organisatorische.” NK-Vertreterin RAin Von der Behrens sagt, sie wolle einen Antrag stellen. Zunächst erteilt Götzl aber Wohlleben-Verteidiger RA Nahrath das Wort für einen Antrag.

    Nahrath beantragt, die Zeugen Luthard und Dressler vom TLKA zu vernehmen; diese würden Folgendes bekunden: Am 28.01.1998 wies der Zeuge Luthard (damaliger Leiter LKA Thüringen) den Zeugen Dressler (damaliger Leiter des Dezernats Staatsschutzes beim LKA Thüringen) an, die
    Beamten der Zielfahndung beim LKA Thüringen Il. und Wunderlich auf Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt anzusetzen. Den Zeugen war bekannt, dass die Zielfahnder des LKA Thüringen zu dieser Zeit eine Auffindequote von 100 Prozent hatten.

    Außerdem beantragt Nahrath, die Zeugen Br. und B.-S. vom BKA zu vernehmen; diese würden Folgendes bekunden:
    Die Zeugen werteten aufgrund eines Unterstützungsersuchens des LKA Thüringen im Februar 1998 die sogenannte “Garagenliste” und einen Ordner mit Schriftverkehr zwischen Mundlos und Starke sowie Torsten Schau aus. Der Zeuge Br. stellte fest, dass es sich bei der sogenannten Garagenliste offensichtlich um eine Adress- und Telefonliste handelte, die Uwe Mundlos erstellt hatte. Diesen Schluss zog der Zeuge daraus, dass als “eigene Telefonnummer” die Telefonnummer der Eltern des Mundlos, sowie die Mobiltelefonnummer des Uwe Mundlos verzeichnet war. Weiter stellte der Zeuge fest, dass als Chemnitzer Kontakte des Uwe Mundlos nicht nur Thomas Starke, sondern sieben weitere Chemnitzer Personen sowie zwei Gaststätten in Chemnitz aufgeführt waren.

    Nahrath nennt die angesprochenen Namen und teilweise Adressen aus der Garagenliste. Dann fährt er fort:
    Der Zeuge Br. brachte am 19.2.1998 folgenden handschriftlichen Vermerk zu den Akten:
    “Fluchtadresse Thomas Starke oder Torsten Schau. Beide in Chemnitz.” Der Zeuge Br. übergab die sogenannte Garagenliste dem Zeugen Dressler und wies diesen auf die möglichen Fluchtadressen von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in Chemnitz hin.

    Nahrath beantragt dann die Vernehmung von Sven Wunderlich:
    Der Zeuge wird bekunden, dass er die sogenannte Garagenliste und den Vermerk des Zeugen Br. erstmals Ende 2011 gesehen hat. Als er nach Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe fahndete, erlangte er auch anderweitig keine Kenntnis von dem Vermerk und der sogenannten Garagenliste. Hätte er Kenntnis hiervon erlangt, hätte er Starke und Schau sowie deren Wohnungen observiert. Weiter wird der Zeuge Wunderlich bekunden, dass er Ende Februar 1998 ein Gespräch mit dem Leiter des Chemnitzer Staatsschutzes Jürgen Kl. in dessen Büro hatte, um über das untergetauchte Trio zu sprechen. In diesem Gespräch fragte der Zeuge Wunderlich gezielt nach einer sogenannten “Party-Wohnung” in der Hans-Sachs-Straße in Chemnitz, erhielt aber vom Zeugen Kliem keine Auskunft.

    Schließlich beantragt Nahrath die Vernehmung von Jürgen Kl., KPI Chemnitz:
    Der Zeuge war damals Leiter des Dezernats Staatsschutz in Chemnitz und hatte umfassende Kenntnis über die Personen der sogenannten rechten Szene in Chemnitz. Der Zeuge wird bestätigen, dass er Ende Februar 1998 ein Gespräch mit dem Zielfahnder des LKA Thüringen, Herrn Wunderlich, in seinem Büro führte. Thema dieses Gesprächs war die Fahndung nach Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe. Weiter wird der Zeuge bekunden, dass der Zielfahnder Wunderlich gezielt nach einer Wohnung in der Chemnitzer Hans-Sachs-Straße fragte. Obwohl der Zeuge wusste, dass in der Hans-Sachs-Straße in Chemnitz Mandy Struck wohnte und diese der Chemnitzer rechten Szene angehörte, gab er dem Zeugen Wunderlich diese Information nicht.
    Zur Begründung des Antrags verliest Nahrath:
    Zum Zeitpunkt des Besuches des Zielfahnders Wunderlich beim Zeugen Kl., hielten sich Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in der Wohnung des Max-Florian Bu., dem Freund der Mandy Struck, auf. Hinzu kommt, dass die sogenannte Garagenliste und der Vermerk des Zeugen Br. den Zeugen Wunderlich auf den ebenfalls mit Mandy Struck bekannten Thomas Starke hingewiesen hätte. Bei Observierung des Thomas Starke und/oder der Mandy Struck hätte die Zielfahndung des LKA Thüringen die drei Untergetauchten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit binnen kürzester Frist gefasst. Sämtliche dem sogenannten NSU angelasteten Straftaten wären somit verhindert worden.

    Danach verliest Wohlleben-Verteidiger RAin Schneiders einen Antrag:
    In der Strafsache gegen Herrn Ralf Wohlleben 6 St 3/12 beantragt die Verteidigung zum Beweis der Tatsache, 1. dass Jan Werner am 11.04.1998 in Begleitung von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Orbe in der Schweiz war und dass Werner bei dieser Reise Mundlos und Böhnhardt bei der Beschaffung einer Waffe half, 2. dass Jan Werner enge Kontakte zu Personen von Combat 18 in England, insbesondere zu William Browning, Gründer Combat 18 in Großbritannien, unterhielt, Frau Stefanie Fö. aus Nauen als Zeugin zu vernehmen.
    Begründung: Uwe Mundlos rief am 11.04.1998 aus der Schweiz den Telefonanschluss des Jürgen Helbig an. In der durch das BKA am 28. Februar 2012 durchgeführten Vernehmung gab Jürgen Helbig an, dass der Anruf vom 11.04.998 aus Orbe Ortsteil Concise/Schweiz durch Uwe Mundlos selbst erfolgt sei. Die Rufnummer gab Aufschluss über den Ort, der in der Nähe des Genfer Sees, im Kanton Waadt, kurz vor der Grenze zu Frankreich liegt. Helbig gab an, dass Mundlos ihn angerufen hat, da er ihn an der Stimme erkannt hatte. Dies bestätigte der Zeuge auch in der Hauptverhandlung.

    Am 11.04.1998 fand in Orbe, Ortsteil Concise/Schweiz ein Skinhead-Konzert statt, an dem etwa 150 bis 300 Teilnehmer aus Deutschland, Frankreich, Italien, Polen, Australien und der Schweiz teilnahmen. Organisiert wurde das Konzert von “Mjölnir Diffusion”. Die Anmietung des Gemeindesaals fand unter dem Vorwand einer Geburtstagsfeier statt. Die Zeugin ist die Ex-Freundin des Jan Werner. Sie war mit ihm im relevanten Zeitraum von 1998 bis 1999 liiert. Die Zeugin hat in ihrer polizeilichen Vernehmung Angaben zu den Auslandskontakten des Jan Werner gemacht, auch zu Auslandsaufenthalten des Jan Werner. Sie berichtete von Konzertbesuchen und dem CD-Handel des Jan Werner zu dieser Zeit. Jan Werner verkaufte regelmäßig CDs auch auf derartigen Konzerten. Werner unterhielt Kontakte nach England. Aus den Angaben weiterer Zeugen, insbesondere des vernommenen Andreas Graupner zu den englischen Bands, ist ersichtlich, dass es sich bei den Kontaktpersonen des Jan Werner in England um Personen handelte, die dem sogenannten Combat 18 zuzurechnen waren.

    Dies ergibt sich auch aus einem Telefonat des Jan Werner, welches im sogenannten Landser-Verfahren in der TKÜ des Jan Werner angefallen ist. Im Sonderheft TÜ Landser heißt es: “W. fragt Werner nach den ‘Inselaffen’ Der entgegnet, dass dies nichts würde, da der Rod immer noch sitzt und Browning immer noch arbeiten muss. W. meint jedoch nicht dieses, sondern er fragt nach wegen ‘No Remorse’. Browning muss arbeiten und kann deswegen nicht bei ‘No Remorse’ spielen. Die Slowaken suchen für nächste Woche auch noch eine Band. Da dieses aber an der ukrainischen Grenze wäre, würde sich Werner nicht darum kümmern, da ihm das zu weit wäre.” William Browning, genannt “The Beast” ist einer der Gründer der britischen Gruppe Combat 18. Browning leitete mit I.S.D Records eines der führenden Blood & Honour-Label Europas. Seine eigene Band “No Remorse” machte sich Mitte der 1990er Jahre u.a. mit dem Album „Barbecue in Rostock” einen Namen in der sogenannten rechten Szene. Schließlich zerstritt sich Browning mit dem Combat 18-Gründer Paul “Charlie” Sargent. Im Februar 1998 eskalierte die Fehde: Sargent ließ einen Vertrauten Brownings durch seinen Kameraden Martin Cross ermorden. Sargent und Cross wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Browning avancierte zum unangefochtenen Führer von Combat 18.

    In einem Vermerk des Verfassungsschutzes wird zu dem von der Zeugin Fö. in deren polizeilicher Vernehmung angesprochenen Konzert folgendes ausgeführt: “April 1998, St. George’s Day, in den Midlands mit Warlord, Conquest, Warhammer, Razor’s Edge, Legend of St. George und White Law. Ende April 1998 bezahlte Liebich wieder Flugtickets für die Hate Society-Mitglieder nach London für ein Konzert am St. George’s Day in den Midlands Ende April 1998. Dieses Konzert war Auslöser für eine neue Spaltung innerhalb der deutschen und der englischen Szene. Bei diesem Konzert an einem Samstag waren ca. 300 bis 400 Leute anwesend, darunter ca. 60 bis 70 deutsche Skins, wie Lange, Stephan – dies war sein erster England-Besuch -; Werner, Jan; Liebich, Sven; Franke, Hannes; sowie weitere B&Hler.” Jan Werner hatte den Auftrag, Waffen für Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zu beschaffen. Nach den Angaben der Angeklagten Zschäpe soll Werner ebenfalls eine Waffe, möglicherweise sogar mit Schalldämpfer, geliefert haben. Aus den in der Hauptverhandlung verlesenen Deckblattmeldungen geht hervor, dass die Blood & Honour – Sektion Sachsen, dessen Sektionschef Jan Werner war, Geld für die drei Untergetauchten aus Konzerterlösen beschaffte.

    Wie nahe Jan Werner dem Combat 18-Gedanken stand, ist auch daran erkennbar, dass er der ehemaligen Lebensgefährtin des Stephan Lange, Katja Pröseler, in einem Telefonat berichtete, dass er aus Amerika die Turner-Tagebücher mitgebracht habe. Die Zeugin hatte zwar bei der polizeilichen Vernehmung bestritten, dass Jan Werner etwas mit Waffen zu tun gehabt habe. Die Zeugin hatte jedoch auch zu dieser Zeit noch Kontakt mit Jan Werner. Ihre Wohnung wurde im Zuge der Ermittlungen gegen Jan Werner durchsucht. Deshalb stand die Zeugin unter Druck. Sie wurde weiter durch die Ermittler nicht explizit zu Kontakten des Jan Werner in die Schweiz befragt. Des weiteren verweigerte die Zeugin auch Angaben zu Namen von Kontaktpersonen des Jan Werner. Es ist daher zu erwarten, dass die Zeugin doch Angaben zu den unter Beweis gestellten Tatsachen machen kann und dies vor Gericht auch wahrheitsgemäß machen wird. Die Spur der Tatwaffe Ceska 83 verliert sich 1996 in der Schweiz. Wie sie in den Besitz von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gekommen ist, wurde bislang immer noch nicht zweifelsfrei aufgeklärt. Die Theorie der Bundesanwaltschaft und des Senats wird jedenfalls durch die Zeugen Mü., Theile und Länger in Abrede gestellt. Auch die Pumpgun Mossberg stammte aus der Schweiz. Dies spricht dafür, dass Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Fahrten des Jan Werner 1998 und 1999 in die Schweiz zu Konzerten und/oder CD-Handel nutzten, um sich dort mit Waffen zu versorgen.

    Jan Werner hatte auch beste Kontakte zu Karolina und Olivier Ku., die ebenfalls in der Schweiz ansässig waren. Diese führten ebenfalls ein Label, welches auch Rechtsrock-Bands unter Vertrag hatte. Die in Augenschein genommenen Lichtbilder des Thomas Starke zeigen die langjährigen engen Kontakte der Karolina Ku. zu den Chemnitzern. Die Eheleute Ku. waren maßgeblich in CD-Produktionen eingebunden. Die enge Verbindung zeigt sich aus dem Vermerk des Verfassungsschutzes aber auch wie folgt: “Robert Matthews-Memorial-Gig in der Nähe von Gera, September 1998 mit Solution, Leipzig; Intimidation One, Blue Eyed Devils, Aggravated Assault. Ca. 1.000 Teilnehmer, Veranstalter Karolina und Olivier Ku. Das Konzert hätte ursprünglich in der Schweiz stattfinden sollen. Aufgrund von Ärger mit den Behörden wurde es nach Deutschland verlegt.” Nach diesem Vermerk des Verfassungsschutzes hatte Jan Werner auch enge Kontakte nach Amerika: “An Antony verkaufte Jan Werner im Mai/Juni 2002 die Rechte von Landser “Ran an den Feind”. Vorgesprächen zufolge soll es sich dabei um einen Kaufpreis von 20.000 Dollar gehandelt haben. Diesen Betrag wollen sich Antony und Erich Gliebe, der Geschäftsführer von Resistance Records – Inhaber sind Dr. Pierce und ‘National Alliance’- aufteilen. Jan Werner hatte aus dem CD-Handel erhebliche Geldmittel zur Verfügung. Auch dazu ist die Zeugin zu befragen.

    Auch aus den weiteren Akteninhalt ergibt sich, dass über den CD-Verkauf Waffenkäufe finanziert wurde. Hierfür spricht ein aufgezeichnetes Gespräch des Thorsten Heise. Dort heißt es wie folgt:
    “A. Was denkste denn, was wir mit dem Geld machen? Was denkste denn? (unverständlich, evtl.: ‘Wir ham so oft nächtelang durchgezockt.’) Wir ham so oft (unverständlich) über Politik diskutiert und du hast nie gerafft, was wir machen? Nie abgerafft, was wir machen? (unverständlich) Hast nie abgerafft, ne? Sich nie mit Friedhelm unterhalten? Du musst mit den Leuten nicht nur saufen, sondern dich mit den Leuten auch mal unterhalten.
    B: Hab ich ja (murmelt unverständlich).
    A: Wir haben reichlich, reichlich Gruppen im ganzen Bundesgebiet, wir haben reichlich Leute hier, versorgen sich reichlich mit Waffen. Und von der (unverständlich, evtl.: ‘Matte’) hier … (lacht). Weißt du, was die Leute mit dir machen? Oder mit den beiden Brüdern? Wenn wir da (unverständlich, evtl. ‘hin kutschen’). Weißt was die gemacht haben? Das geschieht nie wieder, Mann. (unverständlich) Ich kann’s gar nicht glauben, ey, das glaub ich nicht.”

    Der bislang gezogene Schluss des Senats in den Haftentscheidungen unseres Mandanten wird durch die Beweiserhebung erschüttert werden, da vernünftige Zweifel bestehen, dass die Tatwaffe Ceska 83 wie bislang spekuliert über Ge., [Hans-Ulrich] Mü., Theile und Länger nach Jena kam. Vielmehr legt die beantragte Beweiserhebung nahe, dass die Tatwaffe direkt in der Schweiz durch Vermittlung des Jan Werner in den Besitz von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt kam.

    Es wird weiter beantragt, die V-Mann Akten betreffend Stephan Lange alias Pinocchio, damals wohnhaft in Berlin, beim Bundesamt für Verfassungsschutz und beim LKA Berlin beizuziehen und der Verteidigung Akteneinsicht zu gewähren. Wie am 16.05.2017 durch die Presse bekannt wurde, war Stephan Lange langjähriger V-Mann. Es ist zu erwarten, dass aus den Deckblattmeldungen des V-Mannes sich Informationen betreffend Konzertbesuche ab 1998 in der Schweiz und England ergeben, an denen auch Jan Werner teilgenommen hat. Aus den Deckblattmeldungen werden sich weitere Aufschlüsse zur Finanzierung von Waffenkäufen durch Blood & Honour-Mitglieder ergeben. Im Übrigen sind die Deckblattmeldungen zur Überprüfung der Glaubhaftigkeit der Angaben und Glaubwürdigkeit des Zeugen Lange erforderlich. Der Zeuge wurde in der Hauptverhandlung vernommen, verschwieg jedoch seine Tätigkeit für das BfV und das LKA Berlin. Die Installierung eines V-Mannes als Blood & Honour-Führer der Division Deutschland reiht sich in die immer länger werdende Liste der V-Personen in Spitzenfunktionen verschiedener rechter Organisationen ein. Insoweit verweisen wir auf Kai Dalek, Tino Brandt, Ronny Artmann, Thomas Starke, Ralph Marschner, Carsten Szczepanski, Marcel Degner, Thomas Richter, Achim Schmidt und viele andere. Die Beharrlichkeit sowohl des GBA als auch des Senats, alles daran zu setzen, die Aufklärung dieser extremen Nähe einer Vielzahl staatlich gesteuerter V-Leute zu den mutmaßlichen NSU-Mitgliedern zu verweigern, macht schlagend deutlich, dass es sich bei dem vorliegenden Verfahren um kein faires rechtsstaatliches Verfahren handelt. Die naheliegende Mitverantwortlichkeit des Staates für die Aktivitäten des sogenannten “NSU” wird von Senat schlicht ausgeblendet.

    Dann stellt Zschäpe-Verteidigerin RAin Sturm den Antragt auf ein weiteres Sachverständigengutachten über den Zustand von Frau Zschäpe und die Behandlungsaussichten sowie auf Vernehmung des SV hierzu in der Hauptverhandlung:
    Gemäß § 246a Absatz 1 Satz 1 StPO ist für den Fall, dass die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung in Betracht kommt, ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Mit Schreiben vom 29.11.2012 bat der Vorsitzende den Sachverständigen Prof. Dr. Saß, im Hinblick auf die Frage des Vorliegens der Voraussetzungen einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Absatz 2 StPO ein vorbereitendes schriftliches Gutachten nach Aktenlage über den Zustand von Frau Zschäpe und die Behandlungsaussichten zu erstellen. Der Gutachtenauftrag wurde später auf das Vorliegen der Voraussetzungen der Paragraphen 20, 21, 64 StGB erweitert. Der Sachverständige hat sein Gutachten am 336., 337., 339., 340., 341., 343., 345., 346., 347. und 350. Hauptverhandlungstag erstattet und Fragen beantwortet. Das Gutachten lässt jedoch Zweifel an der Sachkunde des Sachverständigen aufkommen, denn es weist erhebliche methodische Mängel und Widersprüche auf. Im Einzelnen ergibt sich dies aus dem von Prof. Dr.
    Faustmann am 360. Hauptverhandlungstag erstatteten Gutachten, welches dem im Rahmen unseres Beweisantrags vom 358. Hauptverhandlungstag auf Einholung eines methodenkritischen Gutachtens beigefügte Manuskript von Prof. Dr. Faustmann vom 22.04.2017 – bis auf wenige mündliche Ergänzungen – entspricht und auf welches hiermit Bezug genommen wird.


    Am 362. Hauptverhandlungstag beantwortete der Sachverständige Prof. Dr. Faustmann Fragen des Vorsitzenden sowie weiterer Verfahrensbeteiligter. Zu einer Änderung seiner Bewertung gelangte er nicht. Unter anderem wies er auf folgendes hin: Anknüpfend an den letzten Absatz der Seite 11 der Verschriftung des Gutachtens von Prof. Dr. Faustmann, wie dieser unterscheiden würde zwischen “krank” und “gesund”, und der präzisierenden Frage des Vorsitzenden zu dem “Grenzbereich” äußerte der Sachverständige: “Es gibt da keinen Grenzbereich, das ist der Punkt. Wenn ich andere Kriterien habe, muss ich diesen Grenzbereich definieren. Wenn ich mich außerhalb ICD-10/DSM V bewege, muss ich sagen, was ich meine. Außerhalb befinde ich mich im weitem Spektrum der differentiellen Psychologie.” Auf die Frage des Vorsitzenden, ob er dem Psychiater die Qualifikation für den Grenzbereich abspreche, erwiderte Prof. Dr. Faustmann, dafür nicht zuständig zu sein. Befragt, ob nicht jede Tätigkeit den Grenzbereich ausloten müsse, erklärte er: “Wenn keine Erheblichkeit psychischer Beeinträchtigung vorliegt, kann ich mich als Psychiater nicht wissenschaftlich begründet zu den weiteren Aspekten des Normalen äußern.” Wiederholt wies Prof. Dr. Faustmann anlässlich seiner Befragung diesbezüglich darauf hin, dass es sich bei beiden Systemen ICD-10 und DSM V um kategoriale Systeme handele mit der Folge, dass es keinen Grenzbereich im Sinne eines Übergangs gebe. Entweder könne er einen Menschen im Sinne des Klassifikationssystems zuordnen, dann läge eine Krankheit oder Störung vor; könne er dies nicht, dann befinde man sich im breiten Spektrum des Normalen, wobei die Prüfung zweistufig sei: Auf der ersten Ebene gehe es um die Zuordnungsmöglichkeit zu den kategorialen Systemen. Im Falle einer fehlenden Zuordnungsmöglichkeit erfolge die Prüfung sodann über die Frage, ob die Schwelle des vierten Eingangsmerkmals erreicht sei. Die Beurteilung des Normalen sei Aufgabe der differentiellen Psychologie.

    Zu der unter Bezugnahme auf Seite 11 des Gutachtens von Prof. Dr. Faustmann und die Eignung der subjektiven Verhaltensbeobachtung allenfalls als Basis für Hypothesengenerierung erfolgten Nachfrage des Vorsitzenden führte Faustmann aus: “Der Hinweis auf die Entscheidung des Empfängers des Gutachtens, das hat Prof. Dr. Saß ja selber geschrieben, das ist nicht von mir. Er lässt die Bewertung im Blickwinkel des Betrachters, dadurch wird die subjektive Einschätzung nicht
    objektiv. Die Summe der subjektiven Einschätzungen führt nicht zu Objektivierung.”
    Auf den Vorhalt des Vorsitzenden aus Seite 6 des Gutachtens von Prof. Dr. Saß, wonach ein Verstehenshintergrund vorgestellt werde, es dann Angelegenheit der Verfahrensbeteiligten und des Gerichts sei, ob dem gefolgt werde oder nicht, führte Faustmann aus: “In dem Sinne ja, aber im wissenschaftlichen Sinne ist das nicht überprüfbar. Das ist dann ein Ermessensspielraum, aber
    das kann nicht Aufgabe eines Sachverständigen sein.’ ‘Aus methodischer Sicht kann ich dem insoweit nicht folgen, als mir nicht klar ist, wie ich den Bewertungsvorgang nachvollziehen kann. Es kann nicht Aufgabe des Sachverständigen sein, dass das ausschließlich auf subjektiver Ebene erfolgt.”

    Auf die insoweit wiederholte Nachfrage des Vorsitzenden stellte Faustmann später noch einmal klar: “Die Zuschreibung, dass die Ergebnisse dem Adressaten zugebilligt werden, ist aus wissenschaftlicher Sicht nicht zulässig, weil ich die Wertung vorher auf der wissenschaftlichen
    Grundlage leisten muss, wenn es um die psychische Erkrankung oder Störung geht.”
    Bezogen auf den Begriff der Persönlichkeitsakzentuierung führte er aus: “Er taucht überall auf, ist aber immer gefüllt mit sehr unterschiedlichen Inhalten, was dann nicht mehr zulässig ist, wenn nicht klargemacht wird, auf welcher Grundlage er verwendet wird.” Der Vorsitzende erkundigte sich nach dem Krankheitsbegriff, worauf im psychiatrischen Bereich die Einordnung beruhe: “Er beruht auf der Erhebung des Befundes, des psychischen Befundes.” Und befragt nach der Erklärung von “Störung”: “Ist Erklären im ursächlichen Sinne gemeint, wie sie bedingt ist oder wie sich die Störung im Querschnitt auf der Befundung darstellt. Natürlich fließt in den Befund auch das Befinden ein, aber es muss schon differenziert werden.”; “Wenn ich als Psychiater gefragt werde im Hinblick auf Gefährlichkeit, Rückfallrisiko, dann ist zuerst zu prüfen, liegt eine Störung oder Erkrankung vor. Dann kann ich darüber das Rückfallrisiko einschätzen.”
    Auf die Frage des Vorsitzenden zu Seite 15 seines Gutachtens, wenn keine psychische Krankheit vorliege, was das hinsichtlich der praktischen Handhabung des Gutachtenauftrages bedeute, stellte
    Faustmann klar: “Wenn das Ergebnis keine Krankheit oder Störung mit Krankheitswert ist, kann ich auch zur Prognose keine Aussage machen.”

    Angesprochen auf den von ihm zitierten Prof. Dr. Dahle und das klinisch-idiographische Beurteilungskonzept, auf welches Saß Bezug nahm, führte Faustmann aus: “Dahle führt aus, dass man sich nicht im Rahmen einer subjektiven Beurteilung bewegt, sondern durch Vorgaben systematisiert werden muss. Wenn ich das Modell anwende, gehört nach Dahle dazu, dass es wissenschaftlich kontrollierbar ist, d.h. ich muss die Bedingungen, wie ich in dem idiographischen Modell arbeite, nachvollziehbar machen.”
    Zu der Frage, warum er auf Seite 19 das Fehlen von Ausführungen kritisiere, was mit entwicklungspsychologischen Aspekten gemeint sei und welches Modell zugrunde gelegt werde, erklärte Faustmann: “Wenn ich als Sachverständiger sage, dass bestimmte Gesichtspunkte aus entwicklungspsychologischer Sicht von Interesse sind, muss ich auch sagen, welche Inhalte aus entwicklungspsychologischer Sicht gemeint sind und in welchem Modell der Entwicklungspsychologie ich mich bewege.”; “Die Entwicklungspsychologie ist eine eigenständige Fachwissenschaft; die wissenschaftliche Beschäftigung erfolgt auf der Basis vieler verschiedener Modelle, unter denen man eine Entwicklung beurteilen kann.”; “Wenn ich den Begriff der Entwicklungspsychologie verwende, erwarte ich, dass auch ein entsprechendes Konstrukt verwendet wird.”

    Der Vorsitzende fragte den Sachverständigen nach seinem Verständnis von dem Begriff der Verdrängung. Hierzu wies Faustmann erneut darauf hin: “Auch hier geht es nicht um mein persönliches Verständnis.”; “Von Professor Dr. Saß wird der Begriff so dargestellt, dass er im Alltagsverständnis verstanden werden soll, wobei mir nicht klar ist, welches Alltagsverständnis er zugrunde legt, welches wir haben, ob Alltagsverständnis ist, was wir alle haben.”; “Welche Form von Alltagsverständnis zugrunde gelegt wird.”; “Ich weiß nicht, was Alltagsverständnis heißen
    soll. Der Alltag ist für jeden von uns etwas anderes. Verdrängung ist für jeden etwas anderes.”
    Der Vorsitzende erkundigte sich unter Bezugnahme auf Seite 35 des Gutachtens danach, was Faustmann bei diesem Punkt am Gutachten von Saß kritisiere. Dieser erläuterte: “Es wird der Begriff der akzentuierten Persönlichkeit mit bestimmten Zügen beschrieben, im nächsten Punkt aber darauf hingewiesen, die Schwere der seelischen Abartigkeit nicht erreicht (sei), aber in den Mindestanforderungen ist anderes beschrieben; die Zuschreibung weicht hier von den Mindestanforderungen ab, wird aber nicht beschrieben.”; “Es geht nicht um meine persönliche Meinung, sondern: Kann ich aus dem Gutachten erschließen, was Saß mit akzentuierter Persönlichkeit meint; ich kann es unter Bezugnahme auf die Mindestanforderungen nicht erschließen, denn dort wird die akzentuierte Persönlichkeit ausschließlich auf das vierte Eingangsmerkmal bezogen und das trifft nach Saß nicht zu. Ich kann den Begriff nicht fassen. Es ist nicht meine Aufgabe, Deutungen vorzunehmen. Ich muss es aus dem Gutachten methodisch erschließen. Nur das. Ich muss es nicht deuten.”
    Zu den Items, welche Saß isoliert verwendet habe, führte er auf Nachfrage dezidiert aus: “Wenn man aus einer publizierten Liste einzelne Items entnimmt, ist das methodisch nicht zulässig. Sie können nicht etwas aus einem Fragebogen extrahieren und dann sagen, trifft zu und dann komme ich zu einer Schlussfolgerung.”; “Das Problem ist, dass die Psychopathie-Checkliste nicht für
    Frauen validiert ist).” Dem Einwand des Vorsitzenden, Saß so verstanden zu haben, dass dieser die Checkliste auch nicht anwende, entgegnete Faustmann: “Aber dann kann ich auch nicht einzelne Elemente extrahieren.”

    Zu der Sinnhaftigkeit der Hang-Kriterien nach Saß führte er aus: “Es sind systematisierte Hilfskonstrukte, die dazu dienen sollen, so schreibt Nedopil, um den Begriff des Hanges erfassen
    zu können. Es sind Anhaltspunkte, die aber in jedem Einzelfall sehr kritisch überprüft werden – gerade im Hinblick auf die Frage, ob es sich um überdauerndes Verhalten handelt oder aber bestimmte Merkmale einer Lebensphase. Es handelt sich nicht um ein Testverfahren, es liegen keine Daten zur Objektivität und zur Reliabilität vor, die Gewichtung ist nicht ersichtlich. Es werden keinerlei protektive Aspekte der Resilienz genannt.”
    Auf die Frage von Rechtsanwalt Stahl nach der Einordnung der Erfahrungen eines Sachverständigen in seine Begutachtung erklärte Faustmann: “Ich habe ausgeführt, dass es problematisch ist, sich auf die eigenen Erfahrungen zu beziehen, wenn auf den Einzelfall bezogen der Erfahrungsrahmen nicht vorliegt und ein ganz anderer Erfahrungsrahmen die Grundlage für die Erstellung der Kriterien vorgibt. Die Hangkriterien wurden auf der Basis der Erfahrung erstellt. Sie beziehen sich auf Menschen, die im Hinblick auf einen Hang sachverständig begutachtet wurden. Dieses Klientel bestand 1991 bis 2001 nahezu ausschließlich aus Männern einer bestimmten Konstellation, einem überwiegenden Anteil mit Persönlichkeitsstörungen und Sexualstraftäter. Es gibt einen Erfahrungspool, das ist keine Frage. Aber der besteht aus überwiegend männlichen Probanden. Es ist dann methodisch überaus bedenklich und schwierig, diese Kriterien bei einer Person zugrunde zu legen, die nicht darunterfällt. Ich denke, das muss man offen ansprechen, dass erhebliche Einschränkungen in der Beurteilbarkeit bestehen. Es gibt hinsichtlich der methodischen Anwendbarkeit große Bedenken.”

    Auf die Frage von Rechtsanwalt Scharmer, ob es verschiedene Positionen in der Wissenschaft zu der Frage nach dem Untersuchungsgegenstand des psychiatrischen Sachverständigen gäbe, stellte er klar: “Die gibt es immer. Die müssen transparent und nachvollziehbar sein, ich habe in meiner ersten Stellungnahme durchaus verwiesen auf Leygraf, wonach Saß sich sehr weit bei § 66 StGB aus seinem Kerngebiet entfernt hat. Nedopil hat ausgeführt, dass es sich überwiegend um kriminologische Kriterien handelt.”
    Rechtsanwältin Wierig erklärte er auf ihre Frage zu einzelnen, von Saß verwendeten Items einer der Psychopathie-Checklisten nach Robert Hare, ob es nicht sinnvoll sei, Einzelteile einer Falluntersuchung zu nehmen, wenn das ganze Modell nicht anwendbar sei, warum die einzelne Anwendung nicht zulässig sei: “Es ist ein methodischer Grundsatz, dass man bei Testverfahren dieses immer nur auf seine Anwendbarkeit hinnehmen kann. Wenn ein Testverfahren zur Entwicklung von Apfelsorten entwickelt wurde, kann ich nicht drei Merkmale daraus entnehmen und eine Birne beurteilen. Testverfahren sind an bestimmten Personen validiert. Wenn das Verfahren anhand von 50-jährigen Männern entwickelt wurde, kann ich damit nicht 30-jährige Frauen begutachten.“
    Angesprochen auf die insoweit unbefriedigende Situation bekräftigte er: “Wenn bestimmte Voraussetzungen nicht vorliegen, kann ich als psychiatrischer Sachverständiger nichts dazu sagen. Punkt. Der Wissenschaftler kann nicht sagen: Ich orientiere mich an den Bedürfnissen der Rezipienten. Ich muss vielmehr sagen: Ich weiß es nicht. Wenn man anfängt, über den eigenen Tellerrand da und da zu schauen, muss man das mit großer Vorsicht kommunizieren, um nicht den Eindruck zu erwecken, man steht auf sicheren Füßen. Das ist dann eine nicht mehr wissenschaftlich begründbare Stellungnahme.”

    Stahl: “Ja., Herr Vorsitzender, in dem Zusammenhang kein unmittelbarer Antrag, sondern eine Anregung: Der Sachverständige Prof. Dr. Saß hat gestern das ihm eingeräumte Fragerecht gegenüber Prof. Dr. Faustmann nicht wahrgenommen. Stattdessen hat er angekündigt, er wolle eine Stellungnahme – offenbar in der Hauptverhandlung – abgeben. Wir sind der Auffassung, dass das prozessual nicht zulässig ist. Sollte das in anderer Form seitens des Senats doch stattfinden, dann sind wir der Auffassung, dass von Amts wegen dafür gesorgt werden muss, dass Herr Prof. Saß nicht an Herrn Prof. Faustmann vorbei versuchen kann, sein Gutachten zu retten; sondern Faustmann muss anwesend sein. Hilfsweise müssten Sie uns Gelegenheit geben, dass wir Herrn Faustmann dann zu der unseres Erachtens nicht zulässigen Stellungnahme laden können.”

    RAin Von der Behrens: “Ich bitte um 15 Minuten Unterbrechung und Aushändigung der Kopien der anderen Anträge, damit wir beraten können, ob wir den Antrag noch stellen.” Götzl: ” Dann empfiehlt es sich, direkt die Mittagspause zu machen. Dann unterbrechen wir gleich für eine Stunde und setzen um 12 Uhr fort.” Es folgt die Mittagspause bis 12:12 Uhr.

    Danach verliest RAin von der Behrens folgenden Antrag:
    In der Strafsache ./. Zschäpe u.a. 6 St 3/12 haben die Unterzeichner immer darauf hingewiesen, dass die Gewaltbereitschaft, Gewalttätigkeit und Menschenverachtung der extrem rechten Szene nicht auf das Wirken von V-Leuten oder staatlichen Behörden zurückzuführen ist, sondern auf die in der extrem rechten Szene vorherrschende Ideologie. Die Unterzeichner meinen dennoch, dass die staatliche Kollusion in diesem Verfahren aufzuklären ist. Denn die Aktivitäten des Verfassungsschutzes und insbesondere sein V-Mann-Wesen haben bei der Entstehung des NSU und seinen Taten ihren Anteil. Vor diesem Hintergrund ist die V-Mann-Tätigkeit des Zeugen Stephan Lange –”Pinocchio“ – hier erheblich, der am 28. April 2015 in der Hauptverhandlung gehört wurde. Er gab damals an, von der Gründung bis zum März 2000 “Divisionschef” von Blood & Honour Deutschland gewesen zu sein. Zum Charakter von B&H gab er an, es sei eine eine Musikbewegung gewesen, Gewalt gegen den politischen Gegner oder Konzepte wie der führerlose Widerstand hätten keine Rolle gespielt. Auf Frage der Nebenklage sagte er, zu keinem Zeitpunkt von einer Verfassungsschutzbehörde angesprochen worden zu sein oder einer solchen Informationen weitergeleitet zu haben. Demgegenüber berichtete am gestrigen 16.05.2017 die ARD, dass Lange V-Mann gewesen sei. Dazu sei es gekommen, nachdem das LKA Berlin von Thomas Starke einen Hinweis erhalten habe, dass Lange möglicherweise zur Zusammenarbeit bereit sei.

    Das LKA Berlin 514 habe ihn dann an das Bundesamts für Verfassungsschutz vermittelt. In einem nachfolgenden Bericht des Tagesspiegels wird ergänzt, dass das BfV eingeräumt hat, Lange als V-Mann geführt zu haben. Das BfV hat dem Artikel zufolge konkret zugegeben, dass ein erster Kontakt zu Lange im Jahr 2000 erfolgt sei und er Anfang 2002 verpflichtet worden sei. Insoweit hat der Zeuge also falsch ausgesagt. Unrichtig waren auch seine Angaben zur fehlenden Militanz von B&H. Sie sind bereits durch die Verlesung von Artikeln aus dem von ihm herausgegebenen Blood & Honour Magazin Nr. 2 aus dem Jahr 1996 widerlegt, in denen u.a. das Terrorkonzept leaderless resistance vorgestellt und Gewalt verherrlicht wird. Die erneute Ladung des Zeugen Lange wäre wegen dessen bisherigen Aussageverhaltens nicht zielführend.
    Es wird daher beantragt, 1. die bei dem LKA Berlin und dem BfV vorhandenen Aktenbestandteile beizuziehen, die Informationen von dem V-Mann Stephan Lange enthalten zur Unterstützung von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und der Angeklagten Zschäpe mit Geld, Ausweispapieren, Wohnungen und Waffen, dem Aufenthaltsort der Drei, zu der Existenz des NSU und zu dem Innenverhältnis der Drei, sowie die Beiziehung der Aktenbestandteile, die Informationen zu der Nähe und der Zusammenarbeit von Blood & Honour-Strukturen mit der Kameradschaftsszene und der Verbreitung der Ideologie und der Terrorkonzepte von Combat 18 in der gesamten Neonaziszene, enthalten unter der Nebenklage Akteneinsicht in diese zu gewähren; 2. die V-Mann-Führer des BfV, die Stephan Lange in der Zeit von 2000 bis 2011 geführt haben, zu ermitteln und zu laden und zu dem oben beschriebenen Inhalt der Meldungen des Stephan Lange zu hören.

    Begründung:
    I. Der Antrag kann derzeit nur als Beweisermittlungsantrag gestellt werden, da über die in den Medien veröffentlichten Informationen zu der V-Mann-Eigenschaft des Stephan Lange hinaus nichts bekannt ist. Dem Beweisermittlungsantrag ist aus folgenden Gründen nachzugehen:
    1. Der Zeuge Lange hat in der Hauptverhandlung angegeben, Carsten Szczepanski sowie die Mitglieder bzw. das unmittelbare Umfeld der sächsischen B&H-Sektion, wie Jan Werner, Antje B. geschiedene Probst, Thomas Mü., geborener Starke, “Gunnar”, also Gunther Fiedler, Andreas Graupner und Ralf Marschner sowie von der thüringischen B&H Sektion wenigstens Marcel Degner und Mike Bär zu kennen. Mit Jan Werner sei er befreundet gewesen, diese Freundschaft sei auch nicht durch die Trennung der sächsischen Blood & Honour-Sektion von der Division im Oktober 1998 beeinträchtigt worden. Die bisherige Beweisaufnahme hat ergeben, dass Jan Werner und Antje B., geschiedene Probst, dem V-Mann Carsten Szczepanski mindestens in der Zeit von August bis Oktober 1998 vom Aufenthaltsort des Trios, von den Versuchen des Trios sich zu bewaffnen und Raubüberfälle zu begehen sowie von der Unterstützung des Trios durch die sächsische Blood & Honour-Sektion berichtet haben.

    Die Beweisaufnahme hat weiter ergeben, dass mit erheblicher Wahrscheinlichkeit Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe am 7. Mai 2000 Jan Werner und dessen damalige Freundin Annett We. oder ihre Schwester, Heike Be. in Berlin getroffen haben. Thomas Starke wurde im Rahmen des Landser-Verfahrens und mit Wissen des GBA durch das LKA Berlin, konkret durch den Zeugen Th. als Informant angeworben. Am 13.02.2002 berichtete Starke dem LKA, dass Jan Werner drei Personen kenne, die wegen Waffen- und Sprengstoffbesitzes mit Haftbefehl gesucht würden. Wie viel Jan Werner über das Trio gewusst haben muss, zeigt sich auch daran, dass er nach der Selbstenttarnung des NSU dem Zeugen Thomas Starke erzählt hat, Mundlos und Böhnhardt seien “ganz schön krass drauf” gewesen, die hätten ihm einmal eine Waffe an den Kopf gehalten und gesagt, er solle aufpassen, wem er was erzähle. Da Stephan Lange als Freund und Divisionschef für Jan Werner mindestens so wichtig war wie Carsten Szczepanski und Thomas Starke, wird Werner auch Lange die zahlreichen Informationen zu seiner eigenen Unterstützungsleistung an das Trio und zu den Unterstützungsleistungen der B&H-Sektion mitgeteilt haben.

    Lange wird diese Erkenntnisse mit seinem V-Mann-Führer beim BfV geteilt haben, was sich in Deckblattmeldungen, Treffberichten und dessen Erinnerung niedergeschlagen haben wird. Selbst wenn es zutreffend ist, dass Lange erst seit 2000 oder 2002 für das BfV gearbeitet hat, ist davon auszugehen, dass die Informationen zu der Zeit von 1998 dem BfV vorliegen. Es ist üblich, bei der Anwerbung von V-Leuten deren relevantes Wissen auch über vergangene Ereignisse abzuschöpfen. Dem BfV, das im Rahmen der Operation Drilling die Meldungen von Szczepanski von Brandenburg selbst nach Thüringen steuerte, waren die Unterstützungsleistungen durch Angehörige der B&H-Sektion Sachsen auch bekannt. Bei Gewinnung eines hochrangigen V-Manns in dieser Szene an diese brisanten Informationen anzuknüpfen, lag damit für das BfV auf der Hand. Dies gilt erst recht, weil der V-Mann dem Tagesspiegel-Bericht zufolge explizit auf eine weitere Radikalisierung des B&H-Milieus bis hin zu terroristischen Aktivitäten angesetzt war. Ebenso lag es nahe, an die Meldung des LfV Mecklenburg-Vorpommern anzuknüpfen, der von David Petereit herausgegebene Weisse Wolf habe im Jahr 2002 einen Brief mit einer hohen Geldspende erhalten, auf die in dem Weissen Wolf Nr. 18 aus demselben Jahr Grüße an den “NSU” folgten. Dass das BfV auf diese Erkenntnisse mit der Steuerung von V-Männern reagierte, zeigt sich auch daran, dass der V-Mann Thomas Richter – “Corelli” – nach der Veröffentlichung der Grüße das Hosting für die Webseite des Weissen Wolfes übernahm.

    2. Stephan Lange zog zwischen 2000/2001 nach Kirchheim in Baden-Württemberg, das in
    unmittelbarer Nähe von Ludwigsburg und Heilbronn liegt; in diese Gegend waren u.a. auch Jan Werner und Andreas Graupner gezogen. Was Lange in seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung behauptet hat, nämlich, dass er in der Zeit nach dem B&H-Verbot keine Kontakte in die Szene mehr gehabt habe, ist durch die Angaben des BfV gegenüber dem Tagesspiegel widerlegt, wonach Lange “mehrere Jahre ‘ergiebig’ über Skinhead-Milieus berichtete, die in Deutschland illegal Blood & Honour weiter betreiben wollten”. Vor diesem Hintergrund muss unter anderem davon ausgegangen werden, dass Stephan Lange aufgrund seiner bundesweite Vernetzung in der Neonaziszene, von den im Jahr 2002 an rechte Szenezeitschriften und Organisationen verschickte NSU-Briefe und Geldspenden wusste und dieses Wissen auch dem BfV mitteilte.

    II. Die Beweiserhebung wird ergeben, dass die Trennung der Blood & Honour-Sektion von der Division Deutschland nur aus taktischen Erwägungen erfolgte und nicht – anders als die Verteidigung Wohlleben in ihren damaligen Beweisantrag zur Vernehmung des Zeugen Lange behauptet – wegen derer größerer Radikalität. Sie wird ferner ergeben, dass es zwischen den ehemaligen B&H-Strukturen, auch in Thüringen und Sachsen, und der Freien Kameradschaftsszene durchgängig eine Zusammenarbeit gab. Die Beweiserhebung wird damit ergeben, dass dem BfV schon vor dem Jahr 2007 alle Erkenntnisse vorlagen, die die Gefährlichkeit des Trios belegten. Sie wird weiter ergeben, dass das BfV Informationen über den Aufenthaltsort des Trios und seine Unterstützer hatte, die bei Weitergabe an die Strafverfolgungsbehörden zur Festnahme des Trios und Verhinderung von dessen Verbrechen geführt hätten. Gleichwohl hat das BfV die Taten nicht verhindert und greift seit der Selbstenttarnung des NSU 2011 steuernd in die Ermittlungen und die Aufklärung des NSU-Komplexes ein. Im Fall des Stephan Lange dadurch, dass der V-Mann nicht nur unwidersprochen durch den Dienst seine Tätigkeit als V-Mann leugnet, sondern in der Hauptverhandlung auch darüber hinaus unrichtige oder verharmlosende Angaben zu B&H und zu Unterstützern, wie Jan Werner, machte. Vor allem aber dadurch, dass das BfV die V-Mann-Eigenschaft des Stephan Lange dem GBA gegenüber nicht freigegeben hat und die Quellmeldungen Stephan Langes zu dem Trio und seinen Unterstützern nicht an den GBA weitergeben hat. Zudem wird sich aus der vorzunehmenden Beweisaufnahme mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben, dass Lange dem BfV gegenüber über den Kontakt mit Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe zu ihm bzw. zu Werner Details berichtete, die auch die Struktur und das Verhältnis der drei untergetauchten Personen untereinander betrafen und damit die Angaben der Angeklagten Zschäpe widerlegen.

    Der Antrag ist unterschrieben von den NK-Vertreter_innen Başay, von der Behrens, Daimagüler, Elberling, Hoffmann, Luczak, Ilius, Lunnebach, Scharmer und Stolle. Götzl: “Sind weitere Anträge zu stellen?” Niemand meldet sich. Götzl: “Soll denn zu den gestellten Anträgen sogleich von Seiten der Verfahrensbeteiligten Stellung genommen werden?” NK-Vertreterin RAin Wierig sagt, sie habe keine Stellungnahme, sondern eine Anregung zum Antrag von RA Grasel. Sie wolle zu bedenken geben, dass, wenn es um die Zeit Zschäpes bei Herrn Trepte gehe, dass dieser ihrer Meinung nach nicht verstorben sei: “Dann wäre er zu befragen, nicht Frau Annerose Zschäpe, denn die war ja nicht dabei.” Götzl: “Dann wird die Hauptverhandlung unterbrochen. Wir setzen dann fort morgen um 09:30 Uhr.” Der Verhandlungstag endet um 12:26 Uhr.

    Das Blog “NSU-Nebenklage“: “Heute lief die vom Gericht gesetzte Frist für die Stellung von Beweisanträgen ab – und in der Tat wurden noch einige Antrage gestellt. (…) Aus der Nebenklage kam der Antrag, die V-Mann-Akten des ehemaligen Deutschland-Chefs von Blood and Honour, Stefan Lange alias Pinocchio, beizuziehen. Der hatte bei seinem Auftritt vor Gericht geleugnet, V-Mann gewesen zu sein – gestern berichteten nun mehrere Medien, dass er mehrere Jahre lang V-Mann des Bundesverfassungsschutzes war und ‘ergiebig’ aus den (ehemaligen) Blood and Honour-Strukturen berichtet hat. Angesichts seiner herausgehobenen Stellung in Blood and Honour und seiner engen Freundschaft zu unmittelbaren UnterstützerInnen wie u.a. Jan Werner ist naheliegend, dass auch er Mitteilungen zum NSU-Kerntrio machte und dass diese dann wiederum vom Verfassungsschutz nicht an die Ermittlungsbehörden weitergeleitet wurden. Die Verteidigung Wohlleben beantragte die Vernehmung von Lange und weiteren Personen, allerdings in Verfolgung ihrer These, Blood and Honour Sachsen sei nicht nur alleine für die Radikalisierung des NSU-Kerntrios verantwortlich gewesen, sondern habe auch die Mordwaffe Ceska besorgt – beides Thesen, mit denen die Verteidigung bisher zu recht beim Gericht kein Gehör fand. Interessant ist ein Detail am Rande: Verteidigerin Nicole Schneiders zählte in einem der Anträge eine Reihe von V-Leuten aus dem unmittelbaren Umfeld des NSU in Thüringen und Sachsen auf – und nannte dabei auch den Thüringer Ronny Artmann. Der war bisher öffentlich nicht als V-Mann gehandelt worden. Artmann war zwischen 1998 und 2001 u.a. im THS und den ‘Jungen Nationaldemokraten’ in Jena aktiv, kam hier auch mit der damals in Jena studierenden Schneiders in Kontakt. Zudem war er einer der engsten Vertrauten des Angeklagten Schultze, wurde aber erst im Februar 2013 vom BKA vernommen und ist in der Liste der Kontaktpersonen in der Anklage nicht einmal erwähnt.”
    https://www.nsu-nebenklage.de/blog/2017/05/18/17-05-2017/

      Der Beitrag Protokoll 363. Verhandlungstag – 17. Mai 2017 erschien zuerst auf NSU Watch.

      Protokoll 375. Verhandlungstag – 25. Juli 2017

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      An diesem 375. Verhandlungstag schließt der Vorsitzende Richter Götzl die Beweisaufnahme und damit beginnt die Bundesanwaltschaft mit ihrem Plädoyer. Darin geht sie davon aus, dass die Anklage des GBA hinsichtlich aller fünf Angeklagter sich „objektiv und subjektiv in allen wesentlichen Punkten bestätigt“ habe. In einem einleitenden Teil spricht der Bundesanwalt Dr. Diemer davon, dass es nicht Aufgabe des Prozesses gewesen sei, staatliche Fehler aufzuklären, Anhaltspunkte für „strafrechtliche Verstrickungen“ staatlicher Stellen habe es nicht gegeben, „alle anderen Spekulationen selbsternannter Experten, die so tun, als habe es die Beweisaufnahme nicht gegeben, sind wie Irrlichter, sind wie Fliegengesumme in den Ohren“. Die Vertreterin der BAW, Greger, geht im Anschluss daran zunächst auf die Taten des NSU und die Hauptangeklagte Beate Zschäpe ein.

      Der Prozesstag beginnt um 9:46 Uhr. Auf den Plätzen der Verteidigung hat heute auch der Wahlverteidiger von Beate Zschäpe, RA Borchert, Platz genommen. Götzl verliest, dass es bei dem Beschluss von 19.7.2017 sein Bewenden habe, mit dem die Anträge, den Schlussvortrag der BAW akustisch aufzuzeichnen und die Datenträger an die Verfahrensbeteiligten auszuhändigen oder ihnen zu gestatten, zur ausschließlich internen Verwendung selbst aufzuzeichnen, abgelehnt wurden. Den Hilfsanträgen, die BAW zu ersuchen, hilfsweise um die Überlassung der Manuskripte zu ersuchen oder Stenotypisten hinzuzuziehen oder die Möglichkeit einzuräumen, Stenotypisten hinzuzuziehen werde nicht nachgekommen.

      Götzl sagt, zur Begründung der Gegenvorstellung sei vorgetragen worden, er stelle nur auf die Verteidiger als Volljuristen, aber nicht auf die Angeklagten als juristische Laien ab. Nach erneuter Prüfung unter besonderer Berücksichtigung der Gegenvorstellung könne der Senat keine Gründe erkennen: „Es hat demnach beim Beschluss sein Bewenden.“ Götzl geht noch einmal auf die Inhalte der Gegenvorstellung ein. RA Grasel habe im Hinblick auf den angegriffenen Beschluss darauf hingewiesen, dass er an der Mehrzahl der Verhandlungstag nicht teilgenommen habe. Dies ändere jedoch nichts daran, dass er in den Verfahrensstoff eingearbeitet und in der Lage sei, den Schlussvortrag zu verstehen. Entsprechendes gelte für RA Borchert. Es gebe keinen Anspruch auf Tonaufnahme des Schlussvortrags der BAW, sagt Götzl, und nennt dazu Fundstellen. „Im deutschen Strafprozess herrscht das Prinzip der Mündlichkeit. Bei der Prüfung ob eine Aufnahme doch zugelassen wird, werden die beteiligten Interessen abgewogen. Bei realistischer Betrachtung ist es möglich, dass die Aufnahme in die Öffentlichkeit gelangt.“ Dass derartige Befürchtungen einen realistischen Hintergrund hätten, ergebe sich beispielsweise aus der Veröffentlichung eines Briefes der Angeklagten. Zusätzlich sei zu sehen, dass bei einer Aufnahme zu besorgen sei, dass die Vertreter des GBA davon Abstand nehmen, spontan Ergänzungen in den mündlichen Vortrag einzuflechten.

      Im Hinblick auf die Gegenvorstellung sagt Götzl, diese trage erneut vor, der objektive Gehalt eines Plädoyers stehe derart im Vordergrund, dass die Persönlichkeit des Sprechenden zurücktrete. Ein überwiegendes Interesse der Allgemeinheit sei nicht ersichtlich. Die vorgeschlagene Bereinigung einer Aufnahme möge zwar für peinliche Versprecher eine Möglichkeit sein, zusätzlich sei die Möglichkeit zu sehen, dass ganze Sätze aus dem Zusammenhang gerissen werden könnten. Die Gegenvorstellung sehe nur eine geringe Gefahr, dass es überhaupt zu Versprechern kommen könne, weil der Schlussvortrag schriftlich vorliege. Letzteres treffe jedoch nach den Angaben von Dr. Diemer nicht zu. Der Hinweise, die Presse würde Versprecher ebenfalls wahrnehmen gehe fehl, weil in Printmedien die Verwendung des Originaltons nicht möglich sei.

      Götzl fährt fort, die Gegenvorstellung berufe sich darauf, dass die Angeklagten ohne Tonaufnahme nicht mehr verhandlungsfähig seien. Für die strafrechtliche Verhandlungsfähigkeit genüge es aber, wenn der Angeklagte seine Interessen wahrnehmen könne. Der Angeklagte werde vor Entscheidungen des Gerichts unabhängig von seinen Verteidigern gehört. Die Anforderungen an die Verhandlungsfähigkeit entzögen sich einer pauschalen Festlegung. Das OLG Stuttgart habe dazu entschieden, das Gebot, den Angeklagten nicht als bloßes Objekt des Strafverfahrens zu behandeln, bedeute, dass ihm Verfahrensrechte eingeräumt werden müssten. Es bedeute nicht, dass er die Rechte in jeder Hinsicht selbstständig und ohne Hilfe wahrzunehmen können müsste. Die Grenze der Verhandlungsfähigkeit müsse dort gezogen werden, wo die Entscheidung über grundlegende Fragen der Verteidigung nicht mehr möglich sei. Götzl beendet seine Ausführungen damit, dass die die Gründe, die gegen einen Aufnahme des Schlussvortrags des GBA sprechen, überwiegen würden: „Es hat demnach beim Beschluss sein Bewenden.“

      Die Anträge, den mündlichen Vortrag auf Kosten des Gerichts durch Stenotypisten aufzeichnen zu lassen, lehnt Götzl genauso ab wie die Anträge, die Schlussvorträge in Kopie zur Verfügung zu stellen. Unvollständige Dokumente erfüllten nicht den von den Antragstellern erstrebten Zweck. Den wiederum hilfsweise gestellten Antrag, dass der Senat den Vortrag durch einen Stenotypisten aufzeichnen lasse, werde nicht nachgekommen. Der Senat gehe davon aus, dass es auf die Fixierung des genauen Wortlauts nicht ankomme, Die sinngemäße Niederschrift des Plädoyers durch die Beteiligten sei hierfür ausreichend. Götzl: „Die Anträge auf Aushändigung einer Kopie der Mitschrift haben sich erledigt.“

      Zschäpe-Verteidiger RA Heer beantragt die Übergabe einer Abschrift und eine Unterbrechung bis 11:30 Uhr, um zu entscheiden ob ein Ablehnungsgesuch angefertigt werden soll. Wohlleben-Verteidigerin RAin Schneiders: „Auch wir beantragen eine Unterbrechung und eine Abschrift.“

      Um 11:53 geht es weiter. Götzl: „Werden denn Anträge gestellt von Seiten der Verfahrensbeteiligten? Keine? Dann schließe ich die Beweisaufnahme und bitte um die Schlussvorträge.“ Bundesanwalt Dr. Diemer: „Ich möchte gern meine Notizen holen, die hab ich nämlich oben.“ Götzl unterbricht bis 12:00 Uhr. Dann beginnt Diemer mit dem Plädoyer der BAW:

      Hoher Senat, die Beweisaufnahme ist nach 375. Hauptverhandlungstagen, nach vier Jahren und mehreren Monaten zum Abschluss gekommen. Eine Beweisaufnahme, die das politische und mediale Interesse nicht immer befriedigen konnte, weil die Strafprozessordnung dem Grenzen setzte. Rechtsstaatliche Grenzen, die verlangen, das Wesentliche vom strafprozessual Unwesentlichem zu trennen. So ist es schlicht und einfach falsch, wenn kolportiert wird, der Prozess habe die Aufgabe nur teilweise erfüllt, denn mögliche Fehler staatlicher Behörden und Unterstützerkreise – welcher Art auch immer – seien nicht durchleuchtet worden. Mögliche Fehler staatlicher Behörden aufzuklären, ist eine Aufgabe politischer Gremien. Anhaltspunkte für eine strafrechtliche Verstrickung von Angehörigen staatlicher Stellen sind nicht aufgetreten. Wären sie aufgetreten, wären sie in gesetzlich vorgesehener Weise aufgeklärt [oder ermittelt]worden.

      Die Ermittlung eines weiteren Unterstützerumfelds ist bei Bestehen entsprechender Anhaltspunkte Aufgabe weiterer Ermittlungen. Sie konnte nicht Aufgabe dieses Prozesses sein, denn der Gegenstand war durch die zur Anklage gebrachten Taten vorgegeben. Diese klaren Strukturen müssen in einem Rechtsstaat eingehalten werden, dieser Senat und die Bundesanwaltschaft haben sie eingehalten. Anderes zu behaupten, verunsichert die Opfer und die Bevölkerung. Bezogen auf den strafprozessualen Gegenstand der Hauptverhandlung, nämlich die angeklagten Taten und die Schuld der Angeklagten, ist die Hauptverhandlung ihrer systemrelevanten Bedeutung, aber auch der menschlichen, gesellschaftlichen und historischen Bedeutung in jeder Hinsicht gerecht geworden. Sie war in ihrem Ausmaß, Gewissenhaftigkeit und Gründlichkeit das adäquate Pendant nicht nur zu dem ungeheuer komplizierten Verfahrensstoff, sondern auch zu den infamsten Taten seit den linksextremistischen Mordanschlägen der RAF. Diese umfassende Beweisaufnahme hat die Anklage des GBA hinsichtlich aller fünf Angeklagter objektiv und subjektiv in allen wesentlichen Punkten bestätigt.

      Danach hat Beate Zschäpe als Mitgründerin und Mitglied einer terroristischen Vereinigung, die sich NSU nannte, gemeinsam mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zehn Menschen ermordet, in der Zeit zwischen 1998 und 2011 neun Menschen türkischer und griechischer Herkunft ermordet und einen Anschlag auf Polizeibeamte begangen, bei dem eine Polizeibeamtin verstarb und ihr Kollege schwer verletzt wurde. Die Angeklagte Zschäpe hat als Mittäterin in tödlicher Absicht einen Bombenanschlag auf das Ladengeschäft einer deutsch-iranischen Familie verübt und dabei eine junge Frau aufs schwerste verletzt, sowie als Mittäterin eine Nagelbombe mit großer Sprengkraft in der Keupstraße zur Explosion gebracht, um möglichst viele Menschen türkischer Herkunft zu töten, und hat dabei 23 Personen zum Teil schwer verletzt. Diese Mordanschläge hat sie auf einer DVD auf zynische und volksverhetzender Weise dargestellt und die Opfer damit verhöhnt. Zur Finanzierung des Lebensunterhalts im Untergrund hat Beate Zschäpe mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt als Mittäterin besonders besonders schwere Überfälle auf einen Supermarkt und mehrere Bankinstitute […] verübt, dabei insgesamt über 600.000 € erbeutet und zweimal in tödlicher Absicht auf einen Menschen geschossen. Schließlich hat Beate Zschäpe nach dem letzten Überfall zur Verdeckung all dieser Taten das zuletzt bewohnte Haus in der Frühlingsstraße 26 in Zwickau in Brand gesetzt. Dabei rechnete sie damit, dass Menschen, die sich keines Angriffes versahen, zu Tode kommen könnten, und hat dies billigend in Kauf genommen.

      In dieser Hauptverhandlung wurde auch aufgeklärt, warum diese Menschen sterben mussten, warum Martin A. in den Kopf geschossen wurde, warum [die Betroffene des Anschlags in der Kölner Probsteigasse]so schwer verletzt wurde und warum die Nagelbombe in Köln explodierte und so viele Menschen verletzt werden mussten. Das Motiv war in allen Fällen rechtsextremistische Ideologie, der Wahn von einem ausländerfreien Land, dieses freie, freundliche Land, in dem wir leben, zu erschüttern, um einem widerwärtigen Naziregime den Boden zu bereiten. Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Yunus Turgut, İsmail Yaşar, Theodorus Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat wurden von Beate Zschäpe und ihren Komplizen hingerichtet, weil sie ausländischer Herkunft waren und in den Augen ihrer Mörder in Deutschland nichts zu suchen hatten. Weil andere Menschen davon abgeschreckt werden sollten, nach Deutschland zu kommen, weil Bürger ausländischer Herkunft dazu gebracht werden sollten, Deutschland zu verlassen. Diese Menschen wurden nicht aufgrund irgendeiner eigenen kriminologischen oder soziologischen Vorbelastung zum Opfer, sondern als willkürlich herausgegriffene Angehörige ihrer Bevölkerungsgruppe, nur dies allein bestimmte die Auswahl. Allein aus diesen Gründen explodierte die Bombe [in der Kölner Probsteigasse] und vor dem türkischen Frisiergeschäft.

      Auch die 22-jährige Polizeimeisterin Michèle Kiesewetter ist den Terroristen nicht aufgrund Persönlichkeit oder Verhalten zum Opfer gefallen. Abseits von haltlosen Spekulationen der Öffentlichkeit, haben die tatsächlichen Feststellungen in dieser Hauptverhandlung ein eindeutiges Ergebnis erbracht. Auch Kiesewetter sollte sterben als Repräsentantin des von den Extremisten verhassten Staates. Genau das Gleiche gilt für ihren Kollegen, den damals 24-jährigen Polizeimeister A., der den Mordanschlag mit einem Höchstmaß an Glück überlebte. Sein Traumberuf ließ ihn zu Beginn des Dienstes zum Opfer eines Anschlags werden. Der Anschlag auf die beiden Polizeibeamte war Angriff auf unseren Staat, seine Vertreter und Symbole. Die Auswahl der Personen selbst geschah auch hier willkürlich. Alle anderen Spekulationen selbsternannter Experten, die so tun, als habe es die Beweisaufnahme nicht gegeben, sind wie Irrlichter, sind wie Fliegengesumme in den Ohren.

      Die Täter, das werden wir darlegen, waren Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Sie waren es, die als sog. NSU […] mit diesem Terror überzogen und dieses Unheil angerichtet haben. Sie waren es, die all diese angeklagten Straftaten begangen, in Mittäterschaft als Mitglieder einer terroristischen Vereinigung, unterstützt durch die vier anderen Angeklagten. Auch hinsichtlich dieser vier Personen hat sich der Sachverhalt in allen Punkten bestätigt, wie angeklagt. Die überlebenden Täter und ihre Unterstützter und Gehilfen sitzen hier auf den Bänken, sie heißen Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben, Holger Gerlach, André Eminger und Carsten Schultze.

      Diemer schließt den ersten Teil des Plädoyers ab: „Ich würde mir dann erlauben, jetzt abzugeben an OStAin Greger, die Ausführungen machen wird zu Beate Zschäpe und zur Vereinigung, gefolgt von OStA Weingarten, der zu den vier weiteren Angeklagten und zur Beschaffung der Mordwaffe Ceska plädieren wird. Zum Abschluss würde ich wieder das Wort ergreifen und zu den Rechtsfolgen Ausführungen machen.“

      Dann beginnt OStAin Anette Greger damit, ihren Teil des Plädoyers vorzutragen:
      Hoher Senat, Herr Vorsitzender. Ich werde meinen Teil in zwei Teile gliedern.
      Der erste Teil wird kurz auf die Einlassung Beate Zschäpes eingehen, es folgt die Vorgeschichte und die Periode der Gründung der Vereinigung. Danach werde ich Ausführungen zur Struktur der Vereinigung und mitgliedschaftlichen Betätigung Beate Zschäpes machen. In diesem Komplex werde ich darlegen, wie zwei erfolglose Narzissten und die Tochter zweier Zahnärzte das Land terrorisierten und keiner vor ihnen sicher war. Kein Migrant, kein Polizeibeamter, und auch kein Angestellter oder Kunde einer Bank oder eines Supermarktes. Im zweiten Teil werde ich auf die einzelnen Straftaten im Einzelnen eingehen.
      Greger fragt, bevor sie fortfährt: „Gibt es Vorgaben zur Mittagspause?“ Götzl antwortet, er denke, man könnte gegen 13 Uhr eine Pause machen.

      Greger setzt fort:
      Einige Ausführungen zur Einlassung der Angeklagten Beate Zschäpe:
      Die Angeklagte hat am 249. Hauptverhandlungstag in einer vom Verteidiger verlesenen und nach der Aussage der Verteidiger weitgehend von diesen vorformulierten Erklärung jede Art der Beteiligung und Form der Verantwortung von sich gewiesen. Sie habe sich von der rechten Gesinnung distanziert und sei in die Mordanschläge nicht eingeweiht gewesen. In der Gruppe sei sie zunehmend isoliert und misstrauisch beäugt worden, Entscheidungen seien ohne sie getroffen worden. Eine terroristische Vereinigung habe überhaupt nicht existiert. Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos hätten ohne ideologische Hintergründe getötet. Sie selbst habe resigniert und habe zunehmend Alkohol getrunken. Geleitet von einem Motivbündel aus Liebe, Unsicherheit, Loyalität und
      […], habe sie nicht die Kraft gehabt, sich zu lösen. Von der Beute aus den Banküberfällen habe sie profitiert, ohne an der Planung beteiligt gewesen zu sein. Den Brand in der Frühlingsstraße am 4.11.2011 habe sie zwar gelegt. Vor der Inbrandsetzung habe sie sich jedoch vergewissert, dass keine Personen gefährdet würden.

      In weiteren Einlassungen ist die Angeklagte auf konkrete Fragen des Senats zu einzelnen Komplexen in schriftlich vorformulierter Form und von den Verteidigern verlesen eingegangen, ohne jedoch die Grundidee ihrer Exkulpation zu verändern. Auch sie selbst sei wiederholt der Gewalt von Uwe Böhnhardt ausgesetzt gewesen.

      Auch in einer an die Opfer gerichteten persönliche Erklärungen hat sie keine Schuld übernommen. Im weiteren Verlauf des Prozesses hat sie eine spontane tatbezogene Auskunft durchweg abgelehnt. Den Vertretern der Anklage und der Nebenklage wie auch dem psychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. Saß stand sie überhaupt keine Rede. Auf ein Gespräch mit den von ihren Verteidigern beauftragten Dr. Bauer ließ sie sich zwar ein, aber die Exploration beschränkte sich darauf, ihr eigenes Dilemma und Leiden durch Böhnhardt auszumalen.

      So blieben Widersprüche zu den belastenden Angaben der Mitangeklagten offen. Der Auseinandersetzung mit wichtigen Beweismitteln verweigert sie sich nach wie vor. Den Fragen der Opfer und Hinterbliebenen hat sie sich nicht gestellt. Eine derartige Strategie eines adaptierten Teilschweigens scheint für die Überzeugungsbildung eines Strafsenats nur bedingt geeignet. Setzt man sich mit der Einlassung inhaltlich auseinander, lassen die offensichtlichen Divergenzen zu belastenden Beweismitteln nur eindeutige schuldindizielle Schlüsse zu. Die Angeklagte zeichnet nämlich ein Bild von sich und der Dreier-Gruppe, wie es nicht zutreffen kann nach der Beweisaufnahme. Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos verübten von 1999 bis 2007 insgesamt 13 hinterhältige Mordanschläge. Bei der Begehung der 15 bewaffneten Überfälle zögerten sie nicht einen Moment, auf wehrlose Opfer Schüsse abzugeben. Ihren Gesinnungsgenossen Carsten Schultze und Ralf Wohlleben gegenüber haben sich Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos mit ihren Taten gebrüstet. Die Vorstellung, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos eine Beate Zschäpe geduldet hätten, wenngleich sie zunehmend Alkohol trank und ihnen widersprach, ihre Taten ablehnte, wirkt mit Blick auf das enorme Entdeckungsrisiko nicht überzeugend. Es stellt sich die Frage: Wie oft kann eigentlich die Gesinnungsgenossin Beate Zschäpe von den rechtsextremistischen Anschlägen nach dem Untertauchen überrascht und enttäuscht gewesen sein – nachdem sie sich, was sie verschweigt, in Richtungsdiskussionen vorher für den bewaffneten Kampf ausgesprochen hat, und nachdem sie, was sie ebenfalls ausspart, nach dem Untertauchen stolz mit den beiden das Spiel Pogromly gebastelt hatte.

      Wie passen die Kosenamen Killer und Cleaner im Wetteinsatz dazu? Wie fügt sich in dieses Bild, dass sie wenige Tage nach dem Anschlag in der Keupstraße bestens gelaunt mit den beiden Uwes in den Urlaub fährt. Die Lichtbilder aus dem Urlaub vom 21.07. bis 06.08.2004, die die spezielle Innigkeit und Intimität der drei Personen zeigen, wurden in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen. Der Sachverständige Di. [siehe 299. Verhandlungstag]hat die Aufnahmezeit anhand seiner technischen […] überzeugend dargestellt.

      Die Beweisaufnahme hat umfassende, in sich stimmige Erkenntnisse zu dem Zusammenleben im Untergrund ergeben. Danach verband Beate Zschäpe mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos ein vertrautes und über Jahre exklusives Verhältnis, in dem sich die Angeklagte gut aufgehoben fühlte. Die spontane Aussage der Angeklagten bei ihrer Verhaftung, die beiden Uwes wären ihre Familie gewesen, beschreibt diese Beziehung treffend und zutreffend. Dazu passt die Szene, die ein Mitangeklagter geschildert hat.

      Der Mitangeklagte Carsten Schultze hat glaubhaft bekundet, wie die beides Uwes, die er nicht persönlich kannte und das erste Mal traf, ihm gegenüber als Außenstehendem mit einem Sprengstoffdelikt prahlten. Bei der Waffenübergabe berichteten sie stolz über einen letztlich misslungenen Anschlag in Nürnberg. Einer von ihnen warnte “psst, Beate Zschäpe kommt”. Die Annahme, das habe der nicht Eingeweihten gegolten, wäre angesichts der Vorgeschichte und Sprengstoffdelikte zuvor nicht überzeugend. Vielmehr passt die beschriebene Angeberei perfekt auf die Persönlichkeit von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos und das Verhalten bei ihrem Erscheinen zu der Persönlichkeit der Angeklagten Beate Zschäpe, die die Macht und Position hatte, die anderen durch bloßes Erscheinen zur Vertraulichkeit zurückzurufen. Oder wie es ihr Cousin, Stefan Apel [siehe 61. und 62. Verhandlungstag]formuliert hat: sie hatte die beiden Männer im Griff. Der Versuch, sich zu entlasten, musste deshalb scheitern. Vertan bleibt die historisch einmalige Chance für die Opfer, dass ihre Fragen beantwortet würden.

      Greger: „Wie stellt sich der abzuurteilende Sachverhalt nach der Beweisaufnahme dar?“
      Die Angeklagte Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos tauchten 1998 in Jena gemeinsam unter. In Chemnitz formten sie im Untergrund zu dritt eine Zelle, die sich zunehmend von der rechten Szene abschottete. Ihr Plan sah von Anfang an vor, eine Serie von rassistisch motivierten Mordtaten zu begehen. Die Serie sollte möglichst lange und möglichst lange ohne Bekenntnis fortgeführt werden. Türkischstämmige Kleingewerbetreibende sollten eingeschüchtert werden. Gleichzeitig sollte der Staat als ohnmächtig vorgeführt werden. Zur Finanzierung der Taten dienten äußerst rücksichtslos ausgeführte Raubüberfälle.

      Die Aufgabenverteilung innerhalb der Gruppe war so konzipiert, dass die beiden optisch unauffälligen Männer die Anschlagsziele auskundschaften und die Anschläge ausführten. Die Angeklagte Beate Zschäpe fungierte als Tarnkappe. Sie sicherte den Unterschlupf der Gruppe und gewährleistete die bestmögliche und ungestörte Begehung der Anschläge. Sie verschleierte die Abwesenheiten der Männer, dokumentierte die Taten und begleitete sie aus der Wohnung heraus. Im Falle von Nachfragen der Nachbarn oblag es ihr, aus der Situation heraus Alibis zu ersinnen.

      RA Grasel unterbricht den Vortrag von OStAin Greger: „Beate Zschäpe kann in der Geschwindigkeit nicht folgen. Vielleicht nochmal bei Tarnkappe ansetzen.“

      Greger sagt, damit habe sie kein Problem und wiederholt den Teil. Sie fährt dann mit ihrem Teil des Plädoyers fort: Daneben war die Angeklagte mit der Archivierung und mit der Erstellung der letztlich von ihr persönlich veröffentlichten Bekenner-DVD befasst. Sie verfügte über ein gehöriges Mitspracherecht bei den gemeinsamen Finanzen, sie war der Kassenwart der Gruppe und durfte über die Gelder der Gruppe verfügen. Eingebunden war sie auch in Entscheidungen zu Aufenthaltsorten der Gruppe, bei der Legendierung von Böhnhardt und Mundlos, der Anmietung von Wohnungen und Wohnwagen, der Beschaffung von SIM-Karten, Mobiltelefonen, Ausweispapieren und Waffen. Innerhalb der Gruppe fand ein uneingeschränkter Wissensaustausch statt.

      Alle drei Personen verband ein starkes Gefühl der Zusammengehörigkeit, Überlegenheit und der Fremdenfeindlichkeit. Die Angeklagte wollte um jeden Preis, dass Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Taten unentdeckt begehen und fortführen konnten und danach stets unversehrt zu ihr zurückkehren konnten. Von der Gründung bis zur gewaltsamen Auflösung im November 2011 verübten sie drei Sprengstoffanschläge, neun Hinrichtungen an Migranten, einen Mordanschlag auf einen Polizeibeamten und zur Finanzierung 15 bewaffnete Raubüberfälle. Nach dem Tod ihrer Gesinnungsgenossen sprengte sie ohne Rücksicht auf Menschenleben die Wohnung in der Frühlingsstraße in die Luft.

      Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass sich die Angeklagte zwar nicht eigenhändig an der Ausführung der Taten beteiligt hat. Aber sie war gleichberechtigtes Mitglied in der Untergrundzelle NSU. Und sie war in die Organisation und Logistik der Taten arbeitsteilig eingebunden. Sie tarnte das System NSU ab. Auf diese Weise wirkte sie auch an der Ausführung der Taten mit. Ihre Rolle stellt sich als so essentiell dar, wie die der beiden männlichen Gruppenmitglieder. Weder die Anschläge noch die Überfälle hätten ohne ihr Zutun in dieser Form stattfinden und gelingen können. Die Angeklagte war der entscheidende Stabilitätsfaktor der Gruppe. Ihre Rolle im Hintergrund entspricht nicht nur dem ideologischen Geschlechterbild der Szene. Bereits in den Jahre 1996 bis 1998 hielt sich die Angeklagte bei den gemeinsam verübten Straftaten in Jena von den Tatorten fern und sicherte ab. Zu erinnern ist etwa an die konspirative Garagenanmietung und Alibigabe bei ihrer polizeilichen Vernehmung im Jahr 1996. Dass sie sich bei den Taten im Hintergrund hielt, diente auch der Sicherheit der gesamten Gruppe. Als sich die drei Personen einmal gemeinsam in Berlin in der Nähe einer Synagoge aufhielten, fiel die Angeklagte Beate Zschäpe sofort und von ihr wahrnehmbar dem uniformierten Zeugen Gr. [siehe 317. und 326. Verhandlungstag]auf, und zwar so einprägsam, dass er sie später eindeutig identifizieren konnte.

      Auch wenn sich die Angeklagte von den Tatorten selbst fernhielt, waren ihr die Taten genauso wichtig wie den beiden Männern. Dies belegt ihr planvolles von der Gruppe überantwortetes Vorgehen, als sie vom Tod ihrer beiden Vertrauten erfahren hatte. Noch nach der Auflösung der Vereinigung setzte Beate Zschäpe alles daran, Beweismittel zu vernichten, und setzte nun eigenhändig weitere Menschenleben aufs Spiel. Anschließend ließ sie lieber ihre beiden Katzen auf der Straße zurück, als auf eine Veröffentlichung des gemeinsamen Lebenswerkes zu verzichten.

      Greger geht nun auf die die Entwicklung der Angeklagten Zschäpe und der verstorbenen Böhnhardt und Mundlos ein. Für die Frage, in welcher Form die Angeklagte in strafrechtlich relevanter Weise in die gemeinsamen Taten eingebunden war, ist es unabdingbar, sich mit dem gemeinsamem politischen und persönlichen Werdegang der Angeklagten, ihrer Persönlichkeit und den Personen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, mit denen sie zusammenlebte, auseinanderzusetzen. Denn die Vereinigung des NSU und die Mordanschläge entstanden nicht im luftleeren Raum. Sie sind eingebettet in eine ideologische und kriminelle Vorgeschichte. Zu dieser Vorgeschichte hat die Beweisaufnahme zuverlässige und klare Erkenntnisse erbracht. Die Entwicklung der drei Mitglieder konnte in der Beweisaufnahme verlässlich erleuchtet werden. Bereits in dieser Vorgeschichte hat Beate Zschäpe entgegen ihrer verniedlichenden Einlassung eine tragende Rolle gespielt. Das gemeinsame Leben nach dem Untertauchen ist von dieser Vorgeschichte geprägt und determiniert. Die Angeklagte bildete bereits vor dem gemeinsamen Abtauchen mit den beiden Verstorbenen einen zunehmend exklusiven Dreier-Bund. Die Angeklagte verbrachte ihre Kindheit und Jugend nach Aussage von ihrer Mutter und dem Cousin Stefan Apel in Jena. Sie wuchs vornehmlich bei den Großeltern auf, ihr Verhältnis zur Mutter ist belastet, zum leiblichen Vater hatte sie keinen Kontakt. In Jena wohnte sie u.a. im Stadtteil Lobeda, 1987 zog sie nach Winzerla. Im Herbst des Jahres 1996 wohnte Beate Zschäpe für kurze Zeit, bis Weihnachten, bei der Familie Böhnhardt. Am 25. Januar 1997 zog die Angeklagte Beate Zschäpe in die erste eigene Wohnung in der Schomerusstr. 5 in Jena, die sie bis zum Abtauchen am 26. Januar 1998 bewohnte.

      Die Angeklagte hat die Oberschule besucht und abgeschlossen, dann eine Ausbildung zur Gärtnerin, an die sich Anstellungen als Malergehilfin und Arbeitslosigkeit anschlossen. Ihre persönliche Beziehung war stark durch ihre Großmutter und später durch ihre vertrauensvolle Bindung zu Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos geprägt. Sie hat nie geheiratet und ist kinderlos. Ihr BZR-Auszug weist keine Vorstrafen auf.

      Die Angeklagte gelangte, wie sie selbst einräumt, und wie die Zeugen Apel und J. [siehe 93. und 107. Verhandlungstag]belegen, nach ihrer recht spartanischen Kindheit Anfang der 90er Jahre in die rechte Jugendszene von Thüringen. Beruflich und persönlich ohne wirkliche Perspektive, glitt sie nach einer Aussage des Jugendfreundes Rei. [siehe 192. Verhandlungstag]in die Kriminalität ab. In der rechten Szene in Jena lernte sie im Verlauf der Zeit Böhnhardt, Mundlos und die Mitangeklagten Gerlach und Wohlleben kennen die ebenfalls dem rechten Gedankengut anhingen, kennen. Intim befreundet war sie ab 1993 zunächst mit dem verstorbenen Mundlos, ab ihrem 19. Geburtstag mit Böhnhardt, was aber an ihrer engen Beziehung mit Mundlos nichts änderte. Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos entwickelten sich ab Mitte der 90er in Jena und in Thüringen zu bekannten Szenegrößen. Böhnhardt war ein auffälliger Jugendlicher, der bereits mit 14 Jahren in die Jugendkriminalität abglitt und mit wiederholten Fahrzeugaufbrüchen auffiel. Bereits als Jugendlicher zeigte er soziopathische Persönlichkeitszüge. Er war in seinem persönlichen Umfeld für seine Aggressivität und Hang zu Waffen bekannt und berüchtigt. Uwe Mundlos war intelligent und wortgewaltig. Beide bildeten den Führungskreis der Kameradschaft Jena, die formal von André Kapke [siehe 54., 84. und 96. Verhandlungstag] geleitet wurde. Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos vertraten bereits in dieser Zeit offen und zunehmend nachdrücklich extreme und rassistische, antisemitische und nationalsozialistische Positionen. Beide traten zunehmend offen in uniformgleicher Kleidung in Kombination mit Springerstiefeln auf, die bewusst der SA-Uniform nachempfunden war. Der Zeuge Tom Turner [siehe 228. und 234. Verhandlungstag]erinnerte sich, Mundlos und Böhnhardt spazierten in Uniformen durch die Stadt und verherrlichten den Nationalsozialismus.

      Mundlos war von seiner politischen Einstellung überzeugt, wollte etwas bewegen, war aktiv. Für ihn stand die Reinhaltung der Rasse im Vordergrund, den Multi-Kulti-Schmelztiegel hat er gehasst. Er wollte die Wiedereinführung des Nationalsozialismus und verehrte Rudolf Hess. Der Zeuge St. [siehe 202., 219. und 225. Verhandlungstag] erinnerte sich, Uwe Mundlos sei in Verbindung mit dem Kult um Hess gestanden. Er verbindet Mundlos mit Antisemitismus. Er habe auch versucht, ihn zu schulen. Böhnhardt beschreibt er mit sadistischen Zügen, aggressiv, Waffennarr. Sie rannten immer in Uniformen rum.

      Der Zeuge Ha. [siehe 192., 204. und 214. Verhandlungstag]führte aus, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos seien rassistisch gewesen. Beide verhöhnten Ausländer als minderwertig. Tino Brandt [siehe 127., 128., 142., 143. und 287. Verhandlungstag]erinnerte sich, dass Uwe Böhnhardt beim Mittwochsstammtisch in Uniform auftrat. Ilona Mundlos [siehe 102. Verhandlungstag]und Juliane Walther [siehe 98. und 99. Verhandlungstag]bezeugten weiter, das beide öfters in Uniformen rumgelaufen seien. Stefan Apel sagte, Uwe Mundlos habe Hetzgedichte gegen Ausländer geschrieben. Der Zeuge R. E. [siehe 137. Verhandlungstag] erinnerte sich, wie Mundlos einmal vor einem Konzert gegen die Juden gehetzt hätte, die auf der Welt nichts verloren hätten. Mundlos sei dafür gewesen, sich politisch zu organisieren. Er habe sich als Herrenmensch gefühlt. Der Zeuge Helbig [siehe 112. Verhandlungstag] bestätigte dies im Grundsatz, Uwe Böhnhardt habe Ausländer gehasst. Er habe die Auffassung vertreten, dass Ausländer in KZs interniert werden müssten und es am besten sei, sie zu vergasen. Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos provozierten zunehmend nicht nur in der rechten Szene, sondern forderten ganz offen die Zivilgesellschaft und die Sicherheitsbehörden heraus. Am 01.11.1996 traten sie bei einem Besuch der Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald in einer Bekleidung auf, die der SA-Uniform nachempfunden war. Der Vorfall wird in einem in der Hauptverhandlung verlesenen polizeilichen Ermittlungsvermerk geschildert, außerdem in einem ebenfalls verlesenen Behördenzeugnis des Verfassungsschutzes Thüringen. Augenzeuge damals war der Zeuge Enrico Pö. [siehe 194. Verhandlungstag], der sich noch an ein unangebrachtes und energisches Auftraten von Mundlos erinnerte.

      Gemeinsam verschafften sich Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos am 04.01.1997 Zugang zum Innenhof der PD Jena und notierten demonstrativ die Kennzeichen von Zivilfahrzeugen. Auch dieser Vorfall ist in dem verlesenen Behördenzeugnis des LfV Thüringen niedergelegt. Nach der Aussage des Zeugen Christian Kapke [siehe 189. und 301. Verhandlungstag]forderten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos den Zeugen und andere Szenemitglieder auf, den Fuhrpark der Polizei auszukundschaften. Eine Liste von Kennzeichen von Zivilfahrzeugen der Polizei wurde bei der Durchsuchung der Garage am 26.01.1998 auch sichergestellt.

      Die Gesinnung der Angeklagten Beate Zschäpe fiel den Beamten des Verfassungsschutzes bereits frühzeitig, im Jahr 1995, mit einer provokanten rechten Aktion auf. Als sie am 10.09.1995 gemeinsam mit Uwe Böhnhardt, André Kapke und Holger Gerlach das Mahnmal der Opfer des Faschismus in Rudolstadt mit Eiern bewarfen und Handzettel verteilten, die unter anderem die aus heutiger Sicht bemerkenswerte Passage enthielten “lieber stehend sterben als kniend leben”. Der Zeuge Mario Brehme [siehe 218., 237. und 259. Verhandlungstag]erinnerte sich, dass Beate Zschäpe von ihm zwar nicht als Entscheidungsträgerin wahrgenommen wurde, gleichwohl jedoch bereits 1995 eigenmächtig eine rechte Demo anmeldete, die mit ihm nicht abgesprochen war. Nach den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes, eingeführt über Behördenzeugnis und bestätigt durch Erkenntnisse des Staatsschutzes, bekundet von den Zeugen Ku. [siehe 341. Verhandlungstag]und Dressler [siehe 136. Verhandlungstag], war Beate Zschäpe vor ihrem Untertauchen Mitglied in der Kameradschaft Jena.

      Die Kameradschaft Jena wurde etwa 1993, 1994, u.a. von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos, Ralf Wohlleben, André Kapke, Friedel und Holger Gerlach gegründet. Sie wurde damals als rechtsradikal eingestuft. Zu den damaligen Zielen der Kameradschaft Jena hat der Zeuge Tom Turner als ehemaliges Mitglied der Kameradschaft Jena ausgeführt: Unser Ziel war die Bekämpfung des Staates letztlich bis zum Umsturz. Die Angeklagte nahm als Vertreterin der Sektion Jena regelmäßig an den Mittwochsstammtischen des THS teil, was der Zeuge Tino Brandt bestätigt hat.

      Als bedeutsam erweist sich auch die Aussage von Thomas Mü., geb. Thomas Starke [siehe 106. Verhandlungstag]. Bei ihm handelt es sich um einen ehemaligen Intimfreund der Angeklagten Beate Zschäpe, der in der rechten Szene in Chemnitz Ende der 90er eine maßgebliche Stellung eingenommen hat. In der Hauptverhandlung hat Thomas Starke die Aussage verweigert, im Ermittlungsverfahren jedoch hatte er als Beschuldigter umfangreiche Angaben gemacht. Nach der von dem Vernehmungsbeamten Be. [siehe 101. Verhandlungstag]bekundeten Aussage von Thomas Starke sprach die Angeklagte Beate Zschäpe gerne über Politik und konnte sich für rechte Themen begeistern. Dass die Angeklagte ihre Gesinnung auch ohne Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt pflegte, folgte aus der Aussage des Zeugen Br. [siehe 333. Verhandlungstag] und der Verlesung eines Ermittlungsvermerks. Der Zeuge Br. kontrollierte die Angeklagte Beate Zschäpe am 21.06.1997 gemeinsam mit André Kapke, aber ohne Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, in Norddeutschland im Zusammenhang mit der Hetendorfer Tagungswoche, einer rechtsorientierten Veranstaltung in Norddeutschland.

      Der Zeuge Mike Ma. [siehe 193. Verhandlungstag], Klassenkamerad der Angeklagten, erinnerte sich an das äußere Erscheinungsbild der Angeklagten vor dem Untertauchen. Sie habe sich zuletzt zum Ausdruck ihrer Gesinnung mit einer grünen Bomberjacke bekleidet. Er beschrieb sie als rechtsradikal und erinnerte sich, dass sie die Wohnung in der Zilinskistraße mit Reichskriegsflagge dekoriert hatte. Die Mutter der Angeklagten, Annerose Zschäpe [siehe 61. Verhandlungstag] hat sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen. Sie war jedoch mit Verwertung ihrer damaligen Angaben im Ermittlungsverfahren einverstanden. Damals hatte sie die Entwicklung der Tochter freimütig beschrieben. Der damalige Vernehmungsbeamte Poitschke hat glaubhaft bekundet, dass die Mutter bereits 1996 ihre Tochter der rechten Szene zugeordnet habe, was auch persönliche Verwerfungen zwischen Mutter und Tochter zur Folge gehabt habe, da die Mutter dem linken Spektrum nahe gestanden habe. Es war daher nicht so wie Sandro Tauber [siehe 221. Verhandlungstag]uns glauben machen wollte, dass in der Szene in Jena die Angeklagte Zschäpe als unbedeutend wahrgenommen worden sein soll. Der Aussage Tauber kommt, da sie durch zahlreiche andere Zeugen widerlegt ist, kein Beweiswert zu. Bezeichnenderweise hält Tauber die Straftaten, die hier in der Beweisaufnahme aufgeklärt wurden, für einen Komplott.

      Ein Blick in die damalige Wohnung der Angeklagten Beate Zschäpe in der Schomerusstraße in Jena, wie sie sie im Januar 1998 verlassen hat, zeigt, wie die Angeklagte damals lebte und mit welchen Gegenständen sie sich damals in ihrer eigenen Wohnung umgab. Nachdem nämlich am 26.01.1998 die Rohrbomben in der von ihr gemieteten Garage sichergestellt wurden, hatte die zuständige Staatsanwaltschaft angeordnet, die Wohnung der Angeklagten zu durchsuchen. Dass damals die Voraussetzungen für eine Anordnung wegen Gefahr im Verzug vorlagen, habe ich bereits im Zusammenhang mit dem Widerspruch der Verteidiger ausgeführt. Es bestehen daher auch keine rechtlichen Bedenken gegen die Verwertbarkeit der Aussagen der Zeugen Dressler, Vo.
      [siehe 86. Verhandlungstag], Li. [siehe 229. Verhandlungstag], der Lichtbilder und gegen die Verwertung der verlesenen Sicherstellungsverzeichnisse. Ihre Wohnung hatte Beate Zschäpe mit einer Vielzahl von rechten Devotionalien ausgestattet. So gab es u.a. ein Pogromly-Spiel, eine Reichskriegsflagge und ein Bild mit Hakenkreuz sowie Waffen wie eine Zwille, ein Morgenstern, eine Armbrust mit 5 Pfeilen, ein Luftgewehr, 5 Messer, eine CO2- Gaspistole Walther CP 88, Kaliber 4,5 mm, wobei bemerkenswert ist, dass bereits 1996 eine ähnliche Gaspistole bei ihr sichergestellt worden war.

      Demnach war die Angeklagte bereits vor dem Untertauchen im Besitz eines Exemplars von Pogromly. Nach der glaubhaften Aussage von Juliane Walther hat die Angeklagte das Spiel bereits 1997 gespielt. Abbildungen einer Version des Spieles und der Karten, die nach den Bekundungen des Zeugen Sch. [siehe 85. Verhandlungstag]über Zeugen Tino Brandt zum Verfassungsschutz Thüringen gekommen sind, wurden in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen. Zu den Inhalten des Spieles hat der Zeuge Sch. in der Hauptverhandlung bekundet.

      Weshalb, hoher Senat, spielt das im Jahr 2017 eine Rolle, dass sie 20 Jahre vorher ein bestimmtes Spiel unterhaltsam fand? Nun, es handelt sich um ein Brettspiel, das wie Monopoly aufgemacht ist, dessen Karten jedoch mit üblen Hetzparolen versehen wurden. U.a. sollen die Spieler Juden aus den Straßen vertreiben. Der Jargon ist gleichermaßen verächtlich wie aufwiegelnd. Entworfen wurde das Spiel nach den Angaben der Zeugen Gerlach [siehe 121., 126., und 151. Verhandlungstag] und Kapke von Mundlos, aber auch Böhnhardt hat sich bei den Ideen mit eingebracht. Der Zeuge Helbig hatte eine Anfangsversion bei Uwe Böhnhardt gesehen. Die Angeklagte Zschäpe hat nicht nur Pogromly gespielt, sie hat auch aktiv zur Verbreitung des Spiels in der Szene beigetragen. Die spätere Fertigung hat der Zeuge Bu. [siehe 87. Verhandlungstag]beschrieben.

      Der gesondert verfolgte Bu. hat Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe durch Mandy Struck [siehe 89., 90. und 105. Verhandlungstag] kennen gelernt. Er überließ ihnen in der Anfangszeit seine Wohnung und erlaubte die Nutzung seiner Identität. Der Zeuge hat in seinem Ermittlungsverfahren umfangreiche Angaben gemacht. In der Hauptverhandlung hat er sich auf sein Aussageverweigerungsrecht berufen. Seine Angaben wurden über die Zeugen Be., Vi. [siehe 87. und 97. Verhandlungstag]und Pe. [siehe 87. Verhandlungstag]eingeführt. Greger: „Ich könnte jetzt eine Pause machen.“ Götzl: „Ich würde sagen, eine Stunde machen wir.“ Es folgt die Mittagspause.

      Um 13:45 geht es weiter. In der Mittagspause sind die Witwe und eine Tochter von Theodoros Boulgarides erschienen. Wohlleben Verteidiger RA Nahrath sagt, dass Ralf Wohlleben ihn zum Gespräch gebeten und mitgeteilt habe, dass er schon nach dem ersten Block in der Mitte nicht mehr mitgekommen sei und er aufgrund von Konzentrationsschwierigkeiten seine Mitschrift abgebrochen hat. Er sei bereits jetzt schon von der Auffassungsgabe her nicht in der Lage, dem zu folgen. Er könne auch in Pausen in der Zelle keine Ruhe finden, da sei es stickig, eng, Neonlicht, Schlachthausatmosphäre, er könne dort nicht – wie es vorgesehen ist – Ruhe und neue Kraft fassen. Götzl sagt, „dann werden wir unterbrechen, den Landgerichtsarzt holen und ihn bitten, dass er Sie untersucht, Herr Wohlleben.“ Es folgt eine Unterbrechung bis 14:15 Uhr.

      Weiter geht es um 14:46 Uhr. Götzl: „Dann wird mitgeteilt, dass uns Herr von H. informiert hat. Herr von H. hat Sie, Herr Wohlleben, im Beisein von Rechtsanwalt Klemke gesehen. Sie hätten beide gewollt, dass er alles berichtet. Sie hätten Herr Wohlleben gesagt, dass Sie im Laufe des Tages in der Zelle keine Ruhe gefunden hätten, mit dem Rechtsanwalt darüber gesprochen hätten. Sie seien gedanklich mit den Schlussfolgerungen nicht mehr mitgekommen. Sie hätten dann das Schreiben eingestellt. In der Nacht hätten Sie nicht gut geschlafen. Beim Aufstehen sei Ihnen schwindelig gewesen, das hätten sie auf die heiße Witterung zurückgeführt. Jetzt seien Sie wieder in der Lage, dem Verfahren zu folgen. Ihr Vorschlag und der von Rechtsanwalt Klemke sei gewesen, die Blöcke nicht zu groß sein zu lassen und Pausen einzulegen. Ist das so zutreffend?“
      RA Klemke antwortet, der Vorschlag mit den Blöcken sei von Herrn von H. gekommen, nicht von uns. Er habe nur größere Blöcke vorgeschlagen. Götzl sagt, im Kontakt mit dem Sachverständigen sei Ralf Wohlleben klar und orientiert gewesen. Man habe sich mit ihm sachgerecht unterhalten können. Von RA Klemke sei der Vorschlag gekommen, so 45 Minuten zu machen. Klemke: „Der Herr H. hatte erst längere Blöcke vorgeschlagen, 50 Minuten. Das würde dem Zeitraum entsprechen, in dem Frau Greger vorgetragen hat heute Vormittag.“ Götzl sagt, so könne man gern verfahren: „Ich würde Sie bitten, dass Sie sich entsprechend darauf einstellen.“

      OStAin Greger fährt fort:
      Hoher Senat, vor der Mittagspause habe ich Ausführungen gemacht zu dem Brettspiel Pogromly. In der Vernehmung vom 25.11.2011 zu der KOK Vi. sich geäußert hat, hat Max-Florian Bu. sich zu dem Spiel geäußert. Er hat geschildert, dass alle drei, also Beate Zschäpe, Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt gemeinsam am Brettspiel gearbeitet hätten, um damit Geld zu verdienen. Alle drei seien mächtig stolz darauf gewesen. An der Glaubhaftigkeit der Angaben bestehen keine Zweifel. Viele der Informationen von Max-Florian Bu. wurden durch die Zeugen Struck, Starke, Fiedler und durch sächliche Beweismittel bestätigt. Im Übrigen haben die Vernehmungsbeamten auch dargestellt, dass der Zeuge Bu. durchaus auch in der Lage war, zwischen den Personen zu differenzieren und einzelne Geschehnisse dann nur Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zuzuordnen. Der Zeuge Helbig hat bekundet, dass das Spiel von den Untergetauchten zum Verkauf in Serie gebastelt wurde. Der Zeuge Helbig sollte es dann breitflächig in der rechtsextremistischen Szene verbreiten. Liest man die Spielanleitung, die Beschriftung der Spielfelder und die Texte der Spielkarten, fällt der betont lustige Umgang mit dem Völkermord an den Juden im Dritten Reich ins Auge. Die ironisierende Darstellung von Gräueltaten hat die Gruppe später im sogenannten Paulchen Panther-Video stilistisch weiter ausgefeilt.

      Gegenseitig wurden sich Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zu engsten Vertrauenspersonen. Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe sonderten sich in ihrer rassistischen Gedankenwelt zunehmend als elitäre Gruppe aus der rechten Szene ab, die sie weitgehend als zu unpolitisch empfanden. Holger Gerlach hat sich in seiner Einlassung glaubhaft dazu geäußert, wie Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe vor dem Untertauchen in der Szene in Jena wahrgenommen wurden. „In dieser Zeit war es so, dass Beate und die Uwes bereits einen gewissen Bekanntheitsgrad und auch ein gewisses Ansehen hatten. Das lag vor allem daran, dass die drei an vielen politischen Veranstaltungen und Aktionen beteiligt waren und Ideen hierfür lieferten. Die haben in Ihrer Art und ihrem Auftreten in unserer Szene eine Autorität verkörpert.“

      In seiner polizeilichen Vernehmung vom 25.01.2012, wie der Zeuge KOK Sch. [siehe 23., 24. und 25. Verhandlungstag]bekundete, schilderte der Mitangeklagte Gerlach die damaligen Debatten auch noch näher. In der Szene in Jena fanden ab 1996 wiederholt und engagiert Richtungsdiskussionen statt. Zu der in den Diskussionen aufgeworfenen Frage der Bewaffnung waren die drei die sogenannten Hardliner, die den Standpunkt vertraten, dass man mehr machen müsste, um politisch etwas zu verändern. Der Zeuge Tom Turner erinnerte sich, das sich Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Jena als Szenepolizei aufspielten. Das war ein Begriff, den er verwendete, wie eine SA der Neuzeit. Die Angeklagte Beate Zschäpe sei dabei gewesen. Der Zeuge H. hat in dem Zusammenhang bekundet, Beate Zschäpe habe Kennzeichen von Polizeifahrzeugen aufgeschrieben, der Beifahrerspiegel sei auf sie eingestellt gewesen. Der Zeuge Volker He. [siehe 250. Verhandlungstag] erinnerte sich, die drei waren Dicke zusammen, sie waren immer zusammen. Der Zeuge Stefan Apel gab ab, die drei hätten sich abgekapselt vom Rest der Gruppe. Tom Turner führte aus, in den Jahren ’95 und ’96 habe man die drei nur noch gemeinsam gesehen, sie sonderten sich als elitäre Gruppe ab. Entsprechendes hat auch der Zeuge Tino Brandt bekundet. Und die gemeinsame Bekannte Jana J. [siehe 93. und 107. Verhandlungstag]führte in ihrer Vernehmung aus, Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt seien vor dem Untertauchen immer als “die Drei” bezeichnet worden, ihr Verhältnis sei exklusiv gewesen.

      Die Angeklagte Beate Zschäpe wurde bereits damals im persönlichen Umfeld als willensstarke Person wahrgenommen, die sich durchsetzen konnte. Ihre Mutter, eingeführt über die Vernehmung des Zeugen Poitschke, schildert Beate Zschäpe als selbstbewusste Jugendliche, die sich durchsetzen konnte und schon in der Schulzeit durchaus in der Lage war, eigene Entscheidungen zu treffen und ihre eigene Meinung auch gegen Widerstände zu vertreten. Die Zeugin Sch. [siehe 153. Verhandlungstag], die Beate Zschäpe 1996 als Beschuldigte vernommen hatte, beschrieb die Angeklagte als ruhig, aufgeräumt. Sie habe auch in der Situation einer polizeilichen Beschuldigtenvernehmung genau gesagt, was sie wollte. Die Zeugin verwendete in diesem Zusammenhang die Begrifflichkeit „klipp und klar“. Auch die Zeuginnen Ilona Mundlos und Jana J. haben sie als bemerkenswert selbstbewusst wahrgenommen. Ihr Cousin, der Zeuge Stefan Apel, hat bekundet, die Angeklagte habe sich nicht über den Mund fahren lassen, sie habe sich von niemandem etwas aufzwingen lassen, sei durchaus bestimmend im Umgang mit anderen aufgetreten. Sie sei politisch rechts eingestellt gewesen, gegen den Staat und gegen die Ausländer. Der Zeuge Tom Turner hat ausgeführt, sie habe auch gesagt, wenn ihr was nicht gepasst habe. Auch nach der Aussage des Zeugen R., eines Jugendfreundes, ist die Angeklagte Beate Zschäpe sehr selbstbewusst in der Gruppe aufgetreten. Dies bestätigt auch der Zeuge Christian Kapke, der ergänzt, dass die Angeklagte auch gegenüber Böhnhardt und Mundlos sehr selbstbewusst aufgetreten sei.

      Diesen Charakter der Angeklagten spiegelt auch ein Asservat aus der Garage wieder. In einem Brief von Uwe Mundlos, der am 26.01.1998 in der Garage in Jena sichergestellt worden ist, das Asservat 59.61, und der in der Hauptverhandlung auch verlesen worden ist, macht Uwe Mundlos daraus keinen Hehl. Ich zitiere: “Beate hat mir deswegen auch schon Anschiss verpasst”. Die Beweisaufnahme hat auch ergeben, dass Beate Zschäpe selbst körperliche Gewalt ausgeübt hat, dass sie selbst mit Druckluftwaffe bewaffnet war und dass sie selbst rechtsextremistische Straftaten begangen hat und sich ausdrücklich für Gewaltausübung für politische Zwecke ausgesprochen hat. Entsprechendes folgt aus der Einlassung von Gerlach, den Zeugen aus der Szene, der Verlesung eines Sachstandsberichts vom 26.11.1996, eines Einsatzprotokolls vom 09.11.1996, sowie eines Vermerkes über Durchsuchung und Sicherstellung vom 09.11.1996, einem Behördengutachten über eine Gaspistole vom 25.06.1997, sowie des Augenscheins von Lichtbildern.

      Greger sagt: „Es begann bereits 1995.“ Bei ihrer vorläufigen Festnahme am 10.09.1995 in Rudolstadt im Rahmen einer rechten Aktion war die Angeklagte, wie der verlesene Sachstandsbericht des LKA Thüringen wiedergibt, mit einem zweischneidigen Dolch bewaffnet. Die Einstellung der Angeklagten zu Waffen hat der Mitangeklagte Gerlach geschildert. Alle drei Personen, also Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe, haben sich seiner Aussage zufolge in der Kameradschaft Jena bereits seit ‘96 für die Bewaffnung ausgesprochen. Der Mitangeklagte hat sich durch diese Aussage selbst massiv belastet. Vor allem fügt sich aber die Aussage nahtlos ein in die Vielzahl der Zeugen, die eine Waffenaffinität und Gewaltbereitschaft von Böhnhardt, die radikalen Ansichten und Gewaltfantasien von Böhnhardt und Mundlos, das martialische Auftreten als Herrenmenschen schilderten. Die Angaben sind daher glaubhaft.

      Selbst wenn Holger Gerlach für sich selbst anfänglich die Diskussion um die Anwendung von Gewalt für rein theoretischer Natur gehalten haben sollte, war die Position der von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe in den Diskussionen – auch nach Angaben von Holger Gerlach – klar und eindeutig in dem Sinne, politische Veränderungen durchzusetzen, rechtfertigt auch den Einsatz von Gewalt. Die Angeklagte Beate Zschäpe wendete selbst Gewalt an. Die Zeuginnen H. [siehe 132. Verhandlungstag], S. [siehe 132. Verhandlungstag]und K. haben bekundet, wie die Angeklagte beim Altstadtfest in Jena am 16.09.1996 die Geschädigte in Winzerla grundlos angriff und ihr den Fuß brach. Dass sich die Angeklagte regelmäßig mit Waffe bewaffnete, wenn sie Wohnung verließ, berichtet die Zeugin Jana J., die sich auch noch an den Namen der Waffe erinnerte, nämlich „Wally“. Dazu gibt es auch kongruente polizeiliche Feststellungen, die dokumentiert sind.

      Anlässlich des Gedenktages zur Reichspogromnacht 1996 wurde Beate Zschäpe gemeinsam mit Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Holger Gerlach am 09.11.1996 festgenommen, um Straftaten zu verhindern. Uwe Böhnhardt trug damals braune uniformähnliche Kleidung mit Springerstiefeln. Im Fahrzeug sichergestellt wurden laut Erkenntnismitteilungen und Vermerken: Sturmhauben, Schreckschusswaffen und mehrere Messer; Beate Zschäpe hatte ein Schulterholster mit Druckluftwaffe, Magazin mit 13 Patronen und CS Gas. Eine weitere, nämlich eine Walther 5,5 mm wurde laut Sicherstellungsprotokoll in der Wohnung der Angeklagten sichergestellt.

      Ein besonders aussagekräftiges Bild des Ausmaßes und der Ernsthaftigkeit, die der Extremismus der drei Personen also einschließlich der Angeklagten bereits vor ihrem Untertauchen angenommen hatte, lassen neben der Schilderung ihres Auftretens, vor allem auch die politisch motivierten Delikte in Jena 1996 und 1997 und der Garagenfund 1998 zu. Zu den damaligen Ermittlungsergebnissen hat der Zeuge Dressler vom LKA Thüringen berichtet: In der Nacht vom 13. auf den 14.04.1996 hängten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos einen lebensgroßen Puppentorso, den die Angeklagte mitgebastelt hatte, mit einer Schlinge um den Hals an einer Autobahnbrücke über die BAB 4 nahe der Ortschaft Höhn bei Jena auf. Die Puppe trug einen Davidstern und die Aufschrift “Jude”. Sie war mit einer Bombenattrappe verbunden und mit einer Bombenwarnung versehen.

      Am 06.10.1996 legten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe im Ernst-Abbe-Sportfeld in Jena eine Kiste mit schwarzen Hakenkreuzen und der Aufschrift “Bombe” ab, die von Kindern gefunden wurde. In der Kiste befand sich eine Attrappe aus Kanistern und Metallrohr. Ende 1996 beschaffte sich Uwe Mundlos nach Aussage von Thomas Starke und bestätigt vom Zeugen Winter [siehe 187. Verhandlungstag] 2 kg TNT-Gemisch für die Begehung von rechtsextremistischen Delikten. Die Angeklagte Beate Zschäpe mietete am 10.8.1996 in Jena eine Garage an. Die Anmietung selbst wurde von der Angeklagten eingeräumt, der entsprechende Mietvertrag wurde verlesen. In der Garage lagerten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt Sprengsatz und rechtsextremistisches Schriftgut und sie bastelten dort auch an Rohrbomben.

      Zum Jahreswechsel 1996/1997 schickten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe der Polizei, der Stadtverwaltung und Lokalredaktion in Jena auch Briefbombenattrappen mit Schwarzpulver. Böhnhardt, Zschäpe und Mundlos sprachen massive Drohungen an Innenminister Drewes und den damaligen Zentralratsvorsitzenden Bubis aus. In dem Schreiben an die Stadtverwaltung und die Polizeidirektion formulierten sie: “Mit Bombenstimmung in das Kampfjahr 1997”. Am 02.09.1997 deponierten die Drei auf dem Vorplatz des Theaterhauses in Jena einen Koffer, der mit Hakenkreuzen bemalt war und eine selbstgebaute, nicht zündfähige Rohrbombe mit zwei Drähten, Schwarzpulver und TNT enthielt. Am 26.12.1997 stellten sie vor der Gedenkbüste des Widerstandskämpfers Magnus Poser einen Koffer mit Hakenkreuzen ab. Nach Bekundungen des Zeugen Dressler war der Zusammenhang zu dem Koffer aufgrund der Farben und […] identisch. Diese Delikte sind sämtlich Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und der Angeklagten Beate Zschäpe zuzuordnen.

      Die Angeklagte räumt ein, den Puppentorso mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gebastelt zu haben. Nach den glaubhaften und detaillierten Angaben des Zeugen S. waren Beate Zschäpe wie auch Wohlleben an der Tatausführung mit beteiligt. Die drei hatten S. bereits im Voraus gebeten, ihnen ein Alibi für die Tat zu geben. Zudem bekannten sich Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe dem Zeugen Rothe [siehe 100., 131., 146. Verhandlungstag]gegenüber zu dieser Tat. Nach dem Zeugen Dressler wurde der Fingerabdruck von Uwe Böhnhardt am Tatort aufgefunden. Die Versendung der rechtsextremistischen Drohschreiben im Einvernehmen mit Böhnhardt und Mundlos hat Beate Zschäpe ebenfalls eingeräumt. Der Einlassung der Angeklagten, die Garage habe sie zwar gemietet, jedoch keine Kenntnis von der Lagerung von Sprengstoff und Rohrbomben gehabt, ist nach der durchgeführten Beweisaufnahme nicht zu folgen. Denn es war nach der Einlassung gerade der Zweck der Anmietung, inkriminierendes Material für den Zugriff der Behörden zu verbergen. Auf Grund der engen Verbundenheit von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe, der zugestandenen gemeinsam begangenen Bezugsstraftaten Puppentorso und Briefbombenattrappe und nach den vom Zeugen Dressler dargestellten Ergebnissen der kriminaltechnischen Untersuchungen ist in der Gesamtschau der Aussagen und Indizien davon auszugehen, dass Beate Zschäpe alle oben angeführten Delikte in Jena gemeinsam mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos begangen hat und dass die Anmietung der Garage ausschließlich zum Zweck der Vorbereitung derartiger Taten erfolgte.

      Dafür sprechen im Übrigen auch die Angaben des Mitangeklagten Holger Gerlach, eingeführt über die Einvernahme des Zeugen Schartenberg. Der Mitangeklagte Gerlach erinnerte, vom Zeugen Kapke 1998 erfahren zu haben, dass Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sämtliche dieser Taten begangen hatten. Eine weitere Bestätigung findet sich in der Vernehmung des Zeugen Bu. Wie der Zeuge Vitt bekundet hat, hat sich Bu. bei seiner Beschuldigtenvernehmung vom 24.11.2011 erinnert, die drei Untergetauchten hätten sich ihm gegenüber zu der Puppe und dem Koffer mit der Bombenattrappe bekannt. Der Zeuge Ha. [siehe 198., 204. und 214. Verhandlungstag]bekundete, dass Mundlos ihm gegenüber den Zusammenhang von Flugblattaktion und […] eingeräumt hat. An den Taten seien laut Mundlos noch andere beteiligt gewesen. Bis zu den Exekutivmaßnahmen am 26.01.1998 bereiteten Mundlos und Böhnhardt in der Garage weitere Sprengstoffdelikte vor.

      Die Garage, die Beate Zschäpe angemietet hatte, wurde basierend auf einem Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Jena vom 19.01.1998 am 26.01.1998 durchsucht. Rechtliche Bedenken gegen die Verwertbarkeit der Erkenntnisse bestehen nicht, war doch die Durchsuchung selbst ermittlungsrichterlich angeordnet. Nach Aussage des Zeugen Dressler stützte sich der Beschluss auf polizeiliche Erkenntnisse, denen wiederum auch nachrichtendienstliche Erkenntnisse zu Grunde lagen. Auf die weitergehenden Ausführungen zur Verwertbarkeit, die ich bereits während der Hauptverhandlung ausgeführt habe, verweise ich. Bei der Durchsuchung der Garage wurden Sprengstoff, im Bau befindliche Rohrbomben und rechtes Schriftgut gefunden. Sichergestellt wurden laut dem verlesenen Durchsuchungsbericht, dem verlesenen Sicherstellungsprotokoll vom 16.01.1996 und nach der Inaugenscheinnahme von Lichtbildmappen, der verlesenen kriminaltechnischen Gutachten, der Aussagen des Zeugen Dressler und des Sachverständigen Er [siehe 106. Verhandlungstag]u.a. eine fertige und vier im Bau befindliche Rohrbomben, jeweils gefüllt mit Sprengstoff, eine aus einem Wecker gefertigte Zündvorrichtung mit Drähten, eine größere Menge Sprengstoff, TNT-Gemisch und Schwarzpulvergemisch. Eine genaue Mengenbestimmung des TNT-Gemisches war nicht mehr möglich, da die Rohrbomben teilweise gesprengt wurden. Anhand der ungefähren Maße der Bomben und Behältnisse wurde nach Aussagen des Zeugen Dressler durch das LKA Thüringen eine Menge von insgesamt ca. 1,4 kg hochgerechnet. Der Sachverständige Er. und der damals eingesetzte Entschärfer hat den Aufbau der Rohrbomben anhand von ihm gefertigter Röntgenbilder auch bekundet. Demnach war das Schwarzpulver selbst zum Zünden nicht geeignet, denn es fehlten ein Zünder und Batterien. Diese Materialien lagerten ebenfalls in der Garage. Das abstrakte Gefahrenpotential von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe war demnach auch vor dem Untertauchen durchaus explosiv.

      In der Garage wurde auch eine mit Zusätzen versehene Liste mit Zivilfahrzeugen gefunden. Dies entsprecht und bestätigt wiederum die entsprechende Aussage von Christian Kapke, Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe hätten damals auch Zivilfahrzeuge ausspioniert. Den politischen Hintergrund der eingelagerten Tatmittel belegen eine Vielzahl von rechtsradikalen Schriften, die sichergestellt wurden. Dazu kommen Briefe, die die Vernetzung in die rechte Szene belegen. Inhalt und Duktus des ebenfalls in der Garage gelagerten Pogromlyspiels sprechen für sich, dazu habe ich schon Ausführungen gemacht. Der politische Extremismus, den die Entwickler im Spiel unverfälscht zum Ausdruck bringen, spiegelt […] Gedankenwelt wider. Die späteren Anschläge, die diesen Extremismus in die Tat umgesetzt haben, können die Pogromly bastelnde Angeklagte nicht wirklich überrascht haben.

      An dieser Stelle möchte ich noch auf ein weiteres Asservat näher eingehen, dass in der Garage der Angeklagten aufgefunden worden ist. Der Auswertungsvermerk dazu und auch die Originalversion wurden verlesen. Es handelt sich um das sogenannte „Ali-Gedicht“. Der offensichtlich selbst verfasste Text wurde auf einer Diskette in der Garage gefunden. Die Überschrift lautet ohne den Versuch jeglicher Beschönigung: “Ali Drecksau wir hassen dich.“ Im Text dann: “Er – gemeint ist ein Türke – kann jetzt rennen oder fliehen / Er kann auch zu den Bullen gehen. / Doch helfen wird ihm das alles nicht, / Denn wir zertreten sein Gesicht.”

      Wie wir wissen, haben Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos die Nähe zu Polizeidienststellen bewusst zunehmend gesucht. Der bewusste Verzicht auf Bekennung zu den Anschlägen, die Tötung mittels Hinrichtung, die Angriffsrichtung auf Gewerbetreibende und die Verwendung einer Signaturwaffe, der Pistole Ceska, haben dazu geführt, dass die Ermittlungsbehörden lange Zeit nach möglichen kriminellen Hintergründen in den Gewerbebetrieben der Opfer suchten. Die Prophezeiungen im „Ali-Gedicht“ haben die Täter damit erfüllt.

      Der Duktus im Gedicht ist auffällig, da er wie das Pogromlyspiel auf die damalige Gesinnung der Drei kurz vor dem Untertauchen verlässliche Rückschlüsse zulässt. Unmissverständlich schreit der Verfasser die von blindem Hass getragene Verachtung von Ausländern, insbesondere türkischen Mitbürgern, hinaus, despektierlich sind sie “die Alis”. Der Begriff “Ali” findet sich in zahlreichen Beweismitteln aus der Frühlingsstraße wieder. Die Gruppe verwendet den Begriff durchgängig als Synonym für türkische Bürger in Ausspähunterlagen, als Dateibezeichnung für die Speicherung der Fotos der Opfer der Hinrichtungen, im sogenannten Drehbuch und auch im Bekennervideo Paulchen Panther. Dass die Angeklagte dieses Video noch während ihrer Flucht verbreitet hat, hat sie eingeräumt. Sie stand demnach hinter dem herabwürdigenden Begriff „Ali“ auch noch, als die Gruppe selbst bereits aufgelöst war. Ihr Verhalten zeigt, wie sehr es ihr zu dem Zeitpunkt – die beiden Mitstreiter waren bereits tot – noch darauf ankam, die Angehörigen der Opfer mit der grausamen Verunglimpfung zu konfrontieren.

      Vergegenwärtigt man sich die Einzelheiten der Bilder im Video und die von den Erstellern bezweckten Wirkung bei den Hinterbliebenen, belegt ihr Verhalten auch, dass die Angeklagte Zschäpe im November 2011 durchaus zu einem Stich ins Herz im Stande war. Die umfangreiche Beweisaufnahme zur persönlichen Entwicklung von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe vor dem Untertauchen hat somit ergeben, dass die Angeklagte bereits damals vor dem Untertauchen gemeinsam mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ein eingeschworenes Team bildete. Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos ihrerseits machten keinen Hehl aus ihrem Hass gegen Juden und Türken. Die Angeklagte war vor dem Untertauchen nicht die meinungsschwache, gar dependente, Uwe Böhnhardt hörige Person, deren Bild sie zu zeichnen versuchte. Vielmehr wurde sie in der rechten Szene und in ihrem persönlichen Umfeld als starke Frau wahrgenommen. Sie trat aktiv und energisch auf, engagierte sich politisch, stand seit 1995 unter Beobachtung des Verfassungsschutzes und beging ab 1996 gemeinsam mit Böhnhardt und Mundlos ideologisch motivierte Straftaten mit Sprengstoffbezug. Selbst bei der Versendung von Bombenattrappen an die Polizei ist die Angeklagte damals nicht zurückgeschreckt. Wie der Zeuge S. und der Zeuge B. ausführten, schützte sie die anderen durch ein falsches Alibi.

      Entgegen ihrer Darstellung haben maßgeblichen Einfluss weder der THS noch Tino Brandt oder die Verfassungsschutzbehörden ausgeübt. Uwe Böhnhardt erweckte nach Aussage Helbig bereits vor dem Untertauchen bei Personen aus dem Umfeld den Eindruck eines Rechtsterroristen. Ausländer müssten nicht nur ausgewiesen, sondern interniert werden in KZs. Am besten sei es auch für die Ausländer selbst, wenn sie vergast würden. Dabei ließ er keinen Zweifel, dass er auch persönlich mit Waffen gegen Ausländer vorgehen werde. Alle drei Personen, auch Beate Zschäpe, verband bereits vor dem Untertauchen die Bereitschaft, Sprengstoff zur Einschüchterung Andersdenkender einzusetzen, die Verachtung von Juden, der Hass auf Türken, die Neigung, den Staat zu provozieren, der Hang, bewaffnet aufzutreten, und die völkische Frömmelei. Eine Antwort, wann und weshalb die Angeklagte nach dem gemeinsamen Untertauchen von der Billigung ideologisch begründeter Gewalttaten abgerückt sein könnte, bleibt die Angeklagte in sämtlichen Einlassungen schuldig. Greger sagt, sie würde jetzt eine Pause vorschlagen. Götzl unterbricht bist 15:45 Uhr.

      Um 15:47 Uhr geht es weiter. Götzl sagt, man würde dann für heute noch zu einem Block kommen und dann für heute unterbrechen. OStAin Greger setzt das Plädoyer der BAW fort: Hoher Senat, ich habe eben die Vorgeschichte dargestellt. Jetzt geht es mir darum, die Gründung der Vereinigung NSU vorzustellen und auszuführen. Nach dem gemeinsamen Untertauchen bildeten Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe noch 1998 in Chemnitz eine bewaffnete und rechtsextremistische Terrorzelle. Auch zur Gründung der Vereinigung konnten in der Beweisaufnahme hinreichende Feststellungen getroffen werden. Die zeitlichen Abläufe und die Erkenntnisse zu den beteiligten Personen basieren zum einen auf den Erkenntnissen der Verfassungsschutzbehörden – eingeführt über verlesene Behördenzeugnisse zu Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos, Beate Zschäpe, Holger Gerlach, Ralf Wohlleben, Carsten Schultze, Antje Probst, Jan Werner, Tino Brandt und André Kapke -, auf den Angaben der vernommenen V-Mann-Führern und auf Aussagen von Zeugen im damaligen Umfeld der Untergetauchten. Im relevanten Zeitraum hatte das LfV Thüringen eine verlässliche Quelle mit Tino Brandt, damals Führer des THS, Deckname Otto, 2045 und nach seiner Reaktivierung im Jahr 2000 Deckname Oskar, 2150. Tino Brandt wurde ab Januar 1995 als geheimer Mitarbeiter geführt und erprobt, im Jahr 1997 wurde er eingestuft als ziemlich zuverlässig und ab September 1999 als im allgemeinen zuverlässig beurteilt. Tino Brandt kannte seiner Aussage nach die Drei von den Stammtischen. Er nahm nach ihrem Untertauchen im Februar/März 1999 in Absprache mit dem LfV Thüringen telefonisch Kontakt mit ihnen auf. Gesprächsinhalt waren mögliche Hilfeleistungen und zunehmende Probleme mit André Kapke.

      Das LfV Thüringen hatte noch eine weitere Quelle, 2100, Degner, in der Szene bekannt als Riese, der ebenfalls in Hauptverhandlung vernommen wurde, der seine Quellentätigkeit jedoch abstritt. Der Verfassungsschutz Brandenburg hatte die Quelle Carsten Szczepanski [siehe 167. und 174. Verhandlungstag], sein Deckname war Piatto. Carsten Szczepanski hatte die drei Untergetauchten nicht persönlich kennen gelernt, kam aber über die Chemnitzer Blood&Honour-Szene an wertige Informationen. Sämtlichen Quellen und die Quellenführer Görlitz [siehe 215., 222., 266. und 290. Verhandlungstag], Bode [siehe 100. und 144. Verhandlungstag], Wießner [siehe 99., 145., 157. und 199. Verhandlungstag], Zweigert [siehe 99., 144. und 227. Verhandlungstag]und Meyer-Plath [siehe 199. Verhandlungstag] wurden zu den Deckblattmeldungen unter Vorhalt von Vermerken vernommen. Sie bestätigten die Validität der Informationen und die Dokumentation der Niederschriften. Brandt und Szczepanski gaben an, die damaligen Meldungen hätten den Tatsachen entsprochen, insgesamt passen die Meldungen stimmig zueinander. Die Erkenntnisse wurden durch weitere zuverlässige Zeugenaussagen und zum Teil auch durch die Einlassung Beate Zschäpes und Ralf Wohllebens untermauert.

      Demnach ist davon auszugehen, dass die drei den Entschluss, sich zu bewaffnen und auf Dauer eine terroristische Zelle im Untergrund zu bilden, im zweiten Halbjahr 1998 in Chemnitz fassten, als sich abzeichnete, dass die Spenden, Zuwendungen und sonstigen Unterstützungsleistungen der rechten Szene und des persönlichen Umfelds ein Leben auf Dauer im Untergrund nicht nachhaltig würden sichern können. Andererseits verfestigte sich die gemeinsame Überzeugung, weder ins Ausland zu flüchten noch sich den Strafverfolgungsbehörden zu stellen. Die Gründung ist nicht taggenau zu bestimmen. Die Zeitspanne der Gründung lässt sich aber anhand mehrerer Marker relativ verlässlich eingrenzen. Es ist davon auszugehen, dass jedenfalls bis zur Durchsuchung der Garage am 26.01.1998 in Jena noch keine terroristische Vereinigung mit dem Ziel von Anschlägen gegen Personen bestand. So ist der genaue Einsatzzweck der sichergestellten Rohrbombe nicht mehr zu klären. Sie waren sämtlich nicht zündfähig. Und es verging bis zum ersten Anschlag im Sommer 1999 ein relativ langer Zeitraum von eineinhalb Jahren.

      Die Zeugen Walther, Apel und Ralf Wohlleben haben übereinstimmend bekundet, dass Beate Zschäpe sich spontan mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt entschieden hätte, sich nach der Durchsuchung einer drohenden Strafverfolgung durch Flucht zu entziehen. In den ersten Monaten im Untergrund war das Leben bestimmt von der Suche nach einer Unterkunft und dem Fahndungsdruck der Ermittlungsbehörden. Schon relativ kurz nach dem Untertauchen statteten sich Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt unter Unterstützung von Beate Zschäpe mit den ersten kontrollsicheren Ausweispapieren aus. Der Reisepass Gunter Frank Fiedler [siehe 187. Verhandlungstag]wurde am 30.04.1998 beantragt, am 02.07.1998 ausgestellt. Der Reisepass Bu. wurde im Spätsommer 1998 beantragt und am 07.09.1998 ausgestellt. Diese Vorgehensweise ist belegt durch die Zeugen Max-Florian Bu., Mandy Struck und Gunter Fiedler, die dazu glaubhaft bekundeten, und die Ermittlungen zu den Reisepässen, belegt durch die Zeugen Al. [siehe 218. und 222. Verhandlungstag], Be. und Vi.

      Parallel suchten die drei Untergetauchten nachdrücklich nach Schusswaffen. Aussagekräftig sind insoweit zwei Erkenntnismitteilungen des Verfassungsschutzes Brandenburg, eingeführt über Verlesung eines Behördenzeugnisses und mehrere Zeugenaussagen. Nach der Meldung der V-Person Piatto, also des Zeugen Carsten Szczepanski, vom 19.08.1998 sollte Jan Werner versuchen, Waffen für die Drei zu beschaffen. Am 25.08.1998 sandte der gesondert Verfolgte Werner [siehe 150. Verhandlungstag]nach Aussage des Zeugen Mü. [siehe 158. und 283. Verhandlungstag]an Carsten Szczepanski eine SMS mit dem Wortlaut: „Hallo, was ist mit dem Bums?“ Nach einer weiteren Erkenntnismitteilung des Verfassungsschutzes Brandenburg vom 11.09.1998, ebenfalls von Piatto, habe Jan Werner Kontakt zum Trio und den Auftrag, mit Geldern von B&H Sachsen für die drei Waffen zu besorgen. Das Trio plane, mit den Waffen einen weiteren Überfall durchzuführen, um Deutschland verlassen zu können. Probst [siehe 162. und 169. Verhandlungstag]aus Chemnitz wolle der Beate Zschäpe ihren Pass zur Verfügung stellen.

      Nach der umfangreichen Beweisaufnahme mit der Vernehmung Szczepanskis, des V-Mann-Führers Görlitz, Meyer-Plath vom LfV Sachsen und der Zeugin B., ehemals Probst bestehen – auch wenn ein zu dem Bericht zeitlich passender erster Überfall im aktuellen Verfahren nicht mehr aufgedeckt werden konnte und der Zeuge Werner von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat – insgesamt keine Zweifel an der damals geschilderten Waffensuche der drei Flüchtigen. Denn es gab keinen Anlass für Carsten Szczepanski, das Gehörte zu verändern oder damals unzuverlässig zu berichten. Der Zeuge kannte die flüchtigen Personen nämlich nicht. Die SMS von Jan Werner fügt sich zeitlich und inhaltlich ins Bild. Die Angeklagte hat in ihrer Einlassung eine Waffenlieferung, wenn auch ohne nähere Details, grundsätzlich bestätigt. Die Zeugin Probst wiederum fand in der Hauptverhandlung keine Erklärung dafür, dass, wie in der Zeugenvernehmung vorgehalten, sie sich in der fraglichen Zeit tatsächlich zwei Ausweise unter auffälligen Umständen ausstellen ließ. Und die Erkenntnisse zur Waffensuche und zu einer angeblich angedachten Flucht ins Ausland fügen sich nach der durchgeführten Beweisaufnahme ins Gesamtbild ein. Grundsätzlich bestätigt wird die dringende Waffensuche vom Mitangeklagten Ralf Wohlleben.

      Einen markanten zeitlichen Fixpunkt für die Gründung der Vereinigung stellt schließlich die Entscheidung für einen Verbleib in Deutschland dar. Der Zeuge Gunter Fiedler hat glaubhaft bekundet, die drei Personen kurz nach ihrer Flucht aus Jena über Thomas Starke kennengelernt zu haben. Nach ein paar Monaten habe er mitbekommen, dass die drei nicht ins Ausland gehen würden. Er habe sich daraufhin den Reisepass auf seinen Namen wiedergeben lassen. Das sei etwa sechs bis neun Monate nach dem Kennenlernen gewesen. Gleichzeitig, so berichtete der Zeuge Max-Florian Bu., eingeführt über Zeugen Be. und Vi., schotteten sich die drei Untergetauchten zunehmend von der Chemnitzer Szene, die sie anfänglich als flüchtende Rechtsextreme logistisch unterstützt hatte, ab. Im zweiten Halbjahr 1998 zeichnete sich zunehmend ab, dass die rechte Szene ein dauerhaftes Leben im Untergrund für die drei nicht sichern konnte.

      Im Oktober 1998 teilte der Zeuge André Kapke der Quelle Tino Brandt – bestätigt durch Brandt, Kapke und eine Quellenmitteilung – mit, dass das Trio große finanzielle Probleme habe. Besonders aussagekräftig erweist sich in diesem Zusammenhang wiederum ein Fund aus der Frühlingsstraße. Sichergestellt wurde dort ein in der Hauptverhandlung verlesener Einlieferungsbeleg für ein Einschreiben an den damaligen Vermieter der Tarnwohnung in der Altchemnitzer Straße 12. Dieser Beleg datiert vom 22.12.1998, also vier Tage nach dem Überfall Edeka. Das Einschreiben ist an den Zeugen K. gerichtet. Diesem Einwurfeinschreiben zuordbar ist die schriftliche Kündigung der Wohnung, die ebenfalls sichergestellt und verlesen wurde. Diese datiert vom 13.12.1998, damit fünf Tage vor dem Überfall. Die Kündigung selbst wird zum 30.03.1999 ausgesprochen, was für eine langfristige Zukunftsplanung der Gruppe spricht. Der Zeuge Ri. bekundete, die Kündigung sei von der Angeklagte Beate Zschäpe ausgegangen. Sie sei sein Hauptkontakt gewesen, wenn es um Wohnungsangelegenheiten ging. Diese Indizien sprechen für eine gemeinsame Planung des Überfalls auf den Edeka-Markt wie auch für eine gemeinsame langfristige Zukunftsplanung. In diesem Lichte ist der bewaffnete Überfall im Dezember 1998 zu sehen.

      Am 18.12.1998 überfielen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt mit einer scharfen Waffe einen Edeka- Markt in Chemnitz. Diese Tat ist den untergetauchten Personen eindeutig über zwei Hülsen zuordenbar. Die Hülsen wurden in der Frühlingsstraße in Zwickau aufgefunden und sie stammen aus der Tatwaffe. Der Überfall auf den Edeka-Markt stellt damit die erste Tate der Gruppe NSU dar. Die zwei Zellenmitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt agierten erstmals aus dem Untergrund heraus mit einer scharfen Schusswaffe. Die erstrebte Tatbeute war für die Sicherung des gemeinsamen Zusammenlebens aller drei Personen unerlässlich. Die Entscheidung, am gemeinsamen Wohnort einen bewaffneten Raubüberfall zu begehen, erweist sich ohne Einbindung von Beate Zschäpe undenkbar, da sie für das weitere Zusammenleben von einschneidender Bedeutung war. Daher besteht kein Zweifel, dass von diesem Zeitpunkt an allen Drei bewusst war, dass eine Rückkehr in die Legalität nicht mehr ohne Haftstrafen möglich war, und dass die Tat wegen der weitreichenden Folgen auf einer Entscheidung aller drei Personen beruhte. Vor dem Hintergrund der bewussten Abschottung von der Szene, der bewussten Entscheidung für eine zuverlässige Legendierung und der gemeinsamen Zukunftsplanung ist davon auszugehen, dass die Gruppe ab diesem Zeitpunkt ein Leben auf Dauer im Untergrund geplant hat.

      Bereits ein halbes Jahr später, am 23.06.1999, begingen die drei Untergetauchten das erste rassistische, extremistisch motivierte Sprengstoffdelikt. Aufgedeckt wurde die Tat infolge der Einlassung des Mitangeklagten Carsten Schultze, dem gegenüber sich Mundlos und Böhnhardt der Tat berühmten. Die Tat ist nicht von der Anklage erfasst, von der Strafverfolgung wurde nach § 154 StPO abgesehen. Gleichwohl stellt sie die erste ideologische Tat der Gruppierung dar. Böhnhardt und Mundlos hatten in der Gaststätte Sonnenschein in Nürnberg auf der Herrentoilette eine Bombe mit Schwarzpulver deponiert. Der Sprengsatz, der explodierte, bestand nach Angaben des Zeugen Os. [siehe 172. Verhandlungstag] aus einem Metallrohr mit beidseitigen Verschlussstopfen, drei Minute-Zellen und Schwarzpulver, der an den Aufbau der Asservate in Jena erinnert. Als der Geschädigte Mehmet O. die vermeintliche Taschenlampe auffand und aufhob, explodierte die Bombe. Nur der vorzeitigen Sprengung der Verschlusskappen ist zu verdanken, dass er nicht schwerer verletzt wurde. Er erlitt Schnittverletzungen am ganzen Körper.

      Dass sich später die Erkenntnis verbreitet hat, dass die drei fortan selbständig im Untergrund leben wollten belegt eine in einem Behördenzeugnis des LfV Thüringen niedergelegte und verlesene Deckblattmeldung. Nach Erkenntnis der Verfassungsschutzbehörde vom 20.11.1999, die der Zeuge Marcel Degner [siehe 191., 207., 292., 300. und 309. Verhandlungstag] grundsätzlich bestätigte, hatte der Zeuge am 13.11.1999 Starke, dem ehemaligen Intimpartner von Beate Zschäpe, in Schorba während eines Konzerte finanzielle Hilfe für die drei angeboten, Starke habe spontan geantwortet, dass die drei kein Geld mehr benötigten, weil sie jobben würden. Auf Grund der Gesamtwürdigung dieser Erkenntnisse und die zeitlichen Verläufe besteht kein Zweifel, dass die Tat am 19.12.1998 die erste Tat des NSU war.

      Es besteht kein Zweifel, dass die Gewalttat im Edeka-Markt 1998 die ernsthafte Entscheidung der drei voranging, als Untergrundzelle, der Blaupause der Turner Tagebücher entsprechend, Anschläge zu begehen und diese mit Raubüberfällen zu finanzieren, auch wenn die Personen anfänglich noch Alternativszenarien in den Blick genommen hatten – etwa die von den Zeugen Kapke, Brandt und Gunter Fiedler geschilderte angedachte Verlagerung ins Ausland oder das von den Mitangeklagten von Ralf Wohlleben und Carsten Schultze sowie von Tino Brandt sowie Jürgen Böhnhardt [siehe 78. Verhandlungstag] und Tino Brandt ausgelotete Idee einer Gestellung über RA Eisenecker Anfang 1999.

      Die Konzeption der Vereinigung sah folgendermaßen aus: Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme war der NSU von Gründung bis zur Auflösung 04.11.2011 als kleine Zelle konzipiert. Diese bestand durchgängig ausschließlich aus den drei Personen Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe. Die drei Gruppenmitglieder lebten zusammen im Untergrund und sie agierten arbeitsteilig. Nach außen traten alle drei ausschließlich unter Aliasnamen auf, auch untereinander verwendeten sie konsequent Tarnnamen. Die Gruppe finanzierte sich selbst, auf Unterstützer griff sie nur partiell zurück. Wobei anfangs jedoch, wie der NSU-Brief belegt, auch der Aufbau eines anonymen Netzwerkes nicht ausgeschlossen worden ist.

      Greger: „Im Folgenden werden die Persönlichkeit der Angeklagten, das Konzept der Gruppe, die breitflächige Ausspähung, die Taten und die Verlautbarungen und Logistik der Gruppe genauer dargestellt.“ Zur Person der Angeklagten Beate Zschäpe hat die Beweisaufnahme erbracht: Die Angeklagte wurde vor dem Untertauchen von Personen aus ihrem Umfeld als starke Person wahrgenommen. Es stellt sich nach der Einlassung der Angeklagten und der Zeugenaussage Prof. Bauer die Frage ob die Beweisaufnahme Anhaltspunkte dafür ergeben hat, dass die Angeklagte nach dem Untertauchen innerhalb der Gruppe von Böhnhardt und Mundlos ausgegrenzt, von Entscheidungen ausgenommen worden wäre oder sich gar zu einer abhängigen Person entwickelt hätte. Die Antwort nach der Beweisaufnahme lautet: Nein.

      Zahlreiche Zeugen schildern, insbesondere Holger Gerlach, dass die Angeklagte es stets vermochte, innerhalb der Dreiergruppe ihre Position zu vertreten, und dass ihr ein Mitspracherecht zu kam, so dass sie ohne Zweifel an allen relevanten Entscheidungsprozessen teilgenommen hat. Bereits der Zeuge L., der zur 1. und 2. Vernehmung von Holger Gerlach berichtet hat, wo der noch zurückhaltend Auskunft gab, erinnert sich, dass sich die Angeklagte Beate Zschäpe nach Angabe von Holger Gerlach in der Gruppe behaupten konnte. Der Zeuge Scha. hat glaubhaft ausgeführt, dass Gerlach in seiner Beschuldigtenvernehmung auf Nachfrage zum Innenverhältnis geäußert habe, nach dem Untertauchen sei Beate Zschäpe gleichberechtigt aufgetreten, alle Entscheidungen wären gemeinsam mit ihr getroffen worden. Beate Zschäpe, die schon einmal im Bus einer Punkerin eine reingehauen habe, weil diese blöd geschaut habe, wäre nicht der Typ gewesen, der sich unterordnet. Auch die Angaben von Gerlach am 02.06.2013 lassen daran keinen Zweifel aufkommen. Die Angaben von Holger Gerlach haben sich insoweit auch als verlässlich erwiesen.

      Der Mitangeklagte Gerlach war die Person, der die drei am besten kannte. Er hielt durchgängig bis 2011 Kontakt. Er begleitete sie bei mehreren Urlauben. Ihm gelangen daher zuverlässige, in sich konsistente und relativ unverfälschte Einblicke in die Binnenstruktur der Gruppe. Die Angaben des Mitangeklagten Gerlach wurden durch weitere Zeugen untermauert. So hat der Zeuge Max-Florian Bu. in seiner Beschuldigtenvernehmung vom 29.11.2011, eingeführt über den Zeugen Be., beschrieben, dass Uwe Böhnhardt zwar gegenüber Uwe Mundlos autoritär aufgetreten sei, ein derartiges Verhalten habe Uwe Böhnhardt jedoch niemals gegenüber Beate Zschäpe an den Tag gelegt. Die Aussage von Max-Florian Bu. ist ebenfalls glaubhaft und aussagekräftig. Er hat seine Beschreibung des Umgangs der drei und ihres Verhältnisses untereinander bereits in der Frühphase der Ermittlungen,, noch gänzlich unbefangen von der Berichterstattung, gegeben. Und Max-Florian Bu. hatte die drei Untergetauchten erst kurz nach der Flucht kennengelernt, ist also frei von Eindrücken aus der Zeit in Jena.

      Die Urlaubsbekanntschaften haben die drei Untergetauchten teilweise über mehrere Jahre in Freiheit erlebt. Auch ihre übereinstimmenden Wahrnehmungen und Beurteilungen spiegeln die Gleichberechtigung und auch den Respekt, den ihr Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zollten, wieder. Hier einige Zitate von den Aussagen der Urlaubsbekanntschaften. Zeuge Christian Mo. [siehe 60. Verhandlungstag]: „Sie waren zu dritt ein Team.“ Zeugin Karin Mo. [siehe 60. Verhandlungstag]: „Das Verhältnis der drei war ausgeglichen. Es herrschte Gleichberechtigung unter ihnen. Sie waren wie eine kleine Familie, eingeschworen, sie verstanden sich extrem gut.“ Juliane S. [siehe 129. Verhandlungstag]: „Alle wussten alles. Sie hatten ein ausgewogenes Verhältnis in der Gruppe, Planungen wurden immer zwischen den dreien abgesprochen. Sie verhielten sich fürsorglich, innig.“ Britta Ka. [siehe 68. Verhandlungstag]: „Sie schienen alle drei ein eingespieltes Team zu sein.“

      Die Zeugin Michele Ar. [siehe 217. Verhandlungstag]hat zur letzten Anmietung des Wohnmobils in Eisenach berichtet: Sie hatte den Eindruck, die beiden Kunden Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe erschienen sehr vertraut. Der Zeuge Ge. [siehe 68. Verhandlungstag]hat Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe im Zusammenhang mit der Auftragserteilung zur Reparatur eines Bootsmotors erlebt, dem Zeugen war das damalige Auftreten der Angeklagten noch sehr gut in Erinnerung. Obwohl es um einen Motor ging, habe nicht Böhnhardt, sondern die Angeklagte das Wort geführt und überwiegend gesprochen. Sie habe die Details der Reparatur abgesprochen. Die Frau habe bestimmt und gesagt, was zu machen sei. Sie sei außergewöhnlich dominant aufgetreten. In dieses Bild fügt sich auch ein Video – gespeichert auf EDV 2 – ein, das von einer Überwachungskamera der drei Untergetauchten aufgenommen und das in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen worden ist. Zu sehen sind neben der Angeklagten auch die beiden Männer. Beide Männer und nicht etwa Beate Zschäpe greifen unaufgefordert zum Kehrgerät, nachdem ein Besucher die Wohnung verlassen hat. Mehrere in Augenschein genommene Fotos zeigen stets eine gut gelaunte Zschäpe mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.

      Erhellend ist auch die Aussage von Patrick Ku. [siehe 67. Verhandlungstag], einem Wohnungsnachbar: Die Angeklagte habe erzählt, dass sie etwas gegen Ausländer habe, die nach Deutschland kommen und nicht arbeiten, durch sie gebe es mehr Straftaten in Deutschland. Der Zeuge erinnerte sich an Vorfall 2010. Zschäpe habe ihm geraten, dass er sich nichts gefallen lassen soll und sich selbst beschrieben haben als eine, die auch gleich zulangen würde. Die Zeugin S. hat die Angeklagte […] erlebt. Die Angeklagte habe ihr eine Standpauke gehalten und sei aggressiv geworden, sie habe die Zeugin S. richtig eingeschüchtert. Auf Frage des Zeugen Poitschke, ob weitere Straftaten geplant und zu verhindern seien, verneinte sie, was unbefangen ebenfalls nur so zu verstehen ist, dass sie in alle Taten der Gruppe eingeweiht war.

      Nach der Beweisaufnahme ist auch davon auszugehen, dass sie nach Untertauchen mit keinem der Männer eine exklusive Beziehung führte. Zwar haben einige Zeugen aus ihrer damaligen Nachbarschaft gesagt, die Angeklagte habe behauptet, der eine sei ihr Freund, der andere der Bruder. Diese Fiktion war jedoch im konservativem Umfeld der Nachbarn allein der Legendierung geschuldet. Schon die Aufteilung der Zimmer in den verschiedenen Wohnungen spricht gegen eine Paarbeziehung. Die Zeugen, die das Verhalten der drei längere Zeit beobachtet haben, haben ebenfalls keine solche Wahrnehmungen gemacht. Nach den Beobachtungen der Zeugin Britte Ka. hat Beate Zschäpe beide Männer bemuttert. Beide Männer wären gleich nett zur Angeklagten gewesen. Der Zeuge Matthias Re. [siehe 68. Verhandlungstag] hat bekundet, „Gerry“ habe ihm gegenüber sein Verhältnis zu Liese als freundschaftlich bezeichnet eine intime Beziehung aber unmissverständlich verneint. Nach der Aussage von Karin Mo. war ein Verhältnis zu einem der Männer nicht wahrnehmbar. Hierfür spricht auch die vom Zeuge Poitschke geschilderte spontane Äußerung der Angeklagten nach ihrer Festnahme, Böhnhardt und Mundlos seien ihre Familie gewesen, ohne dass sie zwischen den beiden differenziert hätte. Der Mitangeklagte Holger Gerlach beschrieb das Verhältnis zu Böhnhardt und Mundlos folgendermaßen: “Als wenn sie die Frau zweier Ehemänner gewesen wäre. Sie hatte keine Beziehung zu einem der beiden, sondern zu beiden ein enges Verhältnis.“ Dem entspricht wiederum, dass auch der Zeuge Max-Florian Bu., wie bekundet vom Zeugen Be., zu keinem Zeitpunkt Intimitäten beobachtet hat.

      Die Aussage von Sindy H., die Beate Zschäpe […] als unsichere Persönlichkeit einschätzen wollte und auf deren Beschreibung der Zeuge Bauer sein unsicheres Konstrukt einer dependenten Persönlichkeit maßgeblich errichtet hat, ist nicht zu folgen. Die Angeklagte selbst stellte gegenüber dem Zeugen Bauer die Angabe der Zeugin in Abrede. Die Verschiebung der Verantwortung auf Uwe Böhnhardt, die die kontaktheischende Zeugin H. geschildert hat,kann auch als praktikabler Vorwand der Beate Zschäpe gewertet zu werden, H. auf die erforderliche Distanz zu halten.

      Wie selbstbewusst sich die Angeklagte Beate Zschäpe nach der Festnahme und während des Verfahren gerierte, dazu haben die Zeugin Binz, Le. und P.
      [beide siehe 17. Verhandlungstag]bekundet. Sie hätte sich nicht gestellt, wenn sie nichts hätte sagen wollen. Ihr war wichtig, dass die beiden sie zu nichts gezwungen hätten. Dem Zeugen Le. gegenüber präsentierte sie sich als Faktenmensch. Da die Angeklagte Beate Zschäpe überobligationsmäßig vor jedem Gespräch mit Ermittlungsbeamten ausdrücklich und unmissverständlich auf ihr Aussageverweigerungsrecht hingewiesen wurde, geht der Verwertungswiderspruch der Verteidigung soweit ins Leere, ein Verwertungsverbot hinsichtlich solcher Äußerungen ist nach der bestehenden Rechtsordnung nicht vorgesehen. Dass die Angeklagten durchaus dominante und manipulative Wesenszüge zeigt und Geschehen gerne kontrolliert, belegt der Brief an Robin Schmiemann – auch zu dessen Verwertbarkeit habe ich bereits Ausführungen gemacht.

      Auch seit Mai 2013 zeigte sich die Angeklagte bestimmend, selbstbewusst und durchsetzungsstark. Zu erwähnen ist insbesondere, wie vehement sie tagesabhängig die Sitzordnung der Verteidiger und sogar der des Angeklagten Eminger durchgesetzt hat. Wie konsequent sie unbequeme Zeugen fixiert hat und mit welcher Energie und Ausdauer sie ihren Bannstrahl gegen ihre sogenannten Altverteidiger gerichtet hat, als diese sich ihrem Willen nicht mehr unterordnen wollten. Auch in der Haftanstalt in München ist sie nach glaubhaften Angaben der Zeugin Ha. [siehe 350. Verhandlungstag]selbstbewusst und standfest aufgetreten. Zaghaftigkeit und Unsicherheiten hat die Zeugin nicht feststellen können. Nach der Beweisaufnahme ist daher davon auszugehen, dass sich die Angeklagte in der Dreiergruppe mit Blick auf Vorgeschichte und gemeinsame Entwicklung durchaus behaupten konnte.

      Wenn also die Zeugin Ilona Mundlos die Angeklagte als Jugendliche im Umgang mit Uwe Mundlos folgendermaßen beschrieben hat: „Zschäpe hatte Durchsetzungsvermögen, ließ sich nicht alles gefallen, konnte ihren Willen durchsetzen“, dann weiß jeder der Verfahrensbeteiligten, die die Angeklagte im Sitzungssaal erlebt haben, was die Zeugin damit gemeint hat. In der Hauptverhandlung ergaben sich auch keine tragfähigen Anhaltspunkte, dass sie sich nach dem Untertauchen vom rechten Gedankengut distanziert hätte. Die Angeklagte hatte in ihrer Wohnung Zugriff auf eine Vielzahl von rechten Schriften, zu den Inhalten einer sichergestellten DVD-R mit der Bezeichnung „Neu“ mit zahlreichen Texten aus der NS-Zeit hat die Zeugin Pf. [siehe u.a. 149. Verhandlungstag]ausführlich bekundet. Auch das lange Zusammenleben mit zwei überzeugten, rechtsextremistischen Mördern und ihr Engagement, das sie am 04. und 05.11.2011 gezeigt hat, sprechen eindeutig gegen einen Gesinnungswandel.

      Wenn die Angeklagte Beate Zschäpe dem Zeugen Patrick Ku. auch einmal geraten haben soll, nicht in die rechte Szene abzurutschen, ist dies nur konsequent, da die drei Untergetauchten selbst ab 2000 den Kontakt in die rechte Szene mieden und sich angepasst verhielten, bspw. auch griechische Restaurants aufsuchten. Hinzu kommt, dass das Entdeckungsrisiko für die gesamte Gruppe durch extremistisches Verhalten des Nachbarn zugenommen hätte, die Warnung also auch der Sicherheit der Gruppe diente. Die Gruppe selbst war staatsfeindlich ausgerichtet. Die Angeklagten Zschäpe, Gerlach und Wohlleben verhalten sich zu den politischen Zielen der Gruppe verschwommen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme töteten Böhnhardt und Mundlos unbeschadet ihrer psychopathischen Züge nicht aus Mordlust und auch nicht gelegenheitshalber aus Frustration. Böhnhardt und Mundlos sahen sich nicht als Kriminelle. Sie töteten im Namen des Nationalsozialistischen Untergrunds. Der NSU hat sein Wirken ausdrücklich unter ein politisches Motto gestellt. Das zeigt nicht nur die Namensgebung. Die Bezeichnung, die seit 1999 unverändert war, stellt unmissverständlich den Bezug zum Nationalsozialismus her.

      Auch der Vorgehensweise der Gruppe kommt starke Aussagekraft zu. Die Taten waren ganz und gar nicht das Zufallsprodukt, das die Angeklagte behauptet. Durch die Verwendung ein- und derselben Schusswaffe sollten die Taten in der Öffentlichkeit als serienmäßige Hinrichtungen wahrgenommen werden. Die Anschläge wurde ab der ersten Erschießung von der Gruppe dokumentiert und nummeriert. Das Konzept sah auch vor, durch Anschläge eine größere Anzahl von Opfern zu treffen. In beiden Fällen sollte zunächst keine Bekennung zu den einzelnen Taten erfolgen. Dadurch sollten die Bevölkerungsteile mit Migrationshintergrund massiv verunsichert werden. Bürger, die nach ihrem Verständnis nicht der deutschen Nation angehörten, sollten das Vertrauen zum Staat und in die Polizei verlieren und zum Wegzug veranlasst werden. Innerhalb der betroffenen Bevölkerungsteile sollte sich Misstrauen ausbreiten. Die wahren Hintergründe sollten erst im Bekennervideo dargelegt werden.

      Im Bekennervideo Paulchen Panther bekundete der NSU: „Solange sich keine grundlegenden Änderungen und in der Politik, Presse und Meinungsfreiheit vollziehen, werden die Aktivitäten weitergeführt. Taten statt Worte.“ Der NSU wollte damit mit seinen Taten zum Erhalt der deutschen Nation beitragen. Warum die Serie der Anschläge im Jahre 2007 endete, konnte nicht festgestellt werden. Bisher wurden jedenfalls keine weiteren Anschläge ermittelt. Das Konzept sah auch vor, wie in den Turner-Tagebüchern beschrieben, auch die Kommandozentrale zu sprengen. Dass die Gruppe im Datenbestand auch eine elektronische Ausgabe der Turner-Tagebücher besaß, hat die Zeugin Pflug glaubhaft bekundet. Die Gruppierung hatte 10 Liter Kraftstoff gelagert in der Wohnung. Auch das Wohnmobil in Eisenach war für die Exit-Strategie ausgestattet gewesen. Böhnhardt und Mundlos führten einen erheblichen Geldbetrag, eine beträchtliche Anzahl der Bekennervideos und Klamotten mit sich. Eine Flucht und die Aufgabe der Wohnung waren demnach bei jeder Bekenntnisfahrt als Möglichkeit eingeplant.

      Die Recherche der Angeklagten im Internet und ihr gezieltes strukturelles Vorgehen am 4. und 5.11.2011 belegen, welche Abreden es für den Fall eines Fehlschlagens einer Tat gab und dass Beate Zschäpe genau dafür verantwortlich war, ohne Rücksicht auf die Mitbewohner die Wohnungen in die Luft zu jagen. Das Ausbringen von Benzin in allen Räumen war auf eine solche Explosion eingerichtet. Ohne zu zögern, setzte sie den gemeinsamen Plan um. Dieses Endszenario hat die Angeklagte Zschäpe laut ihrer Einlassung ohne weitere Kommunikation mit den Gruppenmitgliedern ausgeführt. Die Angeklagte Beate Zschäpe war die Statthalterin in der Wohnung, das mobile Pendant Wohnmobil steckten Böhnhardt und Mundlos in Eisenach in Brand. Einen weiteren Beleg für die terroristische Ausrichtung der Gruppe stellt der sog. NSU-Brief dar. Das Dokument wurde als elektronische Datei im Datenbestand auf der Festplatte USB Seagate EDV 11 in der Frühlingsstraße sichergestellt. Die Einzelheiten haben die Zeugen Pf. und Scheuber bekundet und der Brief wurde in Augenschein genommen.

      Den Brief versandte die Gruppe im Jahr 2002 mit einem Geldgeschenk an mindestens zwei rechtsgerichtete Magazine. Ein Originalbrief wurde bei der Durchsuchung im Jahr 2012 beim Zeugen Petereit [siehe 297. Verhandlungstag]sichergestellt. Das Durchsuchungs- und Sicherstellungsprotokoll wurde verlesen. Die zeitliche Einordnung des Versands basiert auf der Danksagung im Fanzine „Weisser Wolf“ aus 2002. Der Brief ist von erheblicher Bedeutung, weil er als Selbstdarstellung die einzige Verlautbarung an die Szene darstellt. Er gewährt Einblick in die damalige Ideologie der Gruppe. Eine Bekennung zu den Taten ist ihm nicht zu entnehmen. Angestrebt wurden grundlegende Änderung der bundesrepublikanischen Verhältnisse in Politik, Presse und Meinungsfreiheit. Angedacht wurde ein Netzwerk von Gleichgesinnten. Die Mitglieder bezeichnen sich als Nationalisten. Die Parallele zu der Einlassung von Beate Zschäpe ist auffällig. Sie befänden sich im Widerstandskampf um die Freiheit der deutschen Nation. Nur durch den wahren Kampf könne dem Regime und seinen Helfern entgegengetreten werden. Dass der politische Hintergrund der Gruppe, der sich aus NSU-Brief ergibt, unverändert geblieben ist, zeigt die Veröffentlichung des Videos im November 2011. Die Szenen im Paulchen Panther-Video sind geprägt von der Vision einer Neuordnung von Staat und Gesellschaft ohne Ausländer. Dass die Angeklagte Zschäpe nach Brandlegung nichts als ihre Katzen und die Bekenner-DVDs aus der Wohnung rettete, belegt den Stellenwert, den die Bekennung für sie einnahm.

      Götzl: „Dann werden wir jetzt das Plädoyer unterbrechen und setzen morgen um 9:30 Uhr fort.“

      Der Verhandlungstag endet um 16:35 Uhr.

      Einschätzung des Blogs “NSU-Nebenklage”

      Für die Protokolle der Plädoyers der Bundesanwaltschaft nutzen wir neben unseren Mitschriften die bereits auf nsu-nebenklage.de veröffentlichten Protokolle und überarbeiten diese.

        Der Beitrag Protokoll 375. Verhandlungstag – 25. Juli 2017 erschien zuerst auf NSU Watch.

        Protokoll 376. Verhandlungstag – 26. Juli 2017

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        An diesem Prozesstag setzt Oberstaatsanwältin Greger das Plädoyer des GBA fort. Sie spricht über die Einbindung der Angeklagten Beate Zschäpe in die Gruppe NSU, die sie als gleichberechtigt beschreibt. Ohne sie wären die Taten des NSU nicht möglich gewesen. Greger widerspricht damit auch der Einlassung der Hauptangeklagten. Greger geht im heutigen Teil des Plädoyers auf die Waffen, die Finanzen und die Tatortausspähungen des NSU ein.

        Der Prozesstag beginnt 9:51 Uhr. Heute sind die Nebenklägerinnen Yvonne Boulgarides und Michaela Boulgarides anwesend. Götzl: „Dann setzen wir heute mit den Plädoyers der Bundesanwaltschaft fort. Ich würde meinen, dass wir eine Größenordnung von einer Dreiviertelstunde anpeilen. Bitte schön!“

        OStAin Greger setzt ihren am letzten Prozesstag begonnen Teil des Plädoyers des GBA fort:
        Hoher Senat, ich stelle jetzt dar, welche Erkenntnisse die Beweisaufnahme zum Innenleben der Vereinigung erbracht hat.“ Dass die Untergrundzelle die Mordanschläge so effektiv und lange Zeit unentdeckt begehen konnte, lag nicht zuletzt am engen Zusammenhalt und Zusammenspiel der drei Mitglieder. Böhnhardt und Mundlos waren kein psychopathisches Duo, das neben der Angeklagten herlebte und hin und wieder in mörderische Exzesse verfiel. Alle drei Personen fügten ihr Handeln und Verhalten in ein großes Ganzes ein. Das gemeinsame Zusammenleben war über die Jahre darauf ausgerichtet, die Anschläge sicher und effektiv zu begehen. Alle drei Personen sicherten gemeinsam Böhnhardt und Mundlos bestmöglich ab. Alle drei Mitglieder schweißte ein unbedingtes Vertrauen zueinander zusammen. Die Handlungen aller drei Personen zeigen sich ineinander verwoben. Jedem kamen bestimmte Aufgaben im Dienste der gemeinsamen Sache zu. Und alle drei Mitglieder arbeiteten für ihre Sache ganz bewusst einvernehmlich Hand in Hand zusammen. Die Angeklagte Zschäpe trat im Geschäftsverkehr als harmlose Hausfrau auf. Sie beschaffte SIM-Karten und Mobiltelefone, die alle Mitgliedern zur Verfügung standen. Sie sorgte für sichere Ausweise. Uwe Böhnhardt übernahm ab 2004 die Aufgabe, Wohnmobile und Fahrzeuge anzumieten. Gemeinsam verschafften sich Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe eine Vielzahl von Schusswaffen, dazu Munition und Sprengstoff. Und in den Kellerräumen fanden in Kenntnis der Angeklagten Zschäpe Schießübungen statt.

        Das Herzstück der Gruppe war ihre Wohnung. Ihrem Wohnungsumfeld spielten die drei Personen unter Aliasnamen die Schimäre des ganz normalen Lebens vor. Das Innere der genutzten Mietwohnungen wurde zunehmend baulich gesichert. Der Außenbereich wurde mit Kameras zuletzt komplett überwacht. In der Unterkunft wurde die gesamte Logistik der Gruppe, also Waffen, Sprengstoffe, Papiere, Daten, Kommunikationsmittel, Zeitungsarchiv und auch Beute gelagert. Die Asservatenlage, wie sie nach dem Brand in Zwickau von den Behörden vorgefunden wurde, belegt eine sehr enge vertrauensvolle Zusammenarbeit und eine sehr enge, vertraute Bindung der Personen. Demnach lagen Waffen und Beute und Bekenner-DVD offen zugänglich in der Wohnung, Computer waren unverschlüsselt und standen allen zur Verfügung. Die Kommunikationsmittel wurden ebenfalls gemeinsam ohne feste Zuordnung von den Dreien wechselnd benutzt. Entgegen der Einlassung der Angeklagten Zschäpe gab es keine Ausschließlichkeit [der Nutzung]der Räume, wie das Katzenzimmer [zeigt], in dem sich der Rechner, die Sitzecke und der Fernseher der Gruppe befanden.

        Die Gruppe verfügte am 04.11.2011 über zwei Computer. Der Hauptcomputer befand sich im Zimmer der Angeklagten. Die einzelnen Fundorte der sichergestellten Asservate ergeben sich aus den verlesenen Asservaten-Verzeichnissen und den Angaben des Brandermittlers L. [siehe 15., 24., 25. und 38. Verhandlungstag]. Die Skizzen der Wohnungen und Lichtbilder zu den Fundorten wurden in Augenschein genommen. Des Weiteren führten Böhnhardt und Mundlos im Wohnmobil in Eisenach ein Notebook mit sich, das ebenfalls sichergestellt worden ist. Der Hauptcomputer, der PC Asus, stand unter dem Hochbett der Angeklagten Zschäpe. Dort war ein PC-Arbeitsplatz eingerichtet. Nach der Einlassung der Angeklagten Zschäpe, die sich insoweit mit dem Ergebnis der Ermittlungen deckt, arbeiteten alle drei Personen mit dem Gerät.

        Für die folgenden, im verlesenen Browserverlauf gespeicherten Recherchen mit diesem, spielt die Angeklagte Zschäpe eine Rolle. Die verzeichneten Zeiten haben sich nach den überzeugenden Aussagen des Zeugen Ronny Bo. [siehe 27. und 43. Verhandlungstag] als schlüssig erwiesen. Die festgestellten Recherchen lassen Rückschlüsse auf Aufgabenverteilung innerhalb der Gruppe und Ineinandergreifen der Gruppenmitglieder zu. Im Mai 2011 wurde in dem Computer nach „Hotels Disneyland Paris“ gesucht. Nach der Aussage der Zeugin Gabriele Q. [siehe 46. und 47. Verhandlungstag] hat die Angeklagte Zschäpe die Reise unter ihrem Aliasnamen Lisa Pohl am 27.05.2011 in einem Reisebüro für André Eminger und dessen Familie gebucht und in bar bezahlt. In der Wohnung Frühlingsstraße wurden dazu eine Rechnung und Buchungsbestätigung vom 15.6.2011 sichergestellt. Die Reise ist als Entlohnung für André Eminger zu würdigen.

        Im Juni 2011 erfolgte mit dem Gerät Fahrplanauskünfte zu Haste, Niedersachsen. Die Reise erfolgte zu Holger Gerlach und stand im Zusammenhang mit der Abholung eines Reisepasses für Böhnhardt. Gereist ist nach den Aussagen der Zeugen Jeanette Pf. [siehe u.a. 220. und 229. Verhandlungstag], Timo Ko. [siehe 217. und 293. Verhandlungstag] und Ivar Kä. [siehe 233. Verhandlungstag]die Angeklagte Zschäpe. Einen Zusammenhang mit der Ausspähungsfahrt belegt der Browserverlauf am 21.08.2011. Verzeichnet ist eine 1 1/2 stündige Recherche nach Campingplätzen bei Eisenach/Arnstadt. Schon einen Tag später übernachteten zwei Mitglieder der Gruppe unter dem Namen Gerlach auf dem Campingplatz Paulfeld. Das dritte Mitglied blieb in Zwickau, was eine Internetrecherche belegt. Nach den festgestellten Abläufen zur Praxis der Ausspähungen war dies die Angeklagte Zschäpe, die die Wohnung sicherte. Am Tag des Überfalls in Arnstadt und in Eisenach recherchierte die Angeklagte Zschäpe von ihrem PC nach Nachrichten und Verkehrsunfällen.

        Für sich selbst spricht, bedenkt man die Behauptung der Angeklagten Zschäpe, sie sei von Böhnhardt und Mundlos gemobbt worden, der Aufstellungsort des Hauptcomputers im Zimmer der Angeklagten. Bezeichnenderweise wies das Gerät zudem nach den Ausführungen des Sachverständigen Ronny Bo. als Zugangskennung das Kennwort Lise auf, die Nutzer lauteten Lise und PC. Das Laptop Acer wurde im Wohnmobil Eisenach sichergestellt. Nach der Aussage der Urlaubsbekanntschaft Juliane S. [siehe 129. Verhandlungstag] gehörte es der Angeklagten Zschäpe, wurde jedoch während der Urlaube auch viel von Böhnhardt und Mundlos genützt. Dieses Notebook wurde bei den Überfällen mitgeführt, so auch während der letzten Fahrt zum Bankraub in Eisenach. Beate Zschäpe überließ es den Männern für ihre Kommunikation. Nach Aussage der Zeugin S. lautete das W-Lan-Passwort Susan.

        Im Brandschutt der Frühlingsstraße wurde eine DVD-R mit dem Zusatz Treiber und Programme 5.5.07 gefunden. Auch die Inhalte dieses Datenträgers sind als Belege für das vertrauensvolle Miteinander der Gruppenmitglieder und die Vermischung von Gruppenbelangen und Persönlichem zu werten. Geheimnisse bestanden demnach nicht. Auf dem unverschlüsselten Datenträger finden sich die Ordner „Killer“ und die Unterordner „Datenbank Aktion Wichtig“, „Graphiken“ und „Mein Kampf“. In dem Unterordner „Datenbank“
        [finden sich] Ausspähobjekte. In dem Unterordner „Graphiken“ sind zwei Entwürfe für fingierte Mitgliedsausweise Beate Zschäpes für Tennisclubs […] u.a. in Nürnberg und drei Versionen eines selbst entworfenen Hausausweises eines Hotelmitarbeiters mit Lichtbild der Angeklagten Zschäpe gespeichert. Hier befinden sich auch die Bilddateien mit dem Wettvertrag zwischen Lise, Cleaner und Killer und nicht zuletzt Urlaubsbilder von Böhnhardt und Zschäpe. Der Unterordner „Mein Kampf“ enthält eine Version des Buches und Onlinematerial zu rechten Themen. Im Ordner für die Aktions-DVD sind Softwareprogramme für die Bearbeitung von Videos gespeichert.

        Bei der EDV 22 handelt es sich um eine DVD. Auf diesem Datenträger finden sich nach den Aussagen der Zeugen Jeanette Pf. und Roman Gl. [siehe 46. und 239. Verhandlungstag] unter Bezeichnung „Aktionsdatenbank“ eine elektronische Adressliste mit Ausspähmaterial. Auf dem Datenträger sind aber auch drei Urlaubsfotos 2006 in Grömitz gespeichert, [was] zudem der Zeuge Winfried Tu. [siehe 85. Verhandlungstag]und die Sachverständige Elisabeth Pi. [siehe 303. Verhandlungstag] bekundet haben. Die Fotos im Unterordner „Urlaub 2006“ wurden in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen.

        Bei der EDV 11 handelt es sich um eine externe Festplatte, die im Brandschutt der Frühlingsstraße sichergestellt wurde. Darauf befand sich nach Angaben der Zeugen Ellen Ha. [siehe 43. Verhandlungstag]und Jeanette Pf. im Ordner „Max“ die ungesicherte Vorversion des Bekennervideos und im Ordner „Max“ der NSU-Brief. Die Gruppe verfügte über mehrere SIM-Karten und Mobiltelefone. Die Fundorte ergeben sich aus den Vermerken der Zeugen Pf. und […] und Ermittlungsvermerken. Nach der Beweisaufnahme ist davon auszugehen, dass die SIM Karten der Gruppe ausschließlich von der Angeklagten Zschäpe beschafft und dann von den Mitgliedern gemeinsam genutzt wurden. Mit der Ausstattung der Gruppe mit Mobiltelefonen stellte die Angeklagte Zschäpe sicher, während der Abwesenheit Böhnhardts und Mundlos‘ mit diesen kommunizieren zu können. Des Weiteren waren die Mobiltelefone für die Anmietung der Fahrzeuge von Bedeutung, um eine telefonische Erreichbarkeit bieten zu können.

        In keinem Fall wurde nach Aussage der vernommenen SIM-Inhaber Susann Ei. [siehe 56. Verhandlungstag], Janine St. [siehe 66. Verhandlungstag], Sandy N. [siehe 73. Verhandlungstag]und J. Mobiltelefone von Mundlos oder Böhnhardt beschafft. Für die Urlaubsbekanntschaften stellte es sich so dar, dass im Urlaub die Angeklagte Zschäpe das gemeinsame Handy der Gruppe bei sich trug und es den Männern bei Bedarf zur Verfügung stellte. Die Zeugin Ursula Sch. [siehe 60. Verhandlungstag]erinnerte sich, „Lise hatte ein Handy, die Jungs keins“. Die Zeugin Juliane S. formuliert es so, dass die Angeklagte Zschäpe es den Männern zur Verfügung stellte. Die Angeklagte Zschäpe verfügte demnach über Hauptcomputer, Haupthandy und Notebook. Zu den Mobiltelefonen konnten in der Beweisaufnahme folgende Feststellungen getroffen werden: Im Brandschutt der Wohnung wurden insgesamt sechs Mobiltelefone gefunden. Im Wohnmobil in Eisenach wurde ein weiteres Mobiltelefon sichergestellt. Zudem verfügte die Angeklagte Zschäpe über ein Handy, das sie kurz nach ihrer Flucht aus der Frühlingsstraße noch nutzte, dessen Verbleib allerdings ungeklärt ist. Damit sind der Zelle insgesamt acht Handys und mehrere SIM-Karten zuordenbar.

        Die Erwerbvorgänge konnten weitestgehend in der Beweisaufnahme nachvollzogen werden.
        So berichtet die Zeugin Sandy N., dass das Mobiltelefon mit der SIM-Karte und der Nummer
        [0151-Nummer] über sie beschafft worden ist. Die Zeugin wurde dazu von einer ihr unbekannten weiblichen Person in Zwickau angesprochen. Die SIM-Karte mit Telefon führten Böhnhardt und Mundlos bei der Tat in Eisenach mit. Die Nummer verwendete Böhnhardt auch nach den verlesenen Mietverträgen für die Anmietung des Wohnmobils in Arnstadt, zudem für die Anmietung des Wohnmobils für Ausspähung im August 2011.

        Die Zeugin Beatrix Ja. [siehe 66. Verhandlungstag] hat bestätigt, für die Angeklagte Zschäpe, die sie unter Lisa kannte, die Mobiltelefonnummer [0162-Nummer] erworben zu haben. Die dazugehörige SIM Karte benutzte Beate Zschäpe laut dem Zeugen Guido Sch. [siehe 116. Verhandlungstag] während ihrer Flucht nach dem Brand in der Frühlingstraße für Kontaktaufnahme zu André Eminger. Die Rufnummer findet sich auch auf dem Verlesungsprotokoll vom 11.01.2007 zum Komplex Wasserschaden Polenzstraße. Die Nummer wurde laut dem Zeugen Rocco Ra.[siehe 66. Verhandlungstag]damals von der Angeklagten Zschäpe als ihre telefonische Erreichbarkeit genannt. Dieses Mobiltelefon wurde auch während einer Ausspähung verwendet. Nach Aussage des Zeugen Stefanus Er. [siehe 195., 203. und 284. Verhandlungstag]war die Nummer im Bereich Campingplatz Paulfeld in Leinatal, Thüringen in die Funkzelle eingebucht.

        Die Zeugin Janine St. erinnerte sich, die [0160-Nummer] für eine unbekannte Frau in Zwickau erworben zu haben. Die Beschreibung trifft auf die Angeklagte zu. Der entsprechende Prepaidvertrag wurde sichergestellt in der Frühlingsstraße. Die Zeugin Susann Ei. gab an, die SIM-Karte mit der Nummer am 28.04.2004 in der Nähe des Wohnortes der Untergetauchten für die unbekannte Frau beschafft zu haben. Die Vertragsunterlagen wurden in der Frühlingsstraße sichergestellt, so dass davon auszugehen ist, dass es die Angeklagte Zschäpe war, die die Zeugin angesprochen hat. Der Handyvertrag wurde in der Hauptverhandlung verlesen. Diese Rufnummer wurde [gegenüber der] Autovermietung Zwickau als Erreichbarkeit angegeben und auf dem verlesenen Mietvertrag für die Anmietung eines VW Touran für die Anmietung eingetragen. Das Fahrzeug wurde für die Fahrt nach Köln und die Begehung des Anschlages in der Keupstraße verwendet. Die Nummer war auch als telefonische Erreichbarkeit von Holger Gerlach für die Autovermietung H. hinterlegt worden, wie sich etwa aus dem verlesenen Mietvertrag vom 04.11.2006 ergibt, der wiederum im Zusammenhang mit dem Banküberfall in Stralsund steht, und auch aus der Aussage des Zeugen Jochen Gu. [siehe 77. Verhandlungstag], dem zufolge genau diese Nummer zu Holger Gerlach vermerkt war in den Daten der Firma.

        Daneben wurden Unterlagen zum Handy [0162-Nummer] in der Frühlingsstraße aufgefunden. Der Zeuge Michael St. [siehe 42. Verhandlungstag]hat zu den Einzelheiten berichten [können]. Die Nummer wurde von Anette F- angeschafft. Auch hier ist aus […] und der Parallelität der Ereignisse zu schließen, dass die Angeklagte Zschäpe die Anschaffung zu verantworten hat. Die SIM-Karte wurde nach den Bekundungen von den Zeugen Thomas Bl. [siehe 50. Verhandlungstag]und St. von Böhnhardt und Mundlos bei der Tat in München, Fall Boulgarides, mitgeführt und von der Angeklagten Zschäpe konspirativ aus einer Telefonzelle zeitnah zur Tat angewählt. Rechnungen und Belege zu dieser Nummer wurden in der Frühlingsstraße sichergestellt, unter anderem der Zettel mit “Aktion” mit der Rufnummer darauf.

        Sämtliche Verstecke der Gruppe hatte die Gruppe gemeinsam beschafft und genutzt. Der Zeuge Winfried Tu. [siehe 85. Verhandlungstag] hat die wesentlichen Erkenntnisse zu den Wohnungen bekundet. Die Zeugin Annika Al. [siehe 218. und 222. Verhandlungstag]hat zu den Asservaten und zu den mit den Anmietungen verwendeten Aliasnamen ausgesagt. Die Angeklagte Zschäpe hat die Unterkünfte und das gemeinsame Wohnen in ihrer Einlassung grundsätzlich bestätigt. Die Wohnungsgeber Thomas Rothe [siehe 100., 131. und 146. Verhandlungstag]und Carsten Ri. [siehe 95. Verhandlungstag], Max-Florian Bu. [siehe 87. Verhandlungstag] und Matthias Dienelt [siehe 125. Verhandlungstag], so die Zeugen Christoph Gr. [siehe 123. Verhandlungstag], Ralf Be. [siehe 97., 101. und 109. Verhandlungstag] und Christoph Sch. [siehe 122. Verhandlungstag]als Vernehmungsbeamte von Thomas Mü., geb. Starke [siehe 101. Verhandlungstag], die Zeugen Dr. Wolfgand Schaffert und Volker Fl. [siehe 125. Verhandlungstag]zur Vernehmung des gesondert Verfolgten Matthias Dienelt die Zeugen Pe. [siehe 87. Verhandlungstag], Ralf Be. und Christian Vi. [siehe 87. und 97. Verhandlungstag] als Vernehmungsbeamte von Max-Florian Bu.

        Die Wohnungsvermittler Mandy Struck [siehe 89., 90. und 105. Verhandlungstag]und Achim Fiedler [siehe 188. Verhandlungstag] und der Vermieter Volkmar E. [siehe 16. Verhandlungstag]wurden als Zeugen vernommen und haben die Abläufe ebenfalls bekundet und sofern erforderlich die drei Untergetauchten identifiziert. Verlesen wurden die sichergestellten Mietverträge Frühlingsstraße nebst Untermietvertrag, Polenzstraße nebst Untermietvertrag, Kündigung und Übergabeprotokoll, Heisenbergstraße nebst Kündigung und Übergabeprotokoll, Wolgograder Allee nebst Anlagen und Kündigung, und Vertrag Altchemnitzer Straße nebst Kündigung und Schriftverkehr. Diese Unterlagen wurden im Wege der Verlesung in die die Hauptverhandlung eingeführt.

        RA Heer unterbricht: „Ich möchte nicht unhöflich sein, muss auch nicht jedes Wort mitschreiben. Aber bitte etwas langsamer, ich will zumindest die Namen der Zeugen mitschreiben, in der Geschwindigkeit geht das nicht.“ OStAin Greger wiederholt ab der Namensauflistung und den Verträgen.

        Greger fährt dann mit dem Plädoyer fort: Nach dem Untertauchen fanden die drei Untergetauchten, zunächst vermittelt durch Thomas Starke, Unterschlupf für etwa drei Wochen bis Februar 1998 beim Zeugen Thomas Rothe in Chemnitz in der Friedrich-Viertel-Straße. Von Mitte Februar 1998 bis Sommer ’98 stellt Max-Florian Bu. die Wohnung in der Limbacher Straße zur Verfügung. In dieser Wohnung wurde das Spiel Pogromly hergestellt. Max-Florian Bu. hatte die drei Untergetauchten erst über seine damalige Freundin Mandy Struck kennengelernt. Vom 29.08.1998 bis 30.04.1999 benutzten die Angeklagten Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos den Zeugen Carsten Ri. für eine Anmietung. Die Einzimmerwohnung in der Altchemnitzer Straße in Chemnitz für 450 DM warm hatten die drei selbst ausgewählt. Der Zeuge Ri. trat mit der Angeklagten Zschäpe als Pärchen auf bei der Anmietung, um den Eindruck einer unverfänglichen Anmietung zu erwecken. Die Anmietung erfolgte unter dem Namen Ri. Für die Kosten kamen die drei Untergetauchten selber auf. Die Bezahlung regelte nach der verlässlichen Aussage des Zeugen Ri. die Angeklagte Zschäpe.

        Die Zeugen Hendrik Lasch [siehe 190. Verhandlungstag]und Anja S. [siehe 103. Verhandlungstag] erinnerten sich, die drei in dieser Wohnung auch besucht zu haben. In dem Anmietungszeitraum wurde die terroristische Vereinigung gegründet und es erfolgte der erste bekannte Überfall. Die Wohnung wurde kurz nach dem Überfall gekündigt. Der Mietvertrag und das Übergabeprotokoll und die Kündigung wurden sichergestellt und verlesen. Mitte April ‘99 bis 31.08.2000 mietete der Angeklagte Eminger in Kenntnis aller Umstände für Mundlos, Böhnhardt und die Angeklagte Zschäpe eine Zwei-Zimmer-Wohnung in Chemnitz für 416 DM an. Der Mitangeklagte André Eminger hat sich dazu nicht eingelassen. Der Mietvertrag, das Übergabeprotokoll und das Kündigungsschreiben wurden in der Frühlingsstraße sichergestellt. Das Kündigungsschreiben gleicht in der Diktion dem sichergestellten Kündigungsschreiben des Zeugen Carsten Ri. Die Nutzung der Wohnung steht nicht nur aufgrund dieser Asservate fest. Der Zeuge Bu hat sich an die Angeklagte Zschäpe erinnert. Der Zeuge Ralf Be. hat bekundet, Max-Florian Bu. habe ihn zur Identifizierung eines Unterschlupfs der Drei in die Wolgograder Alle geführt, das Haus zwar selbst nicht wiedererkannt, aber die Wohnung zutreffend beschrieben. Der Zeuge Marcel Schenke [siehe 217. Verhandlungstag], ein Bekannter von André Eminger, hat ausgeschlossen, dass André Eminger selbst in dieser Wohnung gewohnt habe. Laut einem verlesenen Behördengutachten finden sich Fingerspuren an der Heizkostenabrechnung aus 1999 und auf einem Begleitschreiben zum Mietvertrag. In diesen Mietzeitraum fällt die Begehung des ersten Sprengstoffanschlags in Nürnberg und zweier Banküberfälle in Chemnitz.

        Zum Juli 2000 erfolgte der Umzug der Gruppe nach Zwickau. Die Gruppe wollte sich bewusst von rechter Szene in Chemnitz auch räumlich distanzieren. Uwe Mundlos mietete als Max-Florian Burkhardt eine Drei-Zimmer-Wohnung in der Heisenbergstraße in Zwickau an. Der Grundrissplan wurde in Augenschein genommen. Der Mietvertrag wurde in der Frühlingsstraße sichergestellt. Die Zahlungen liefen über einen auf den Namen Bu. laufendes Konto, das nach der Aussage des Zeugen Christian Vi. von Uwe Mundlos eröffnet worden ist. In diesem Mietzeitraum fanden die Anschläge in Nürnberg und in Köln, Probsteigasse, statt, zudem ein Banküberfall in Chemnitz.

        Von Mai 2001 bis Mai 2008 mietete Dienelt für die Gruppe eine Drei-Zimmer-Wohnung in der Polenzstraße an und vermietete sie am 18.5.2003 vorsorglich schriftlich an die drei Bewohner unter. In dieser Wohnung wurden bereits Umbauten vorgenommen, so wurde nach der Bekundung der Zeugen Sindy Po. [siehe 82. Verhandlungstag]und Katrin F. [siehe 56. Verhandlungstag] eine Lärmdämmung angebracht. Der Keller wurde mit Holztüren ausgestattet. Die Dämmung erklärte Beate Zschäpe der Nachbarin F. mit lauten Schießspielen, denn die Nachbarn hatten vorher wiederholtes Rumsen wahrgenommen. Zu dieser Anmietung wurden zahlreiche Asservate in der Frühlingsstraße sichergestellt. Laut einem verlesenen Behördengutachten finden sich Fingerspuren der Angeklagten Zschäpe auf dem Mietvertrag. In den Zeitraum dieser Anmietung fällt ein Großteil der Anschläge dieser Gruppe. In der Nachbarschaft lebten Böhnhardt und Mundlos nach Aussage Sindy Po. und Heike Ku. [siehe 67. Verhandlungstag] sehr zurückgezogen, während die Angeklagte Zschäpe kontaktfreudig auftrat.

        Am 01.04.2008 erfolgte der Umzug in die Frühlingsstraße 26 in eine nunmehr 125 qm große Vier-Zimmer-Wohnung. Die Skizze der Raumaufteilung wurde in Augenschein genommen. Die Wohnung hatten nach der Aussage Dienelt – von dem Zeugen Schaffert bekundet – Max und Liese, also Uwe Mundlos und die Angeklagten Zschäpe, vorher ausgesucht. Beide, also Mundlos und Beate Zschäpe, waren bei Unterzeichnung des Mietvertrages anwesend. Der Mietvertrag wurde auf Namen Dienelt geschlossen. Matthias Dienelt schloss dann mit Uwe Mundlos, alias Gerlach, einen Untermietvertrag. Auch zu der Anmietung dieser Wohnung wurden umfangreiche Unterlagen sichergestellt. Laut dem verlesenen Behördengutachten fanden sich auf Grundrisszeichnungen Fingerspuren der Angeklagten Zschäpe. Die Angeklagte veranlasste auch hier Mietzahlungen. So erfolgten unter ihren Alias Lisa Pohl und Lisa Dienelt Bareinzahlungen der Miete, wie sich aus den im Sicherstellungverzeichnis ersichtlichen Zahlscheinen ergibt und die Aussage des Vermieters Volkmar E. beweisen, dass die Angeklagte sehr erregt aufgetreten sei, als die Öffnung der Kellertür im Raum stand. An einem verlesenen Zahlschein und an einem Einzahlungsschein Deutsche Bank Matthias Dienelt wurden Spuren der Angeklagten Zschäpe festgestellt. Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe nutzten auch diese Wohnung gemeinsam. Die niedrigen Verbrauchsdaten sind erklärbar mit den regelmäßigen Abwesenheiten der Männer. Der Schein der angeblichen Montagetätigkeit musste nach außen aufrechterhalten werden.

        Die drei Bewohner trafen in dieser Wohnung umfassende Absicherungsmaßnahmen, zu denen der Zeuge Frank Le. [siehe u.a. 17. Verhandlungstag]und der Zeuge Achim St. [siehe 238. Verhandlungstag]bekundet haben. So überwachten sie die gesamte Umgebung der Wohnung mit vier versteckten Videokameras. Vier getarnte Kameras wurden sichergestellt. Auch eine Festplatte mit Aufzeichnungen der Überwachungskamera wurden sichergestellt. Die Aufnahmen wurden in Augenschein genommen. Diese Aufzeichnungen wurden unter dem Hochbett der Angeklagten Zschäpe, auf dem PC, sichergestellt. Im Zimmer der Angeklagten Zschäpe befand sich der gemeinschaftlich genutzte Computerarbeitsplatz, die Sitzecke der Gruppe, der DVD-Rekorder aber auch die Passfotos von Holger Gerlach vom 19.05.2011, die Buchungsbestätigung Disneyland, Infopost zur Bahncard auf den Namen André Eminger, Zahlscheine auf [den Namen]Lisa Dienelt für die Miete und eine Kundenkarte für das Geschäft PowerGames, aus dem eine Waffe der Gruppe stammen soll, nach Aussage Beate Zschäpes. Die Fundorte der Asservate lassen wiederum Rückschlüsse auf der Stellung der Angeklagten innerhalb der Gruppe zu.

        Die Gruppe ließ den Eingangsbereich mit verstärkten Eingangstüren versehen. Auch die Kellerräume wurden speziell gesichert, u.a. mit [einem]Alarmsystem. In den Mietzeitraum fallen nur noch Beschaffungstaten der Gruppe. Alle drei Personen wechselten nach dem Untertauchen ihre Namen. Sie traten fortan nur noch unter Aliasnamen auf. Auch untereinander sprachen sie sich nur noch mit den Tarnnamen Gerry, Max und Lise an.

        Nach dem gemeinsamen Plan aller drei Mitglieder fuhren ausschließlich die Männer Mundlos und Böhnhardt zu den Anschlagsorten. Die drei Zellenmitglieder arbeiteten zusammen, als es darum ging, Böhnhardt und Mundlos mit verlässlichen Ausweispapieren auszustatten und die Verlässlichkeit der Papiere immer wieder zu überprüfen. Auch hier ist augenscheinlich, wie die drei sich untereinander koordinierten und wie es der Angeklagten Zschäpe von 1998 bis 2011 darauf ankam, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos sorgfältig abzusichern. Greger unterbricht: „Hier würde ich jetzt eine Pause machen.“ Götzl legt eine Pause bis 11:00 Uhr ein.

        Weiter geht es um 11:05 Uhr. OStAin Greger setzt das Plädoyer fort: „Hoher Senat,
        ich stelle dar, welche Ausweispapiere in der Gruppe genutzt wurden und wie wiederum die Rolle der Angeklagten Zschäpe bei der Legendierung von Böhnhardt und Mundlos war.“ Das Auftreten unter Aliasnamen und die Verwendung von Tarnpapieren räumt die Angeklagte Zschäpe ein. Bereits bei ihrer Festnahme am 08.11.2011 wies die Angeklagte den Zeugen André Po. [siehe 17., 45. und 142. Verhandlungstag] darauf hin, sie würde nicht mehr auf ihren Rufnamen Beate reagieren. Ihre eigene Rolle bei der Legendierung von Böhnhardt und Mundlos spart sie in ihrer Einlassung jedoch wieder aus. Die Erkenntnisse dazu beruhen auf den sichergestellten und in Augenschein genommenen Ausweisen und den Anträgen für die Ausweise, den Bahncards und den weiteren im verlesenen Sicherstellungsverzeichnis aufgeführten Dokumenten und Daten, der Verlesung des Führerscheins Gerlach, den Aussagen der Zeugin Struck, die Aussage des Zeugen Bu., bekundet von der Zeugen Ralf Be. und Christian Vi., weiter den Aussagen der Zeugen Gunter Fiedler [siehe 187. Verhandlungstag]und Achim Fiedler, des Zeugen Dienelt, dessen Aussage eingeführt wurde durch die Vernehmung der Zeugen Dr. Schaffert [siehe 131. Verhandlungstag], dann auf Grund der Aussage der Zeugen Gabriele Q., Annika Al., Christian Vi., sowie der Einlassung des Mitangeklagten Holger Gerlach, der Zeugenaussage der Vernehmungsbeamten Horst Thomas Sch., und Dr. Gerwin Moldenhauer [siehe 20. und 256. Verhandlungstag], und schließlich der Ausführungen des Sachverständigen Dr. Carsten Proff [siehe 230. und 231. Verhandlungstag]und der verlesenen Behördengutachten.

        Danach wurde festgestellt, Uwe Mundlos nutzte seit Herbst 1998 durchgängig bis zuletzt die Identität des Zeugen Max-Florian Bu. Mit Hilfe des Zeugen Bu. erlangte die Gruppe einen Reisepass auf dessen Personalien. Im Brandschutt in der Frühlingsstraße wurden drei brandgeschädigte und im Wohnmobil in Eisenach zwei Bahncards, [ausgestellt] auf Max-Florian Bu., gültig bis Juni 2012, sichergestellt. Uwe Böhnhardt nutzte nach dem Untertauchen ab Mai 1998 zunächst die Personalie des Zeugen Gunter Frank Fiedler, eines Kameraden aus der Chemnitzer Szene. Auch auf diesen Namen Gunter Frank Fiedler hatten die drei Untergetauchten einen Reisepass erlangt. Nachdem der Kontakt zu Fiedler aber schwieriger wurde und dieser zuletzt seinen Reisepass zurückverlangt hatte, trat Böhnhardt ab etwa Sommer 2001 bevorzugt unter Personalien des Mitangeklagten Holger Gerlach auf. Holger Gerlach war dem Uwe Böhnhardt im äußeren Erscheinungsbild sehr ähnlich, und er versprach Verschwiegenheit auf Grund seiner langjährigen Freundschaft mit den drei Untergetauchten. Uwe Böhnhardt stattete sich zudem von 1999 bis 2004 mit Bahncards, die mit seinem eigenen Foto versehen waren, aber auf den Namen Fiedler lauteten, aus.

        Im Brandschutt der Frühlingsstraße wurden fünf Bahncards auf den Namen Fiedler aus den Jahren ‘99 bis 2004 sichergestellt. Zudem nutzte Böhnhardt auch den Namen von André Eminger. Im Wohnmobil in Eisenach wurden zwei Bahncards auf den Namen André Eminger, die wiederum mit Foto von Böhnhardt versehen waren und gültig bis 2012 waren, und in der Frühlingsstraße eine weitere Bahncard auf Eminger, sichergestellt. Die Ermittlungen dazu bekundete die Zeugin Ricarda We. [siehe 251. Verhandlungstag]. Anlassbezogen, insbesondere für Bestellungen oder den Verkehr im Internet, verwendeten Böhnhardt und Mundlos noch weitere Aliasnamen.

        Für die Angeklagte Zschäpe hat die Gruppe kein passendes Tarnpapier zur generellen Nutzung beschafft. Gleichwohl trat sie in ihrem Umfeld unter verschiedenen Identitäten auf und entwickelte sich um Laufe der Zeit zu einer Meisterin im Verschleiern. Nach der Auswertung der Asservate bediente sich die Angeklagte Zschäpe – wie die Zeugin Annika Al. glaubhaft bekundet hat – im Laufe der mehr als 13 Jahre im Untergrund mindestens 11 Aliaspersonalien. Die Angeklagte trat auf als Susann Dienelt, Lisa Dienelt, Lisa Pohl, Lise Pohl, Silvia Pohl, Mandy Pohl, Susanne Pohl, Lisa Mohl, Silvia Rossberg oder auch als Mandy Struck. Bei den Nachbarn der Wohnungen in der Polenzstraße und der Frühlingsstraße – so bekundet von den Zeuginnen Beatrix Ja., Heike Ku. und Sindy Po. – nannte sich die Angeklagte Lisa, Lisa Dienelt oder auch Susann Dienelt. In Notfällen konnte sie auf den Bundespersonalausweis der Susan Eminger [siehe 76. Verhandlungstag]zurückgreifen, wie etwa im Januar 2007 bei den Ermittlungen zum Wasserschaden Polenzstraße. Damals wies sie sich dem Zeugen Rocco Ra. gegenüber im Rahmen der polizeilichen Zeugenvernehmung mit einem Personalausweis der Susann Eminger aus. Für Zugfahrten war sie, entsprechendes bekundete Zeugin Ricarda We., mit einer Bahncard ausgestattet, die auf Susann Eminger lautete und mit ihrem eigenen Lichtbild versehen war. Im Brandschutt der Frühlingsstraße wurde nach Bekunden des Zeugen Christian No. [siehe 248. Verhandlungstag] eine entsprechende Bahncard, die bis 2010 gültig war, sichergestellt.

        Während der gesamten Zeit des Zusammenlebens in der Gruppe war die Angeklagte Zschäpe an die Gruppenregeln angepasst. So gelang es der Gruppierung über die Jahre hinweg, in der Interaktion mit Böhnhardt und Mundlos – auch unter der Verwendung von wechselnden Aliasnamen – in der Nachbarschaft und auch gegenüber den verschiedenen Urlaubsbekanntschaften unbefangen aufzutreten. Dies spricht einerseits für unbedingtes Einvernehmen mit Böhnhardt und Mundlos, andererseits auch für einen unbedingten Willen der Angeklagten, auf Dauer fester Bestandteil der Gruppe zu sein. Wie alle drei Personen bei der Beschaffung und auch bei der Sicherung der falschen Identitäten Hand in Hand zusammenarbeiteten zeigt bereits die erste Tarnpersonalie Fiedler. Die Zeugen Struck, Fiedler und Al. haben die Abläufe dazu stimmig dargestellt. Unter Mithilfe der Zeugin Struck ließen sich die drei Untergetauchten für Uwe Böhnhardt am 30.04.1998 einen Reisepass auf die Personalie Fiedler, versehen mit seinem eigenen Lichtbild, also dem Lichtbild Böhnhardt, ausstellen. Der Reisepassantrag mit Lichtbild Böhnhardt wurde beim Einwohnermeldeamt in Chemnitz sichergestellt und in Augenschein genommen.

        Der Zeuge Gunter Fiedler führte dazu aus: Ich bin gefragt worden, ob sie meinen Reisepass haben könnten. Und: “Die haben einen Passantrag gestellt”. Die Angeklagte Zschäpe hat dann in der Folgezeit auf einem Lebenslauf zu Fiedler, der wiederum in der Frühlingsstraße gefunden wurde, die Wohnanschrift und den Geburtstag eines Bekannten von Fiedler notiert. Das Behördengutachten zur Schriftleistung der Angeklagten Zschäpe wurde verlesen. Es ist, berücksichtigt man insoweit auch den Fundort des Dokuments, insoweit eindeutig. Dass die Angeklagte neben diesem Lebenslauf auch noch später, etwa im Halbjahr 2004, mit der Tarnidentität Fiedler befasst war, zeigt ein weiteres Asservat und ein der Angeklagten Zschäpe hinreichend sicher zuordenbares Teilmuster ihres DNA-Profils. Diese Spur wurde festgestellt am Ass. 2.12.139; es handelt sich dabei um einen Einzahlungsbeleg für eine Bareinzahlung auf den Namen G. Fiedler, bei der Commerzbankfiliale Zwickau am 08.06.2004, für die Bahncard Fiedler, die von Uwe Böhnhardt genutzt wurde.

        Ganz ähnlich ging die Gruppe bei der Legendierung von Uwe Mundlos vor. Der Vernehmungsbeamte Christian Vi. hat die glaubhaften Angaben des Zeugen Bu. vom 24.11.2011 und vom 05.01.2012 in dessen Beschuldigtenvernehmungen wiedergegeben. Die Angaben des Zeugen Bu. wurden durch die Aussage der Zeugin Struck, die sichergestellten Asservate, den Passantrag und den Reisepass von 1998, sowie durch die Aussage der Zeugin Al. zu den polizeilichen Ermittlungen, bestätigt. Danach baten im Spätsommer 1998 – wir sind in der Gründungsphase – die Angeklagte Zschäpe Böhnhardt und Mundlos gemeinsam den gesondert verfolgten Bu., ihnen seinen Personalausweis zur Verfügung zu stellen, um damit unter dem Namen Bu. einen Reisepass mit dem Foto von Uwe Mundlos beantragen zu können. Der Reisepass wurde von der Stadt Chemnitz am 07.09.1998 ausgestellt und 2011 im Wohnmobil in Eisenach sichergestellt. Eine Geburtsurkunde von Bu. wurde nach Bekundungen der Zeugin Al. im Brandschutt der Wohnung sichergestellt. Nach den Angaben des Zeugen Bu. sind damals die Angeklagte Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos für ihn als Einheit aufgetreten, auch soweit es um seinen Ausweis ging. Der Zeuge führte aus, „es war also nicht nur dem Mundlos wichtig, dass ich meinen Ausweis zur Verfügung stelle, sondern allen dreien, nämlich auch Zschäpe und Böhnhardt. Zwar habe ich meist mit Mundlos gesprochen, aber für mich hat er meist für alle drei gesprochen.“

        Die Angeklagte war auch später bei der Aufrechterhaltung der Tarnidentität Bu., also der Identität für Mundlos, eingebunden, wie zwei Asservate belegen. Nach einem Behördengutachten des BKA wurde der Fingerabdruck der Angeklagten Zschäpe am Asservat 2.12.136 festgestellt. Dabei handelt es sich wiederum um einen Bareinzahlungsbeleg vom 08.06.2004, diesmal für die Bahncard Böhnhardt bei der Commerzbank Filiale Zwickau. Dieser Fund spricht dafür, dass die Angeklagte Zschäpe am 08.06.2004 zeitgleich mit der Überweisung für die Bahncard Fiedler auch die Einzahlung für die Bahncard Bu. vorgenommen hat. Des Weiteren wurden noch ein Einzahlungsbeleg bei Post Zwickau vom 28.05.2008, also vier Jahre später, für die Bahncard Max-Florian Bu., in der Wohnung Frühlingsstraße sichergestellt. Der Beleg trägt wiederum das DNA-Muster der Angeklagten Zschäpe.

        Besonders aussagekräftig ist ihre Mitwirkung bei der Tarnidentität Holger Gerlach. Im Sommer 2001 baten die Angeklagte Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos den Mitangeklagten Holger Gerlach auf seinen Namen einen Reisepass für Böhnhardt zu beantragen. Die Angeklagte Zschäpe war nicht nur in diese Gespräche mit eingebunden, sondern ihr oblag es nach der Beweisaufnahme vor allem, den Mitangeklagten Holger Gerlach durch Zahlungen gefügig zu halten. Holger Gerlach wurde, wie er selbst nachvollziehbar dargelegt hat, als Legendengeber ausgesucht, weil er aus Sicht der Gruppe dem Uwe Böhnhardt sehr ähnlich sah. Zudem bestand zu diesem Zeitpunkt zu Fiedler, dem früheren Legendengeber des Böhnhardt, kein oder jedenfalls kein verlässlicher Kontakt mehr. Die Gruppe brauchte für Böhnhardt einen verlässlichen Ausweis und auch einen Führerschein, der die erforderliche Mobilität gewährleistete und im Notfall einer behördlichen Prüfung auch standhalten könnte. Den von Holger Gerlach wie besprochen beschafften Reisepass der Stadt Hannover vom 07.06.2001 mit seinem Foto und seinen Personalien übernahmen die Angeklagte Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos zusammen mit einer Krankenversichertenkarte der AOK Niedersachsen unter konspirativen Bedingungen in Zwickau am Bahnhof. Die Angeklagte Zschäpe war dabei nicht nur anwesend, sondern sie war es, die den Mitangeklagten Holger Gerlach aus der gemeinsamen Kasse der Gruppe auszahlte. Sie beschränkte diese Zahlung auch nicht etwa auf die Erstattung der Auslagen, die dem Holger Gerlach für den Reisepass entstanden waren. Die Angeklagte zahlte ihm bei der Gelegenheit vielmehr weitere 3.000 DM zurück, die er den Dreien zuvor geliehen hatte, und weitere 10.000 DM mit dem Auftrag, das Geld für die Gruppe zu deponieren und bei Bedarf wieder herauszugeben.

        Entsprechendes ergibt sich aus den übereinstimmenden Aussagen von Holger Gerlach vom 25.11.2011, 01.12.2011 und vom 12.01.2012, über die der Zeuge Horst Thomas Sch. [siehe 23., 24. und 25. Verhandlungstag] bekundet hat. Uwe Böhnhardt gab sich nunmehr als Holger Gerlach – “Gerry” – aus, und konnte somit unter einer absolut sicheren legalen Identität auftreten. Um selbst Fahrzeuge anmieten zu können, wollte die Gruppe auch einen Führerschein erlangen. Auch daran war die Angeklagte Zschäpe maßgeblich beteiligt. Der Führerschein von Holger Gerlach vom 04.02.2004 wurde 2011 im Wohnmobil in Eisenach sichergestellt.

        Zu dem Führerschein, den Angaben des Mitangeklagten und zu den Ermittlungen bei der Ausstellungsbehörde hat der Zeuge Sch. bekundet: „Der Mitangeklagte Gerlach hat auch insoweit seine Mitwirkung eingeräumt und erneut die Rolle der drei Gruppenmitglieder beschrieben.“ Der Mitangeklagte Holger Gerlach hatte sich auf Wunsch der drei Mitglieder Anfang 2004 einen Ersatzführerschein ausstellen lassen und diesen Ersatzführerschein Böhnhardt überlassen. Wiederum übernahm die Angeklagte Zschäpe die Bezahlung von Holger Gerlach und wieder aus der gemeinsamen Kasse. Dieser Führerschein spielte für die Gruppe eine ganz zentrale Rolle, weil er in der Folgezeit gemeinsam mit den von der Angeklagten Zschäpe beschafften SIM-Karten zur Anmietung von Fahrzeugen genutzt wurde.

        Auch im Jahr 2011 war die Angeklagte Zschäpe noch ganz maßgeblich an der Beschaffung eines neuen Tarnpapiers für Uwe Böhnhardt beteiligt. Der Mitangeklagte Holger Gerlach hat den Ablauf in seiner Vernehmung am 25.11.2011 nach Aussage seines Vernehmungsbeamten wie folgt geschildert: Anfang des Jahres 2011 sprachen die Angeklagte Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos den Angeklagten Holger Gerlach darauf an, ihnen erneut einen Pass zur Verfügung zu stellen. Um eine größtmögliche Ähnlichkeit mit Böhnhardt zu schaffen, schnitt Uwe Böhnhardt kurzerhand dem Angeklagten Gerlach für die Fertigung der Passfotos eigens die Haare und setzte ihm eine Brille auf. Die Angeklagte Zschäpe ging anschließend mit Holger Gerlach in ein Fotostudio, um sicherzustellen, dass dort die erforderlichen Passbilder angefertigt wurden und Holger Gerlach sich dem Ganzen nicht entziehen konnte. Der Mitangeklagte Holger Gerlach hatte nämlich Zweifel. Die Angeklagte bezahlte den Fotografen, ging im Anschluss mit dem Angeklagten Gerlach zum Passamt und ließ dort schon einmal eine Meldebescheinigung auf seinen Namen ausstellen. Den endgültigen Reisepass holte der Angeklagte Gerlach etwa acht Wochen später bei der Gemeinde Rodenberg ab und übergab ihn Böhnhardt und Mundlos.

        Die diesbezüglichen Ermittlungen, bekundet von den Polizeibeamten Jeanette Pf., Annika Al. und Timo Ko., haben diesen Verlauf, wie von Holger Gerlach geschildert, weitestgehend bestätigt. Sieben der Passbilder, die Holger Gerlach mit Brille zeigen, wurden zusammen mit einem Passbild Böhnhardts in einem Briefumschlag im Zimmer der Angeklagten Zschäpe sichergestellt. Die Passbilder, die demjenigen im Reisepass vom 2011 offenkundig entsprechen, weisen eine offenbar bewusst herbeigeführte Ähnlichkeit – wie sie auch von Holger Gerlach beschrieben wurde – zwischen den beiden Abgebildeten auf, nämlich Holger Gerlach mit kurzen Haaren, zum anderen Uwe Böhnhardt. Die Meldebescheinigung von Holger Gerlach wie auch der Reisepass selbst wurden von Böhnhardt und Mundlos bei ihrem letzten Banküberfall mitgeführt und im Wohnmobil in Eisenach sichergestellt.

        Einen wichtigen Umstand bei dieser Schilderung hat Holger Gerlach jedoch bislang verschwiegen. Entgegen der Angaben des Mitangeklagten Gerlach war es nämlich die Angeklagte Zschäpe, die am 16.06.2011 den neuen Reisepass – [ausgestellt auf]Holger Gerlach – alleine in Niedersachsen bei Holger Gerlach abgeholt hat. Die Reise der Angeklagten Zschäpe mit dem Zug nach Haste, Niedersachsen, und die Abholung des Reisepasses konnten anhand des verlesenen Browserverlaufs vom 14.06.2011, der Aussage der Polizeibeamten Britta Ko. [siehe 233. Verhandlungstag], Timo Ko., Pf., Kä. und der Aussage des Taxifahrers Patrick He. [siehe 225. Verhandlungstag], der ebenfalls ermittelt wurde, nachvollzogen werden. Demnach erfolgte am 14.06.2011 mit dem PC in der Frühlingsstraße eine Internetrecherche zur Bahnverbindung Zwickau-Haste für den 16.06. Nach Aussage der Zeugen Ko. und Kä. steht fest, dass der Taxifahrer He. bei seiner polizeilichen Befragung am 22.12.2011 die Angeklagte Beate Zschäpe als den Fahrgast identifizierte, den er am 16.06.2011 morgens von der Frühlingsstraße aus zum Bahnhof fuhr. An genau diesem Tag holte Holger Gerlach in Niedersachsen den Reisepass nach der Bekundung des Zeugen Timo Ko. und dessen in Niedersachsen angestellten Ermittlungen vom Passamt ab.

        Die Zeugin Pf. hat geschildert, dass den Ermittlungen zufolge während der Abwesenheit der Angeklagten Zschäpe am Abend des 16.06.2011 zweimal Anrufe von dem von ihr genutzten Mobiltelefon nach Zwickau festgestellt worden sind. Demnach hielt die Angeklagte Zschäpe während ihrer Abholung des Reisepasses Gerlach wieder engen Kontakt zur Restgruppe. Dass der Mitangeklagte Gerlach insoweit die Rolle der Angeklagten Zschäpe geschönt hat, ist wohl mit einem Versuch, das einzig noch lebende Mitglied der Gruppe weitergehend zu entlasten, zu erklären. An den im Übrigen durch weitere Beweismittel vielfach bestätigten konstanten Angaben des Holger Gerlach ändert diese punktuelle Beschönigung nichts. Belastungstendenzen gegenüber der Angeklagten Zschäpe können dem Mitangeklagten Holger Gerlach jedenfalls nicht vorgeworfen werden. Dass die Angeklagte Zschäpe selbst ihre Fahrt nach Niedersachsen in ihrer Teileinlassung komplett ausgespart hat, zeigt wieder ihre selektive Bereitschaft, sich mit belastendem Beweismaterial auseinanderzusetzen.

        Die Gruppe hat auch Systemchecks ausgeführt. Der Begriff Systemcheck stammt vom Mitangeklagten Gerlach und ist sehr treffend. Er bezeichnet schlagwortartig die Sicherungsmaßnahmen, die alle drei Mitglieder eingeführt hatten, um die Legitimationspapiere für Böhnhardt und Mundlos bestmöglich abzusichern. Eine solche Überprüfung findet sich bereits bei der Identität Fiedler. Auf dem Lebenslauf, zu dem ich bereits ausgeführt habe, hielten Böhnhardt und Zschäpe unter der Überschrift “Ich” bereits dessen persönlichen Lebensumstände und Kontaktpersonen fest. Nach der Aussage des Zeugen Bu. hat ihn Uwe Mundlos bis zuletzt regelmäßig kontaktiert, um aktuelle und authentische Auskünfte zu Lebensumständen der Legende Bu. zu erhalten. Damit Böhnhardt die Legende Holger Gerlach ab 2001 dauerhaft und sicher nutzen konnte, unterzogen ihn die Angeklagte Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos gemeinsam bereits ab dem Jahr 2001 fortlaufend regelmäßig jährlich wiederkehrende intensive Befragungen über seine persönlichen Verhältnisse. Der Mitangeklagte Holger Gerlach hat wiederholt und glaubhaft dargestellt, wie die drei Untergetauchten gemeinsam dazu die Besuche und auch die gemeinsame Zeit bei den Urlauben nutzten.

        Die Kosten und die Auslagen von Holger Gerlach für diese mehrtägigen Aufenthalte auf Campingplätzen beglich – und das ist wiederum aussagekräftig für ihre Rolle innerhalb der Gruppe – regelmäßig die Angeklagte Zschäpe. Sie sei bei diesen Kontrollen stets dabei gewesen. Dass tatsächlich auch im Jahr 2006 noch ein gemeinsamer Urlaub mit dem Mitangeklagten Gerlach stattfand, belegt eine gesicherte fotografische Aufnahme aus dem Urlaub 2006, die auch in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen wurde. Die Identifizierung hat die Sachverständige Elisabeth Pi. [siehe 303. Verhandlungstag] nachvollziehbar dargelegt.

        Greger: „Neben der sicheren Legendierung spielte die Bewaffnung eine ganz wichtige Rolle in der Gruppe.“ Die Angeklagte hat in ihrer Einlassung eingeräumt, dass Böhnhardt und Mundlos in Besitz zahlreicher Schusswaffen gewesen wären. Sie selbst habe damit nichts zu tun gehabt und habe selbst darauf gedrungen, dass die Waffen aufgeräumt worden seien. Die Beweisaufnahme zu dem Komplex Bewaffnung mittels der Einlassung des Mitangeklagten Holger Gerlach, der Aussagen der Zeugen Thilo Ho. [siehe 271. Verhandlungstag], Lutz Ha. [siehe 269. Verhandlungstag], Gerd So. [siehe 269. Verhandlungstag], Holger Sch. [siehe 77. Verhandlungstag], Frank Le. und Michael Menzel [siehe 52. Verhandlungstag], der Aussage des Zeugen Bu., bekundet vom Vernehmungsbeamten Vi., und den überzeugenden und auch nachvollziehbar dargestellten Ausführungen der Sachverständigen Eberhard Opitz [siehe 264. Verhandlungstag], Dr. Thomas Li. [siehe 263. Verhandlungstag], Ruprecht Nennstiel [siehe 83., 89. und 114. Verhandlungstag]und Leopold Pfoser [siehe 50. und 83. Verhandlungstag], des verlesenen Asservatenverzeichnisses vom 31.11.2011 mit der Aufstellung der Fundstücke, des verlesenen Gutachtens zur Sprengstoffuntersuchung des in der Frühlingsstraße aufgefundenen Sprengstoffes, des verlesenen Protokolls über die kriminaltechnische Tatortarbeit in Eisenach, des verlesenen Ermittlungsvermerks zur Waffensicherstellung in Eisenach, des verlesenen Vermerks zu Auffindung der Waffen in der Frühlingsstraße und auch die Inaugenscheinnahme der Waffen hat zur Bewaffnung der Gruppe ein etwas anderes Bild ergeben.

        Uwe Böhnhardt war bereits als Jugendlicher extrem waffenaffin und trug vor dem Untertauchten nach Aussagen von Zeugen, so etwa der Zeugen Kay St. [siehe 202., 219. und 225. Verhandlungstag] und Mike Ma. [siehe 193. Verhandlungstag], stets eine Waffe, ein Messer o.ä. bei sich. Auch die Angeklagte Zschäpe hatte sich bereits vor dem Untertauchen mit einer CO2-Pistole bewaffnet, was sie in ihrer Einlassung verschweigt. Nach der glaubhaften Aussage von Jana J. [siehe 93. und 107. Verhandlungstag]führte die Angeklagte Zschäpe die Waffe regelmäßig mit sich. Dass die Angeklagte über eine entsprechende Waffe verfügt und sie auch bei sich trug, ist eindeutig belegt. Eine Gaspistole wurde bereits bei einer polizeilichen Feststellung am 09.09.1996 sichergestellt. Eine weitere CO2-Pistole wurde über ein Jahr später in ihrer Wohnung sichergestellt. Dass sich die Angeklagte Zschäpe bereits eine geraume Zeit vor dem Untertauchen, wie von Holger Gerlach geschildert, und gestern auch ausführlich dargestellt, ernsthaft und ausdrücklich für einen Einsatz von Waffen im politischen Kampf ausgesprochen hat, verhehlt sie. Nachdem die drei untergetauchten Personen übereingekommen waren, auf Dauer im Untergrund zu leben und auch Anschläge zu begehen, verschaffte sich die Gruppe eine Vielzahl von Schusswaffen, Unmengen an Munition sowie auch Sprengstoff.

        Bereits kurz nach ihrem Untertauchen hatten sie zu dritt den Zeugen Jan Werner [siehe 150. Verhandlungstag]beauftragt, ihnen eine scharfe Waffe zu besorgen. Von der Waffensuche hatte der Zeuge Szczepanski [siehe 167. und 174. Verhandlungstag] im August und September 1998 erfahren und sie an seinen damaligen V-Mannführer weiterberichtet. Eine Differenzierung, zwischen Böhnhardt und Mundlos einerseits und der Angeklagten Zschäpe andererseits, fand damals in der Meldung nicht statt, obwohl die Hinweisgeber offensichtlich hinsichtlich eines geplanten Überfalls über Mitwisserkenntnisse verfügten. Auch der Mitangeklagte Ralf Wohlleben wurde nach dem Untertauchen, wie er selbst einräumt, nachhaltig angegangen, Schusswaffen zu besorgen. Dass alle drei untergetauchten Personen die Beschaffung von Waffen zu ihrem gemeinsamen Anliegen gemacht haben, zeigen die Umstände der Waffenlieferung Holger Gerlach.

        Der Mitangeklagte Holger Gerlach hat als Beschuldigter bereits frühzeitig, nämlich am 25.11.2011 und erneut am 01.12.2011 geschildert, wie es dazu kam. Die Zeugen Michael L. [siehe 19. Verhandlungstag], Horst Thomas Sch. und Dr. Gerwin Moldenhauer [siehe 20. und 256. Verhandlungstag] bekundeten seine damaligen Angaben. Die Aussage des Mitangeklagten Gerlach, mit der er sich frühzeitig selbst massiv mit Waffenlieferung an den NSU belastet hat, erweisen sich als konstant, nach anfänglichem Zögern widerspruchsfrei und als absolut glaubhaft. Der Transport der Waffe erfolgte im Jahr 2001 oder 2002. Der Transport der Waffe fand damit zu einem Zeitpunkt statt, als die drei bereits über die Waffe Ceska, die Waffe Bruni, und auch über die Tatwaffe Raubüberfall Edeka verfügt hatten. An der Übergabe der Schusswaffe war die Angeklagte Zschäpe nicht unmaßgeblich eingebunden. Holger Gerlach war damals eigens mit der Bahn nach Zwickau gereist. Die Angeklagte Zschäpe holte ihn am Bahnhof ab und geleitete ihn zu der Wohnung in der Polenzstraße. In der Wohnung wurde die die Waffe in Anwesenheit der Angeklagten Zschäpe ausgepackt und unter den Augen der Anwesenden durchgeladen. Die Angeklagte war keineswegs überrascht, im Gegenteil. Der Angeklagte Holger Gerlach erinnerte sich, dass es nicht zuletzt die Angeklagte Zschäpe war, die ihn ob seiner eigenen Aufregung wegen des Waffentransports besänftigt hat.

        Seine Angaben in den polizeilichen Beschuldigtenvernehmungen, die insbesondere vom Vernehmungsbeamten Sch. detailliert bezeugt wurde, hat der Mitangeklagte Holger Gerlach in der Hauptverhandlung noch einmal bestätigt. Seine Erinnerung, er habe die Drei in dieser Situation [angesichts]der Waffenübergabe angehalten, sich nicht anzumaßen, zu fünft die Welt zu retten, ist hinreichend aussagekräftig, auch in Bezug auf die Angeklagte Zschäpe und bedarf auch mit Blick auf die von ihr bestrittene Mitgliedschaft in der Vereinigung und dem politischen Hintergrund dieses Waffentransports keiner weiteren Deutung. Der Mitangeklagte Holger Gerlach hat unmissverständlich klargestellt, dass alle drei Personen von dem Waffentransport wussten und ihn erwarteten. Alle drei hätten ihn beschwichtigt und beruhigt. Zuletzt verfügte die Gruppe über 2,5 kg Schwarzpulver, beträchtliche Anzahl Munition sowie ein Arsenal scharfer Schusswaffen. Insgesamt wurden 20 Schusswaffen sichergestellt: zwei Vorderschaftrepetierflinten mit Pistolengriff, zwei Maschinenpistolen, 12 scharfe Pistolen und Revolver unterschiedlichen Kalibers, drei Schreckschusswaffen und ein Gewehr, dazu über 1600 Schuss Munition, Patronen und andere Munitionsteile.

        Zwölf Schusswaffen lagen zum Teil geladen und zugriffsbereit in der Wohnung in Zwickau, als die Angeklagte den Brand gelegt hat. Das ergab sich aus der Zeugenaussage des Brandermittlers Frank L., den in Augenschein genommenen Lichtbilder und den Ausführungen des Waffensachverständigen Nennstiel. Zwei scharfe Waffen lagen auf dem Fußboden, eine Schreckschusswaffe in dem offen stehenden Wandtresor. Mit der Einlassung der Angeklagten Zschäpe, die Waffen in der Wohnung hätten sie gestört und sie hätte sie immer aufgeräumt, ist dies nicht ganz in Einklang zu bringen. Denn Böhnhardt und Mundlos hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits seit geraumer Zeit zu einem Raubüberfall aufgemacht. Unter den Waffen in der Frühlingsstraße befand sich die Ceska. Auch die bei zwei Hinrichtungen weiter benutzte Waffe, die umgebaute Schreckschusswaffe Bruni, sowie die Tatwaffen zum Polizistenmord in Heilbronn im Jahr 2007 wurden in der Frühlingsstraße gefunden; daneben vier im Bau befindliche Schussapparate aus Metallrohren zum Abschießen von Munition. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Nennstiel wurden zudem 34 Hülsen, die aus der Tatwaffe Ceska verschossen worden sind, und eine Holzplatte mit Einschüssen in der Frühlingsstraße sichergestellt.

        Dass die Gruppe Waffen auch schon früher offen in der Wohnung deponiert hat, hat auch der Zeuge Bu. wahrgenommen. Bei einem Besuch in der Wohnung der drei hat er laut Bekundung des Zeugen Vi. eine Waffe in der Wohnung liegen sehen. Weitere acht Schusswaffen, darunter eine Maschinenpistole, zwei Vorderschaftrepetierflinten, die zwei in Heilbronn geraubten Polizeipistolen und einen Revolver, führten Böhnhardt und Mundlos laut Zeugen Lutz Ha. und Gerd So. im Wohnmobil Eisenach bei sich. Alleine die Anzahl der sichergestellten scharfen Waffen, die enorme Menge an Munition und Sprengstoff zeigt das Gefahrenpotential der Gruppe. Besorgniserregend ist jedoch ein weiterer Fund aus der Frühlingsstraße, zu dem die Zeugin Gabriele Q. bekundet hat. Die Gruppe hatte einen in einer Holzkiste abgetarnten Schussapparat konstruiert, in der die Maschinenpistole Pleter mit Schalldämpfer versteckt werden konnte. Die Apparatur war ausgestattet mit einer Laserzielvorrichtung, die es ermöglichen sollte, in der Öffentlichkeit und unbemerkt eine Salve von Schüssen abzugeben.

        Die Beschaffung der einzelnen Waffen, Munition und Sprengstoffe konnte nicht im Einzelnen nachvollzogen werden. Weitgehend aufgeklärt wurde der Weg der Schalldämpferwaffe Ceska, die von Ralf Wohlleben und Carsten Schultze geliefert wurde. Eine weitere Waffe, die jedoch nicht identifiziert werden konnte, wurden von dem Mitangeklagten Gerlach überbracht. Über das Computerspielgeschäft Power Games vom Zeugen J. erwarb Uwe Böhnhardt laut glaubhafter Angaben des Angeklagten Holger Gerlach wohl mehrere Waffen, u.a. im Jahr 2002 oder 2003 eine Pumpgun. Eine Kundenkarte der Angeklagte Zschäpe für genau dieses Geschäft mit der Aliaspersonalie Lisa Mohl wurde nach Aussage der Zeugin Alper in dem Zimmer der Angeklagten Zschäpe sichergestellt. An dieser Stelle legt der Vorsitzende Richter Götzl die Mittagspause bis 13:30 ein.

        Um 13:35 Uhr geht es weiter. OStAin Greger: „Hoher Senat, die Wohnung war für die Untergrundzelle von ausschlaggebender Bedeutung.“ Die Wohnung bot die Möglichkeit, sich unauffällig zurückzuziehen, die Taten vorzubereiten, ungestört an der Erstellung der Versionen der Bekennerbotschaften zu arbeiten, und die Logistik der Gruppe zu lagern. Wie wichtig die jeweilige Wohnung für die Gruppe war, erschließt sich daraus, dass ein Gruppenmitglied während der Taten in der Wohnung [verblieb und]diese sicherte. Die Aufgabe, in der jeweiligen Nachbarschaft der Wohnung eine unauffällige Fassade aufzubauen und aufrechtzuerhalten, hat die Angeklagte Zschäpe übernommen. Für die sichere Durchführung der Anschläge und auch der Raubüberfälle war eine vertrauensbildende Legende jeweils unerlässlich. Dazu hielt die Angeklagte Zschäpe einen unauffälligen Kontakt zu den Nachbarn. Sie erfand und verbreitete unverfängliche Geschichten. Sie ersann Alibis für Böhnhardt und Mundlos zur Abtarnung ihrer jeweiligen Abwesenheiten. Für sie galt es, die Abwesenheit der Männer im jeweiligen sozialen Umfeld im Bedarfsfall zu verschleiern oder auch plausibel zu erklären. Nachfragen und mögliche riskante Mutmaßungen der Nachbarn musste von vornherein der Boden entzogen werden.

        Der Angeklagten gelang dies auch. Sie überzeugte mit harmlosen Geschichten zu Beruf, Beziehung, Arbeitsplatz und Verdienst der Gruppenmitglieder. Die hatten bei Nachfragen stets unverfängliche Erklärungen parat. So verbreitete sie in der Nachbarschaft, bei Böhnhardt handelte es sich um ihren Freund, bei Mundlos um ihren Bruder, die arbeitsbedingt abwesend seien. Um die Verwirrung perfekt zu machen, glichen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos ihr äußeres Erscheinungsbild mit identischen Frisuren und Kapuzenshirts einander an, wie ein in Augenschein genommenes Video der Überwachungskamera Frühlingsstraße belegt.

        Hier einige Legenden der Angeklagten Zschäpe, wie sie von den Zeugen hier in der Hauptverhandlung bekundet wurden. Der Zeuge Olaf B. [siehe 27. Verhandlungstag]führte aus, einer der Männer sei der Freund der Angeklagten gewesen, der andere der Bruder. Die Angeklagte habe ihm mitgeteilt, sie würden Autos überführen, daher würden oft unterschiedliche Fahrzeuge vor dem Haus stehen. Die Rede sei auch von einer Computerfirma gewesen. Bei dem letzten Wohnmobil Eisenach, das vor der Tür stand, erläuterte die Angeklagte dem Zeugen Olaf B., die Männer müssten wieder ein Fahrzeug überführen. Die Zeugin Sindy Po. war eine Nachbarin in der Polenzstraße. Ihr erzählte die Angeklagte, ihr Freund sei selbstständig, dem Zeugen Schn. erzählte die Angeklagte, ihr Freund würde auswärts arbeiten. Der Zeugin Katrin F., einer Nachbarin in der Polenzstraße, erzählte die Angeklagte, ihr Freund würde gut verdienen in der Computerfirma des Vaters, beide Männer würden dort arbeiten. Dem Zeugen Martin F. [siehe 56. Verhandlungstag]erzählt sie, ihr Mann sei selbständig und würde beim Vater arbeiten. Dem Zeugen Armin Kr. [siehe 60. Verhandlungstag], Nachbar in der Frühlingsstraße, erzählte sie, die beiden Männer würden Autos überführen. Die Zeugen Ku., F. und H. gingen davon aus, die Männer arbeiteten auf Montage.

        Patrick Ku. [siehe 67. Verhandlungstag]erinnerte sich, dass der Freund der Angeklagten öfter im Keller gebastelt habe. Die Zeugin Ku. meinte, einer der Männer arbeitete in der Firma des Vaters. Der Zeugin Isabell St. [siehe 194. Verhandlungstag]gab die Angeklagte an, die Männer – Freund und Bruder – seien oft auf Montage. Die Zeugin Gabriele So. [siehe 186. Verhandlungstag]aus der Polenzstraße erinnerte sich, sie habe die zwei Männer Taschen in ein Wohnmobil einladen sehen. Die Angeklagte erklärte dies damit, die beiden Männer würden auf Montage fahren. Auch dem Zeugen Mario Ge. [siehe 68. Verhandlungstag] erzählte die Angeklagte Zschäpe, Böhnhardt sei mehrere Wochen auf Montage unterwegs. Dementsprechend – erinnerte sich der Zeuge Olaf B. [siehe 27. Verhandlungstag], weil die Angeklagte Zschäpe ihm gegenüber die angeblichen Überführungsfahrten durch die beiden Männer darlegte – waren auch die unterschiedlichen von Böhnhardt und Mundlos genutzten Fahrzeuge und die Abwesenheiten der beiden Männer plausibel dargelegt worden, daher sei auch nicht weiter nachgefragt worden. Böhnhardt und Mundlos ihrerseits vermieden absprachegemäß den persönlichen Kontakt zur Nachbarschaft. Entsprechendes bekundeten Beatrix Ja., Heike Ku., Olaf B. und Katrin F.

        Eine bezeichnende Episode für die Abtarnungsbemühungen bekundete die Zeugin Katrin F. Sie hatte ein leise geführtes Gespräch von Böhnhardt und Mundlos über Waffen und Erschießungen im Kelleraufgang mitbekommen. Ihr gegenüber gelang es der Angeklagten Zschäpe, dass die Zeugin anschließend nach einem Gespräch mit der Angeklagten davon ausging, dass sich das von ihr mitgehörte Gespräch der beiden Männer auf harmlose Computerspiele oder gar einen Schützenverein bezogen hätte. So wurde das Entdeckungsrisiko, das mit der riskanten Begehung der bundesweiten Straftaten der Gruppe und breitflächigen Ausspähung verbunden war, minimiert, und der Gruppe zugleich der erforderliche Spielraum für die Realisierung der langjährigen Anschlagsserie eröffnet.

        Greger: „Die gemeinsame Kasse der Gruppe und die Feststellungen in der Beweisaufnahme dazu.“
        Die Gruppe finanzierte sich durch die Begehung von bewaffneten Raubüberfällen. Der erste bekannte Überfall fand im Dezember 1998 statt. Insgesamt erbeutete die Gruppe etwa 609.000 Euro. Die Beute aus den Raubüberfällen wurde nicht anteilig aufgeteilt. Vielmehr wirtschaftete die Gruppe aus einer gemeinsamen Kasse. Auch die Begehung der Anschläge wurde aus dieser Kasse finanziert. Dass es eine gemeinsame Kasse gab, hat die Angeklagte Zschäpe eingeräumt. Dafür spricht auch die Durchmischung der am 04.11.2011 in der Frühlingsstraße und im Wohnmobil Eisenach sichergestellten Bargeldbeträge. Deren Herkunft konnte nach der Aussage der Zeugin Gabriele Q. teilweise anhand von Banderolen noch nachvollzogen werden. Insgesamt 112.000 € wurden im Wohnmobil sichergestellt. Dabei handelte es sich um die komplette Tatbeute aus dem kurz vorher begangenen Raubüberfall in Eisenach. Aber auch einen Betrag von 20.000 €, der aus einem Raubüberfall im Jahr 2007 stammte. In der Frühlingstrasse wurde ein Betrag von 1.715 Euro in bar sichergestellt. 390 € konnten einem Raubüberfall aus dem Jahr 2004 zugeordnet werden.

        Der Angeklagten Zschäpe kam innerhalb der Vereinigung eine maßgebliche Stellung bei der Verwaltung dieses Geldes zu. Sie hatte die Position, erhebliche Geldbeträge zuzuteilen und sich auch ein gehöriges Mitspracherecht bei den Ausgaben der Gruppenmitglieder herauszunehmen.
        Die Angeklagt Zschäpe verfügte zwar nicht über die alleinige Kassengewalt, jedoch wurden in auffällig hohem Maße Kosten, die der Gruppe entstanden, über die Jahre hinweg vornehmlich durch die Angeklagte Zschäpe beglichen. Und nach der Beweisaufnahme wurden vor allem hohe Summen durch die Angeklagte Zschäpe ausgezahlt. Der Mitangeklagte Holger Gerlach hat dargelegt, welche Zahlungen die Angeklagte Zschäpe für die Gruppe an ihn geleistet hat und welche Rolle ihr zukam. Seine Aussagen wurden über die Aussagen der Zeugen Horst Thomas Sch. und Michael L. in die Hauptverhandlung eingeführt und haben sich auch insoweit als stimmig, konstant und glaubhaft erwiesen. Neben den bereits dargestellten Zahlungen im Juni 2001 für Auslagen und die Rückzahlung eines Darlehens bezahlte die Angeklagte Zschäpe dem Mitangeklagten Gerlach bei dieser Gelegenheit, wie ich bereits dargestellt habe, die damals nicht unerhebliche Summe von 10.000 DM mit dem Auftrag, das Geld als Depot für den NSU zu verwalten.

        Auch die Kosten für die Beantragung des Führerscheins durch den Angeklagten Gerlach im Februar 2004 übernahm sie aus der gemeinsamen Kasse. Als die drei den Angeklagten Holger Gerlach Anfang 2011 baten, ihnen erneut einen Personalausweis auf ihre Personalien zur Verfügung zu stellen, beglich die Angeklagte Zschäpe wiederum die Kosten für den Fotografen und die Auslagen. Sie kam nach der Darstellung von Holger Gerlach regelmäßig allein für die Kosten des Urlaubs von Holger Gerlach und die Auslagen während des Urlaubs auf. Sie war in sämtliche relevanten finanziellen Transaktionen der Gruppe eingeweiht, denn sie informierte den Mitangeklagten Holger Gerlach, dass der Mitangeklagte Ralf Wohlleben von der Gruppe auch 10.000 DM erhalten habe. Während der gemeinsamen Urlaube mit Gerlach beglich die Angeklagte Zschäpe für die gesamte Gruppe die Rechnungen bei Einkäufen, Restaurantbesuchen oder Rundflügen.

        Anhaltspunkte dafür, dass die Angaben, des Mitangeklagten Holger Gerlach zu diesen Zahlungsvorgängen nicht belastbar wären, hat die Beweisaufnahme nicht erbracht. Das Verhältnis der drei untergetauchten Personen und die interne Rollenverteilung hat Holger Gerlach in der Entwicklung seit 1997 und jeweils konstant geschildert, wenngleich er zunächst versucht hat, die eigene Rolle herunterzuspielen. Der Mitangeklagte Holger Gerlach hat sich durchaus auch fähig gezeigt, innerhalb der Personengruppe zwischen den einzelnen Personen zu differenzieren. Korrekturen im Detail zeigen sein grundsätzliches Bemühen, zu den Geschehen wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Auch wenn sich der Angeklagte Gerlach einer konfrontativen Vernehmung verschlossen hat, tragen seine Angaben zu der Aufgabenverteilung
        [bzgl. der Geldverwaltung …]. Denn die Einlassung von Holger Gerlach wird durch weitere Beweismittel gestützt. Die Darstellung von Holger Gerlach korrespondiert nämlich 1:1 mit den Beobachtungen der Urlaubsbekanntschaften, die die drei Gruppenmitglieder in einem völlig anderen Rahmen erlebt haben.

        Auch diese Zeugen haben übereinstimmend von einer für sie bemerkenswerten finanziellen Kontrolle der Angeklagten Zschäpe berichtet. Während der gemeinsamen Urlaube trug demnach allein die Angeklagte Zschäpe nicht nur das Mobiltelefon, sondern auch die Kasse bei sich und bezahlte für Böhnhardt und Mundlos das Essen, die Getränke und deren sonstigen Wünsche. Beispielhaft angeführt hier einige Zitate der Urlaubsbekanntschaften: Die Zeugin Karin Mo. [siehe 60. Verhandlungstag]bekundetet: „Das Geld verwaltet hat die Liese, sie hatte das Geld und bezahlte, ob die Männer über Bargeld verfügten, kann ich nicht sagen. Uns wurde erzählt, dass die beiden Männer in die gemeinsame Kasse einzahlten und dass die Lise das Geld verwalten würde.“ Die Zeugin Juliane S. stellte es folgendermaßen dar: „Lise hatte ein großes Portemonnaie mit mehreren großen Scheinen. Sie hat immer bar bezahlt. Sie hat immer für alle drei bezahlt, an der Eisdiele, beim Einkaufen, im Restaurant. Bei den Männern habe ich kein mal gesehen, dass die mal gezahlt hätten. Es war klar, dass sie die Gruppenkasse hatte und das Geld für die drei verwaltet.“

        Caroline Re. [siehe 68. Verhandlungstag] bekundete, „es gab einen Gemeinschaftsgeldbeutel, den hatte Lise in Verwahrung, Lise hatte diese Kasse“. Und auch die Zeugin Britta Ka. [siehe 68. Verhandlungstag]bestätigt die gemeinsame Urlaubskasse. Die Zeugin Juliane S. erinnerte ein Gespräch über eine neue Surfausrüstung zwischen der Angeklagten Zschäpe und Max. Max, also Mundlos, wollte sie haben, Lise, also die Angeklagte, nicht.

        Dass die Angeklagte Zschäpe Unterstützer finanziell honoriert hat, bestätigt die Aussage von Max-Florian Bu. und [wird]bestätigt durch ein Asservat aus der Frühlingsstraße. Der Zeuge Bu. erinnerte sich, die drei Untergetauchten hätten ihm gegenüber auch einmal von einem Unterstützer in Zwickau gesprochen. Die Zeugin Q. hat zum Asservat 2.5.11 bekundet, nämlich zu der Buchungsbestätigung 15.6.2011 für Disneyreise der Familie Eminger. Wie bestimmend die Angeklagte Zschäpe in Geldangelegenheiten der Gruppe sein konnte, hat die Aussage des Zeugen Mario G. im Zusammenhang mit der Reparatur des Bootsmotors veranschaulicht. Ich hatte diese Aussage bereits kurz einmal dargestellt. Schließlich war die Angeklagte Zschäpe neben den bereits benannten Zahlungen für die Bahncards auch mit den Zahlungen bezüglich der Mietwohnungen befasst. Belegt wird das beispielhaft mit mehreren sichergestellten Einzahlungsnachweisen für die Mietzahlungen der Wohnungen Polenz- und Frühlingsstraße, die auf die Aliasnamen Lisa Pohl und Lisa Dienelt lauten.

        Dass Böhnhardt und Mundlos am 04.11.2011 eine erhebliche Summe an Bargeld im Wohnmobil in Eisenach mitführten, spricht nicht gegen die festgestellte Kassengewalt der Angeklagten Zschäpe. Der Umfang der im Wohnmobil mitgeführten Gegenstände – einschließlich der Bekenner-DVDs – spricht vielmehr dafür, dass Böhnhardt und Mundlos durchaus einkalkuliert hatten, dass eine Rückkehr in die Wohnung womöglich ausgeschlossen wäre, und dass sie entsprechende Vorkehrungen für eine Flucht getroffen hatten. Die Kassengewalt der Angeklagte Zschäpe, wie sie in der Beweisaufnahme festgestellt wurde, lässt einen belastbaren Rückschluss auf Position in der Gruppe zu. Denn erfahrungsgemäß kommt einer Person, die innerhalb einer Bande die gemeinsame Kasse verwaltet, und ein Mitspracherecht bei Anschaffungen der anderen Gruppenmitglieder hat, obwohl sie bei den Raubzügen selbst nicht mitwirkt, eine ganz herausragende Stellung in der Gruppenhierarchie zu. Zudem finanzierte die Angeklagte mittelbar die Taten auch mit. Als fernliegend hat sich erneut die Darstellung der Angeklagten Zschäpe erwiesen, sie habe sich in der Gruppe in einer Außenseiterrolle befunden.

        Greger: „Wie lief die Anmietung von den Fahrzeugen durch die Gruppe ab?“ Die Gruppe verwendete überwiegend Mietfahrzeuge für die Anschläge, die Überfälle und auch für die Ausspähungen. Eine Vielzahl von Anmietungen konnte in den Ermittlungen aufgeklärt werden. Zu diesen Mietvorgängen und den angemieteten Fahrzeugen bekundeten die Zeugen Q., Michael Mo. [siehe 197. und 284. Verhandlungstag], die Zeugen Michele Ar. [siehe 217. Verhandlungstag], Hoffmann und Timo Ko. Zudem wurden die sichergestellten 64 Belege zum Teil mit Mietverträgen und Rechnungen verlesen.Der Zeuge Michael Mo. stellte die Anmietungszeiträume den Taten gegenüber. Danach sind 15 Mietzeiten insgesamt 17 Taten zuzuordnen. Der Zeuge Udo Vo. [siehe 44. Verhandlungstag] berichtete, insgesamt seien 65 Anmietungen bei der Firma Caravan H., Zwickau, M. St., der Fa. B. in Chemnitz und bei der Fa. K. festgestellt worden. Die Rechnungen dazu wurden zum Teil im Brandschutt der Frühlingsstraße und im Wohnmobil in Eisenach sichergestellt. Zum Teil waren die Unterlagen auch bei den Vermieterfirmen noch vorhanden.

        Drei tatrelevante Mietverträge hat der Andre Eminger abgeschlossen. Ab Februar 2004 lauten sämtliche Anmietungen der Gruppe auf die Personalien Holger Gerlach. Uwe Böhnhardt, der unter diesen Personalien die Anmietungen, vornahm, wies sich mit dem Führerschein und dem Reisepass Holger Gerlach bei den Vermieterfirmen aus. Zudem gab er die Mobilfunknummern an, die ihm die Angeklagte Zschäpe besorgt hatte. Für die Anmietungen bei der Firma H. bekundeten Ingeborg Christine H. [siehe 88. Verhandlungstag] und Alexander H. [siehe 54. Verhandlungstag], dass bei der Abholung der Fahrzeuge stets und ausnahmslos der Führerschein vorgelegt werden musste und dass auch bei jeder Anmietung der Ausweis kontrolliert wurde. Mehrmals begleitete die Angeklagte Zschäpe den Uwe Böhnhardt bei der Anmietung von Fahrzeugen. Ein Umstand, den die Angeklagte weitgehend verschweigt. Der Zeuge Maik S. [siehe 48. Verhandlungstag]identifizierte Uwe Böhnhardt als Anmieter und die Angeklagte Zschäpe als weibliche Begleiterin, die, so schätzt er, etwa fünf Mal mit anwesend gewesen sei.

        Zumindest für die Anmietung des zuletzt genutzten Wohnmobils konnte nachvollzogen werden, wie die Anmietung ablief und welche Rolle die Angeklagte Zschäpe bei der Mobilität für den Anschein der Normalität spielte. Bei dieser letzten Anmietung am 25.10.2011 bei der Firma K. gab sich Uwe Böhnhardt dem Vermieter gegenüber als Holger Gerlach aus. Auch hier diente ihm der Führerschein von Holger Gerlach und der auf Holger Gerlach 2011 ausgestellte und – wie wir jetzt wissen – von der Angeklagten Zschäpe in Hannover abgeholte Reisepass als Identifizierung. Die Angeklagte Zschäpe begleitete ihn und spielte ihre Rolle. Dass sie mit vor Ort war, räumt sie auch ein. Einen zusätzlichen Beleg für die Begleitung stellt eine von den Zeugen Stefan Ko., Hoffmann und Udo Ja. [siehe 116. Verhandlungstag]bekundete eine SMS von Susan Eminger vom 25.10.2011 dar. Die Angeklagte Zschäpe wurde zudem von der Zeugin Michele Ar. identifiziert. Wie die Zeugin Ar. erinnerte, gaben Böhnhardt und die Angeklagte Zschäpe bei der Anmietung vor, das Fahrzeug ganz harmlos für eine Urlaubsreise nutzen zu wollen. Greger: „Ich würde jetzt eine Pause machen.“ Götzl unterbricht bis 14:25 Uhr.

        Um 14:28 Uhr wird fortgesetzt. Götzl: „Wir würden dann heute zum letzten Block kommen und dann morgen fortsetzen.“ OStAin Greger: „Hoher Senat, die Taten, die die Gruppe verübt hat, wurden nicht plötzlich, zufällig, unvorbereitet vorgenommen.“ Die Taten wurden sehr gut vorbereitet und die Gruppe hat umfangreiche Ausspähmaßnahmen über die Jahre hinweg durchgezogen. Die Gruppe hat mit ihren Straftaten jahrelang die Bevölkerung terrorisiert. Dass dabei jeder in ihren Fokus geraten konnte, zeigt das sichergestellte Ausspähmaterial. Institutionen, politische Funktionsträger und potentielle Anschlags- und Überfallziele hat die Gruppe bundesweit ausgespäht und dann katalogisiert. Die so zusammengetragene Datensammlung umfasst politische, religiöse und gesellschaftliche Einrichtungen. Ein besonderes Augenmerk hat die Gruppe auf türkische und islamische Institutionen und auch Asyleinrichtungen gerichtet.

        Zuletzt verfügte die Gruppe über einen riesigen Datenbestand von etwa 90.000 Datensätzen und eine Sammlung von über 10.000 Namen und Objekten. Zu den Inhalten und dem Umfang der Datenträger, der Papierausdrucke der Karten und Notizen hat der Zeuge Jürgen He. [siehe 222. Verhandlungstag] umfassend bekundet. Die nachfolgenden Feststellungen beruhen zudem auf den Aussagen der Zeugen Jürgen Kl. [siehe 244. Verhandlungstag], Roman Gl. [siehe 46. und 239. Verhandlungstag], Markus Gr. [siehe 245. Verhandlungstag], David Ka. [siehe 245. Verhandlungstag], Jeanette Pf., Ellen Bu. [siehe 88. und 239. Verhandlungstag], Christian Böhme [siehe 32. und 251. Verhandlungstag], Lars Ka. [siehe 241. Verhandlungstag], Maria Us. [siehe 244. Verhandlungstag] und Gerhard Ze. [siehe 170. und 215. Verhandlungstag], die sich während der Ermittlungen mit dem umfangreich asservierten Datenbestand und Kartenmaterial und deren Tatbezügen befasst haben, sowie auf dem Augenschein des Kartenmaterials, der Fotos und der sichergestellten Schriftstücke in der Hauptverhandlung. Zudem wurden Sicherstellungsverzeichnis und einige Dokumente auch verlesen.

        Die Gruppe hatte mindestens 28 Adresslisten elektronisch erstellt. Die Listen wurden auf mehreren Datenträgern festgestellt. Auf der EDV 22 finden sich die Datenbanken zu den Tatortstätten München, Nürnberg und Dortmund. Die elektronischen Dateien tragen bezeichnende Namen wie Verzeichnis „Killer“, „Datenbank Aktion wichtig”, „Asyl“, oder „Ausländer“. Alle elektronischen Dateien sind unverschlüsselt abgespeichert. Aufgrund der Wohnverhältnisse und der gemeinsamen Computernutzung ist davon auszugehen, dass sie für alle Wohnmitglieder frei zugänglich waren. Eine weitere Adresssammlung in Papierform wurde im sogenannten Katzenzimmer, in dem die der Angeklagten Zschäpe gehörenden Katzen untergebracht waren, sichergestellt, bezeichnet als das Telefonbuch für Deutschland. Es handelt sich dabei um 18 Papierausdrucke mit handschriftlichen Ergänzungen.

        Auch mithilfe von Routenplanern aus dem Internet erstellte die Gruppe Adresssammlungen. Daneben wurden Skizzen und Fotos zu ausgespähten Objekten in der Wohnung sichergestellt. Die Lage von wichtigen Adressen markierten die Mitglieder in Stadtplänen. Insgesamt wurden überwiegend im Flur der Wohnung, aber auch im Wohnzimmer, Pläne zu 14 Städten sichergestellt, die 191 Kennzeichnungen tragen. Die Sterne, Farben, Abkürzungen und andere Markierungen konnten nicht vollständig entschlüsselt werden. Welche Aspekte den Tätern aber grundsätzlich wichtig erschienen, zeigen Zusätze wie „Problem: Tankstelle nebenan Türke aus Tankstelle geht in jeder freien Minute zu Reden rüber, Imbiß mit Vorraum”, „Asylheim, Tür offen ohne Schloß, Keller zugänglich”, „Kaffee wie in Köln, Straße wirkt auch etwa so“. Wie die Ausspähung späterer Opfer der Gruppe ablief, konnte anhand des Ausspähmaterials zu Nürnberg, München, Dortmund und Kassel nachvollzogen werden.

        Der Zeuge Roman Gl. hat das Material bzgl. dieser Tatorte ausgewertet und dazu bekundet: Wie die Ausspähung eines potentiellen Anschlagsziels erfolgte, belegen sichergestellte Fotos aus Stuttgart. Die jeweils festgestellten Zeitstempel und Druckdaten, zu denen die Zeugen auch bekundet haben, haben sich nach Abgleich mit weiteren Daten als durchwegs stimmig erwiesen. So bereitete der NSU die Ermordung von İsmail Yaşar in Nürnberg am 09.06.2005 sorgfältig vor. Im elektronischen Datenbestand der Gruppe findet sich eine Karte von Nürnberg mit markierten Zieladressen. Sie wurde zwei Wochen vor der Tat am 23.05.2005 am PC erstellt und im Verzeichnis „Killer“ im Ordner Datenbank „Aktion wichtig“ gespeichert. Am 26.05.2005 – also drei Tage später – druckten sie eine Adressliste mit sechs Zieladressen in Nürnberg und eine Karte aus, in der die Adressen markiert sind. Zu den Adressen sind persönliche Beobachtungen vermerkt. Eine siebte Adresse bezeichnet die Scharrerstraße neben dem Postimbiss. Die entsprechenden Markierungen in der Karte wurde handschriftlich ergänzt. Diese Adresse bezeichnet den späteren Tatort.

        In einer brandbeschädigten Straßenkarte von München sind insgesamt 16 Örtlichkeiten gekennzeichnet, darunter einige unter Angabe einer Nummer. Die nummerierten Einträge korrespondieren mit entsprechenden Daten in den elektronischen Adresslisten. In der Frühlingsstraße gefundene Routenplanerausdrucke belegen einen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen Erstellung des Ausspähmaterials und dem Mord an Theodoros Boulgarides in München am 15.06.2005. Am 05.06.2005 – also zehn Tage vor der Tat – druckten die Mitglieder des NSU eine computererstellte Adressliste mit […] aus. Die Adressen markierten sie in einer am selben Tag erstellten Übersichtskarte sowie sechs Detailkarten mit Sternen. Die Detailkarte S6 wurde am 12.06.2005, also drei Tage vor der Tat ausgedruckt. Die Adressliste wurde von Böhnhardt und Mundlos mit Kommentaren wie Hinterhof, sehr gute Lage, Zugang im Garten, komplett türkisches Eckhaus, Döner, Änderungsschneiderei versehen, was die intensiven Beobachtungen vor Ort belegt. Auch auf den Karten sind Kennzeichnungen und handschriftliche Eintragungen vermerkt. Am 13.06.2005 mieteten sie ein Wohnmobil an und begaben sich auf den Weg.

        Auch auf die Begehung des Mordes in Dortmund am 04.04.2006 bereitete sich der NSU langfristig und intensiv – nach der Beweisaufnahme bereits im September des Vorjahres – vor. Laut einer sichergestellten und verlesenen Rechnung mietete Böhnhardt am 19.09.2005 unter dem Namen Holger Gerlach bei der Firma Caravan-Vertriebe H. ein Wohnmobil bis zum 22.09.2005 an. Eine im Brandschutt in der Frühlingsstraße gefundene Adressliste mit Druckdatum 22.09.2005, also dem letzten Tag der Anmietung, wurde mit einem Routenplanerprogramm erstellt und führt sechs Anschriften in Dortmund auf, mit genauen Beobachtungen vor Ort in handschriftlichen Anmerkungen wie “sehr gutes Objekt, guter Sichtschutz, Person gut, aber alt, über 60“ oder „gutes Objekt und geeigneter Inhaber“. Der Verfasser der Anmerkungen ist nach dem Vergleichsgutachten, bezeugt durch die Zeugin Jeanette Pf., Uwe Mundlos. Die Anschriften wurden auf einem ebenfalls im Brandschutt aufgefundenen Ausdruck ebenfalls mit Druckdatum 22.09.2005 übertragen. Des Weiteren wurde eine gedruckte Detailkarte von Dortmund, wo später der Mord stattfand, sichergestellt. Sie trägt die handschriftliche Anmerkung „Wohngebiet wie Mühlheim Köln“, das Druckdatum selbst ist nicht lesbar.

        Eine im Brandschutt sichergestellt Postkarte lässt Rückschlüsse während der Ausspähungen zu. Die Karte und weitere Ausspähunterlagen zu Dortmund wurden in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen. Nach Aussage der Zeugin Pf. trägt die Karte den Stempel 21.09.2005, Briefzentrum 44 Dortmund, und ist an M. Dienelt, Polenzstraße 2 in Zwickau, adressiert. Der kryptische Text lautet “Viele liebe Grüße / das Wetter ist schön / Tschüß”. Zu seinem Aufenthaltsort verhält sich der Verfasser nicht, was den Schluss zulässt, dass der Empfänger den Aufenthaltsort sehr wohl kannte. Nach dem Ergebnis eines Schriftvergleichs, zu dem die Zeugin Pf. bekundet hat, ist Uwe Böhnhardt mit hoher Wahrscheinlichkeit der Verfasser.

        Demnach ergibt sich aufgrund dieser Beweismittel folgender Ablauf: Böhnhardt und Mundlos befanden sich bis mindestens 21.09.2005 zur Ausspähung in Dortmund, die Angeklagte Zschäpe sicherte die Wohnung. Die Postkarte sendeten die beiden Uwes, um die Angeklagte von dem guten Verlauf zu unterrichten. Bereits am Folgetag waren Böhnhardt und Mundlos zuhause, druckten die Unterlagen aus und Mundlos vermerkte darauf ihre Beobachtungen. Unmittelbar vor dem Tattag zwischen dem 28.03. und 03.04.2006 druckten die Täter vier weitere Karten von Dortmund aus. Mehrere in den Stadtplänen gekennzeichnete Adressen liegen nur wenige hundert Meter vom Tatort entfernt. Am letzten Tag ihrer büromäßigen Abklärung möglicher Anschlagsziele mieteten sie ein Fahrzeug, mit dem sie nach Dortmund fuhren.

        Hinsichtlich des Mordes in Kassel am 6.4.2006 lassen sich ebenfalls umfangreiche Ausspähaktivitäten des NSU nachvollziehen. In einem im Flur sichergestellten Stadtplan sind sieben türkische und islamische Stellen markiert. Eine Markierung ist der Holländischen Straße, dem späteren Tatort, zuzuordnen. Sie trägt den Zusatz “Ali” und “2012”. Laut Adressliste handelt es sich dabei um die Adresse des Verbands des islamischen Kulturzentren e.V. Am 02.04.2006, also vier Tage vor der Tat, erstellten die Mitglieder des NSU mit einem Routenplaner eine Übersichtskarte von Kassel und markierten türkische und islamische Einrichtungen und Adressen von Politikern. Einen Tag später, am 03.04.2006, druckten sie eine Adressliste aus und übertrugen die markierten Anschriften. Ebenfalls an diesem Tag, dem 03.04., erstellten sie noch sechs Detailkarten von Kasseler Stadtteilen, übertrugen auch hier die Markierungen und ergänzten zusätzliche Anmerkungen. Vom Internetcafé in der Holländischen Straße fertigten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos handschriftliche Skizze des Innenraums mit Anmerkungen und vermerkten darauf die Adresse “Hollästr. 82”. Nach der Aussage des Zeugen Rainer Gr. [siehe 42. Verhandlungstag]hatte Uwe Mundlos sogar die Funkfrequenzen des Sicherheitsbereichs in Hessen notiert und auf der Notiz zur Anschlagsörtlichkeit festgehalten. Wie eine Auskundschaftung eines türkischen Lebensmittelgeschäftes in Stuttgart ablief, belegen die Lichtbilder, die nach Auskunft des Zeugen Le. auf einer CD aufgefunden worden sind. Sie stammen von Juni 2003 und zeigen Böhnhardt mit einem Fahrrad, die die Geschäftsfront des Ladenlokales und eines Restaurants zeigen. Auch diese Lichtbilder wurden in Augenschein genommen.

        Den Banküberfällen lag eine ähnlich gründliche Planung zu Grunde. Auch hier orientierten sich die Täter im Vorfeld der Überfälle an ihren Adresslisten. Sichergestellt wurde im Katzenzimmer eine Liste mit 12 Adressen von Banken in Stralsund. In Stadtplänen von Arnstadt, Altenburg, Erfurt, Eisenach und Weimar markierten sie die Lage der Geldinstitute. Die entsprechenden Asservate wurden im Wohnmobil sichergestellt. Auf der Rückseite des Asservats 1.4.199.0 befindet sich die handschriftliche Anmerkung “Arnstadt Topgebäude” und eine detaillierte Skizze der Sparkasse Arnstadt Ilmenau, die am 07.09.2011 überfallen wurde. Das Asservat 1.4.200.0 weist auf der Rückseite unter der Bezeichnung Eisenbach Neubaugebiet eine Skizze des Tatorts in Eisenach auf. Weitere Skizzen von Banken finden sich auf einem Plan von Eisenach und auf einem Geldrollenpapier.

        Zur Sicherung der Flucht setzten Böhnhardt und Mundlos vor Ort einen tragbaren Funkfrequenzscanner ein und hörten den Polizeifunk mit. Ein entsprechender Suchlaufempfänger wurde im Wohnmobil sichergestellt. Das zuletzt angemietete Wohnmobil statteten Böhnhardt und Mundlos zusätzlich mit einer Kamera aus. Ihre Fluchtwege bereiteten die Täter ebenfalls gründlich vor, markierten sie auf Stadtplänen, so etwa dem Stadtplan Chemnitz. Bei dieser Vorbereitung achteten sie darauf, die Vorteile der von ihnen verwendeten Zweiräder gezielt zu nutzen, indem sie – das sieht man auf der Markierung – in ihrem Fluchtweg Engstellen und Wege einbezogen, die für Autos unpassierbar sind. Im Katzenzimmer sichergestellte Ausdrucke belegen zudem nach der Aussage des Zeugen Tu. eine umfangreiche Ausforschung von Banken im Raum Stralsund während des Urlaubs auf dem Campingplatz Grömitz vom 17.07. bis 16.08.2006.

        Das Ineinandergreifen aller Mitglieder zeigt nach den Zeugen Stefanus Er. und Andreas Ma. [siehe 126., 198. und 210. Verhandlungstag] und nach dem verlesenen Browserverlauf und einem verlesenen Mietvertrag beispielhaft die Ausspähung der Geldinstitute Arnstadt und Eisenach. Danach erfolgt am 21.08.2011 eine Internetrecherche vom Rechner der Gruppe, der im Zimmer der Angeklagten stand, nach Campingplätzen Eisenach. Anschließend findet sich eine Buchung für zwei Personen unter dem Namen Holger Gerlach auf dem Campingplatz Paulfeld in Leinatal vom 22. bis 25.08.2011. Vom 21. bis 26.08.2011 hat Uwe Böhnhardt unter dem Alias Gerlach und mittels des Führerscheins Holger Gerlach bei der Autovermietung Zwickau ein VW T5 angemietet. Als mobile Erreichbarkeit hat dieser [0151-Nummer] beschafft über Sandy Ne. vermerkt. Damit also eine Handynummer, die die Angeklagte Zschäpe für die Gruppe beschafft hat. Während des Aufenthalts auf dem Campingplatz [war laut]dem Zeugen Er. das Handy, das von Angeklagten genutzt worden ist, und auch am 04.11.2011 von ihr mitgeführt war, in der Funkzelle des Campingplatzes eingebucht.

        Einen Nachweis, dass die Angeklagte Zschäpe bei den tatrelevanten Ausspähungen selbst mit anwesend war, hat die Beweisaufnahme nicht erbracht. Nach der Aussage des Zeugen Frank Gr. [siehe 317. und 326. Verhandlungstag]ist zwar davon auszugehen, dass diese im Mai 2000 Böhnhardt und Mundlos begleitet hat, als diese sich in der Nähe der jüdischen Synagoge in der Rykestraße in Berlin aufhielten. Ein entsprechender Aufenthalt in Berlin in dem Zeitraum wird von der Angeklagten selbst auch nicht in Abrede gestellt. Nach der Schilderung des Zeugen Gr. war die Angeklagte Zschäpe jedoch damals von ihrer äußeren Erscheinung derart auffällig, dass er sie als uniformierter Wachmann anstarrte und die Angeklagte das auch bemerkt hat. Es ist davon auszugehen, dass nicht zuletzt auch wegen genau dieser optischen Auffälligkeit der Angeklagten Zschäpe die Gruppe davon Abstand genommen hat, zu dritt Ausspähungen oder Anschläge vorzunehmen. Dem entspricht, dass die handschriftlichen Anmerkungen auf dem Ausspähmaterial nach den Schriftgutachten, soweit möglich, Böhnhardt und Mundlos zuzuordnen sind. Die Angeklagte hatte währenddessen die Abwesenheiten von Böhnhardt und Mundlos zu verschleiern.

        Auf Grund des Zeitablaufs war er nicht möglich, die sogenannte Stallwache, also die Tarnung der Abwesenheit von Böhnhardt und Mundlos und die Sicherung der Wohnung für jeden Fall zu belegen. Die Beweisaufnahme hat jedoch einen derartigen Innendienst der Angeklagten Zschäpe für den Anschlag in München, für den Anschlag in der Keupstraße, für den Raub in Arnstadt, für den Überfall in Eisenach, für die Ausspähung Arnstadt und Eisenach und für die Ausspähung in Dortmund belegt. Ihr Vorgehen im Zusammenhang mit dem Banküberfall in Eisenach ist auch insoweit aussagekräftig, als die Angeklagte in diesem Fall ohne Zögern die fest vereinbarte Vernichtung des gemeinsamen Unterschlupfes umgesetzt hat. Ihr Telefonat nach München in zeitlichem Zusammenhang mit der Ermordung von Theodoros Boulgarides belegt, dass die Angeklagte Zschäpe im Vorfeld der Straftaten von deren anstehender Begehung unterrichtet war und mit Böhnhardt und Mundlos während der Tatbegehung Kontakt aufnehmen konnte.

        Nach den Bekundungen der Zeugen Thomas Bl. [siehe 50. Verhandlungstag], Stahl und Christian Dressler [siehe 46. Verhandlungstag]wurde im Brandschutt in der Frühlingsstraße ein Zettel mit der Rufnummer [0162-Nummer] und dem von Uwe Mundlos handschriftlich angebrachten Notiz “Aktion” aufgefunden. In diese Notiz diente ersichtlich dem Zweck, die tatbezogene Erreichbarkeit bedeutsame Telefonnummer während deren Abwesenheit bei Anschlägen zu geben und der Angeklagten Zschäpe auf diese Weise eine Einflussnahme auf die Einzelnen Taten zu ermöglichen. Von der Möglichkeit machte die Angeklagte Zschäpe auch Gebrauch, als sie die beiden vier Stunden vor der Tat aus der Telefonzelle in unmittelbarer Nähe der genutzten Wohnung in Zwickau unter der bezeichneten Mobilfunknummer anrief. Aus der handschriftlichen Notiz “Aktion” folgt auch das Wissen der Angeklagten um den Tötungszweck der Abwesenheit der Männer. Denn die Gruppe nutzte den Begriff „Aktion“ als Synonym für Mordanschläge.

        Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass die Mitglieder des NSU das im Zusammenhang mit den Selbstbezichtigungen, das bei der Ermordung von Michèle Kiesewetter entstandene Datenmaterial unter dem Dateinamen „Aktion Polizeipistole“ [abspeicherten]. Der Begriff fand auch im Bekennervideo selbst Verwendung, wo von „Aktion Dönerspieß“ die Rede ist. Des Weiteren findet sich die Begrifflichkeit als Bezeichnung für die Datenbank mit Ausspähnotizen. Bei ihrem Anruf in München kommt hinzu, dass die Angeklagte Zschäpe bewusst eine Telefonzelle nutzte, um eine Rückverfolgung zu verhindern. Der Umstand, dass die mobile Erreichbarkeit von Böhnhardt und Mundlos auf dem sichergestellten Notizzettel mit dem Zusatz „Aktion“ versehen war, widerlegt somit eindeutig die Einlassung der Angeklagten Zschäpe, sie habe steht erst im Nachhinein von den Anschlägen erfahren. Greger: „Ich wäre jetzt mit diesem Part durch und hätte jetzt noch etwa 20 Seiten, das ist wiederum ein geschlossener Komplex.“ Götzl: „Dann unterbrechen wir für heute und setzen morgen fort.“ Der Verhandlungstag endet um 15:01 Uhr.

        Einschätzung des Blogs “NSU-Nebenklage”

          Der Beitrag Protokoll 376. Verhandlungstag – 26. Juli 2017 erschien zuerst auf NSU Watch.

          Protokoll 367. Verhandlungstag – 31. Mai 2017

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          An diesem Verhandlungstag verliest zunächst der Verteidiger von Beate Zschäpe, RA Heer, eine Erwiderung auf die Stellungnahme des GBA zum Antrag von Sturm, Stahl und Heer auf Einholung eines weiteren Sachverständigen-Gutachtens. Danach stellt die Verteidigung von Ralf Wohlleben einen Befangenheitsantrag gegen den gesamten Senat.

          Der Verhandlungstag beginnt heute erst um 13:12 Uhr. Nach der Präsenzfeststellung möchte Wohlleben-Verteidigerin RAin Schneiders das Wort für einen unaufschiebbaren Antrag. Götzl: „Frau Rechtsanwältin Schneiders, bevor wir zu den Anträgen kommen, Sie erleiden dadurch keinen Rechtsverlust: Sollen denn heute noch Stellungnahmen abgegeben werden?“ Zschäpe-Verteidiger RA Heer verliest eine Erwiderung auf die Stellungnahme des GBA zum Antrag von Sturm, Stahl und Heer auf Einholung eines weiteren SV-Gutachtens: Der GBA weist zurecht darauf hin, dass sich die Entscheidung, ob ein weiterer Sachverständiger zu bestellen ist, an § 83 Absatz 1 StPO zu orientieren hat. Demnach kann der Richter eine neue Begutachtung durch dieselben oder durch andere Sachverständige anordnen, wenn er das Gutachten für ungenügend erachtet. Soweit das Gutachten nicht ungeeignet ist, so dass zwingend eine neue Begutachtung anzuordnen ist, steht die Entscheidung, ob eine wiederholte Begutachtung zu erfolgen hat, im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Ungenügend ist ein Gutachten dann, wenn es dem Richter nicht die erforderliche Sachkunde vermittelt, nicht aber schon, wenn es den Richter nicht überzeugt, denn auch ein nicht überzeugendes Gutachten kann dem Richter – allerdings nur in Ausnahmefällen – die erforderliche Sachkunde vermitteln.

          Die Einholung eines neuen Gutachtens wird daher regelmäßig bei einem unter Mängeln leidenden
          Gutachten geboten sein; zwingend ist sie unter den Voraussetzungen des § 244 Absatz 4 Satz 2 Halbsatz 2 StPO. Der Antrag auf Einholung eines weiteren SV-Gutachtens basiert auf dem methodenkritischen Gutachten, das Prof. Dr. Faustmann am 360. Hauptverhandlungstag erstattet hatte und zu dem er am 362. Hauptverhandlungstag durch den Vorsitzenden und weitere Verfahrensbeteiligte befragt worden war. Prof. Faustmann wurde anschließend entlassen. Auf Ladung durch den Vorsitzenden war Prof. Dr. Saß an beiden Terminen zugegen, so dass er die Methodenkritik unmittelbar zur Kenntnis nehmen konnte. Auf erneute Ladung des Gerichts gab Prof. Saß am 366. Hauptverhandlungstag eine Stellungnahme u.a. zu dem Gutachten von Prof. Faustmann ab und verteidigte sein Gutachten gegen die methodenkritische Kritik. Im Rahmen der sich anschließenden Vernehmung bat der Vorsitzende den SV Prof. Saß ausschließlich, Angaben zu seiner Ausbildung und seiner Tätigkeit als forensischer Psychiater zu machen und die Anzahl der von ihm gefertigten Gutachten abzuschätzen. Fragen im Hinblick auf das methodische Vorgehen stellte der Vorsitzende nicht; die übrigen Senatsmitglieder übten ihr Fragerecht nicht aus. Dies lässt nur den Schluss zu, dass der Senat insgesamt das Gutachten nicht oder jedenfalls nicht mehr als mängelbehaftet und damit nicht als ungenügend erachtet. Unserem Antrag wird daher auf derzeitiger Grundlage der Erfolg versagt sein.

          Nachdem der Vorsitzende Prof. Saß aufgefordert hatte, sein Gutachten gerade im Hinblick auf die Ausführungen von Prof. Faustmann zu ergänzen, muss es uns, vor einer Entscheidung des Senats, ermöglicht werden, Prof. Faustmann mit einer Ergänzung seines methodenkritischen Gutachtens zu beauftragen und mittels derer, entweder in schriftlicher Form oder mündlicher Erstattung in der Hauptverhandlung, den Antrag auf Einholung eines weiteren SV-Gutachtens zusätzlich zu substantiieren, was allerdings den Abschluss der Befragung von Prof. Saß voraussetzt. Da der Vorsitzende der Anregung, Prof. Faustmann zu der weiteren Anhörung von Prof. Saß zu laden, nicht nachgekommen war und unseren hilfsweise gestellten Antrag, die weitere Anhörung von Prof. Saß an einem Tag durchzuführen, an dem Prof. Faustmann verfügbar ist und von uns geladen werden könnte, abgelehnt hatte, umgekehrt aber sicherstellte, dass Prof. Saß bei der Anhörung von Prof. Faustmann zugegen sein konnte, ist uns eine angemessene Zeit für die Vermittlung der Anknüpfungstatsachen einzuräumen. Eine Erwiderung auf die Ausführungen des GBA in der Sache bleibt vorbehalten.

          Danach sagt Heer in Richtung Götzl: „Ich hätte auch noch etwas weiteres. Die Frage ist, ob Sie dazu erst Stellungnahmen einholen möchten?“ Götzl: „Ich habe nicht verstanden, worum es im Weiteren geht.“ Heer: „Um den Beweisantrag der Verteidigung Wohlleben: Frau Sturm, Herr Stahl und ich schließen uns dem von der Verteidigung Wohlleben gestellten Beweisantrag auf Vernehmung eines psychiatrischen Sachverständigen an, zum Beweis der Tatsache, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos jeweils an einer schweren Dissozialen Persönlichkeitsstörung ICD-10 F60.2 litten.“ [Heer, Stahl, Sturm schließen sich dem Antrag vom 365. Verhandlungstag lediglich in Bezug auf die erste Beweistatsache an.] Götzl: „Sollen Stellungnahmen erfolgen? Keine? Wir kopieren es. Dann kämen wir im Anschluss zu Ihnen, Frau Schneiders.“

          Schneiders verliest einen Befangenheitsantrag gegen den gesamten Senat. Zunächst gibt sie aus Sicht der Verteidigung Wohlleben den prozessualen Sachverhalt, nämlich die Ablehnung der Beweisanträge hinsichtlich der Zeugen Luthard, Dressler etc. und hinsichtlich der Zeugin Stefanie Fö. [jeweils 366. Verhandlungstag]. Zur Begründung des Ablehnungsgesuchs sagt Schneiders zunächst, dass der Angeklagte Wohlleben wegen des Beratungsgeheimnisses nicht vortragen könne,
          ob alle abgelehnten Richter und wenn nicht, welche Senatsmitglieder die beiden Beschlüsse mitgetragen haben. Deshalb sei er berechtigt, alle Senatsmitglieder abzulehnen. Dann zitiert sie ausführlich aus dem Beschluss zur Ablehnung des Antrags auf Vernehmung der Zeugen Luthard, Dressler etc. Danach führt sie zur Begründung aus:

          Zunächst verkennen die abgelehnten Richter in dem Beschluss den Inhalt des SAO 220, 61, wonach KHK Wunderlich seit 1994 zur Zielfahndung des LKA Thüringen gehörte und seit 2000 deren Leiter war. In der Organisation gab es seinerzeit nur vier Zielfahnder. Die Zielfahndung LKA Thüringen hatte seit ihrem Bestehen 600 Fahndungsaufträge. Hiervon wurden nach Angaben des KHK Wunderlich alle gelöst – bis auf den Fall des Trios. In ihrem Beschluss führen die abgelehnten Richter keine tragfähigen Gründe an, weshalb die Zielfahnder gerade im Fall des Trios bei Kenntnis sämtlicher damals den Behörden vorliegender Informationen gerade diesen Zielfahndungsauftrag nicht zum Erfolg hätten führen können. Dies gilt insbesondere für die sogenannte Garagenliste und die vom Zeugen Kliem zurückgehaltenen Informationen. Kliems Angaben gegenüber Wunderlich ergeben sich aus den Protokollen des Sächsischen Untersuchungsausschusses, die den abgelehnten Richtern auch vorliegen.

          Kliem gab am 9.9.2013 dazu: „Er schlug damals auf und sagte: ‚Es gibt Hinweise, dass Herr Böhnhardt sich nach Chemnitz begeben konnte‘, und wollte von mir wissen, welche Partywohnungen es in Chemnitz an der Hans-Sachs-Straße gibt bzw. welche Wohnungen relevanter rechter Personen wir in dem Bereich haben. Wir haben einen Check gemacht: Wir hatten dort weder eine Partywohnung, noch haben wir eine relevante Wohnung gehabt.“ Bereits zu diesem Zeitpunkt war Mandy Struck polizeilich als Mitglied der rechten Szene bekannt. In der Nähe der Hans-Sachs-Straße befand sich die Wohnung der Mandy Struck. Dies verschwieg der Zeuge Kliem dem Zielfahnder Wunderlich. Die Angabe des Zeugen Kliem gegenüber dem Zielfahnder Wunderlich, dass keine Wohnung einer relevanten rechten Person an der Hans-Sachs-Straße bekannt sei, entsprach also nicht der Wahrheit. Zum selben Zeitpunkt befanden sich die Untergetauchten tatsächlich in Chemnitz, zunächst in der Wohnung des Zeugen Rothe und kurz darauf in der Wohnung des Freundes der Mandy Struck, des Max Florian Bu.

          Hinweise auf Thomas Starke, jetzt: Mü., wie sie aus der Garagenliste naheliegend waren, hätten direkt zu den Unterstützern der Untergetauchten in Chemnitz geführt. Starke hatte sich erfolgreich sowohl bei Rothe als auch bei Struck um das Unterkommen des Trios bemüht. Der Hinweis, den der Zeuge Wunderlich hatte, nämlich, dass sich Böhnhardt nach Chemnitz begeben konnte, war also zutreffend. Die Verneinung der Kausalität durch die abgelehnten Richter allein deshalb, weil die Ergreifung mit nur „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ erfolgt wäre und nicht zu 100 Prozent, erscheint als rein ergebnisorientierte Konstruktion und ist deshalb willkürlich. Das bei den Durchsuchungen in Jena 1998 aufgefundene Schreiben des Thorsten Schau an Uwe Mundlos enthielt Hinweise auf Chemnitz und den damaligen dortigen Leiter des Dezernats Staatsschutz Kliem. So wurde im Sächsischen UA dem Zeugen Kliem folgendes vorgehalten: „Stellvertretender Vorsitzender Klaus Bartl: In Thüringen spielt eine Rolle – das Dokument als solches haben wir noch nicht vorliegen; wir kümmern uns darum und würden das als Beweismittel gern einbringen – das Schreiben eines Thorsten Schau an Uwe Mundlos vom 07.12.1996. Darin heißt es: ‚Weiterhin gehen natürlich noch Grüße an den Chemnitzer Staatsschutz, insbesondere an Herrn M(eyer) und Herrn K(liem). Auch Eure Urteile warten.‘“

          Kliem berichtete dem Untersuchungsausschuss auch in Bezug auf Schau und andere Folgendes:
          „Alles in allem haben wir dann festgestellt: Unsere Verfahren, die wir gegen ‚Skinheads 88‘ getroffen hatten, griffen langsam auch vor den Gerichten. Wir haben damals zum Kern dieser Gruppe gezählt – neben Werner und Lasch –: Thomas Starke, Thorsten Schau, Markus
          [Fr.], Enrico [Sp.], Rocco [Du.] und Thomas [Wa.]. Das war der Kern. Da gab sicherlich ringsherum noch mehr Leute, aber das waren die, die eigentlich für uns immer relevant in irgendeiner Erscheinung waren, ob als Straftäter, ob als diejenigen, die als Wortführer auftraten.“ Die Informationen, die der Zeuge Kliem dem UA Sachsen gab, lagen 1998 zum Zeitpunkt des Besuches von Wunderlich bei ihm bereits vor. Das Verschweigen dieser für die Zielfahnder elementaren Informationen ließ diese heiße Spur erkalten. Anders als ein staatliches Verschulden der Nicht-Ergreifung des Trios kann dieses bewusste Verschweigen nicht bewertet werden. Zwar geht die Rechtsprechung hinsichtlich des Einflusses auf das Straf- und Schuldmaß lediglich davon aus, wenn staatliche Behörden Einfluss auf die Straftat als solches haben, doch muss in der Gesamtschau von den abgelehnten Richtern berücksichtigt werden, dass auch die Staatsanwaltschaft Gera ihren Beitrag zum Verbleib des Trios im Untergrund und damit eine Radikalisierung zu dieser Zeit gefördert hat.

          Die Eltern des Böhnhardt haben in ihrer Zeugenvernehmung berichtet, dass man sich um eine Selbststellung bemühte und auch RA Dr. Eisenecker dies versuchte. Doch gab der Zielfahnder Wunderlich gegenüber den Eltern des Böhnhardt an, dass bei Ergreifung durch die Polizei das Trio erschossen werden könnte. Dies war für eine Selbststellung nicht förderlich, ebenso wenig wie die Akteneinsichtsverweigerung durch die Staatsanwalt Gera gegenüber RA Eisenecker. Das kollektive Zusammenwirken der genannten Behörden musste die Haltung des Uwe Böhnhardt und des Uwe Mundlos, ihr „Leben verkackt” zu haben, geradezu bestärkt haben und drängt den Schluss auf, die späteren Taten befördert zu haben. Die abgelehnten Richter verkennen in ihrem Beschluss auch, dass die Verfolgungsbehörden im Rahmen des Legalitätsprinzips eine Pflicht zur Amtshilfe haben, insbesondere wenn es darum geht, auf der Flucht befindliche Tatverdächtige zu ergreifen. Und diese Möglichkeit bestand im Falle des Trios, wie darlegt, in besonders hohem Maße.

          Es darf vorausgesetzt werden, dass die abgelehnten Richter die vorliegenden Akten und damit auch die Protokolle aus den Untersuchungsausschüssen kennen. Würden diese hohen Anforderungen an einen Ergreifungserfolg z. B. bei der Prüfung zum Erlass eines Haftbefehls angesetzt werden, dürfte kein einziger Haftbefehl erlassen werden, da ein Ergreifen mit hundertprozentiger Sicherheit niemals sicher ist. Die Anforderungen, die die abgelehnten Richter an die Kausalität im vorliegenden Beschluss anlegen, sind derart überspannt, dass sie einem vernünftigen Angeklagten als willkürlich erscheinen müssen. Gerade die derzeitige Diskussion um ein staatliches Mitverschulden am Weihnachtsmarkt-Attentat im Fall Amri, wegen der unterbliebenen Festnahme trotz Vorliegens von Haftgründen wegen des dringenden Verdachts des gewerbsmäßigen Drogenhandels aufgrund der TKÜ-Erkenntnisse, lässt die Entscheidung der abgelehnten Richter im vorliegenden Fall für einen verständigen Angeklagten als willkürlich erscheinen.

          Den zweiten Teil des Befangenheitsantrags verliest Wohlleben-Verteidiger Nahrath. Auch er zitiert zunächst ausführlich aus dem Beschluss des Senats über den Antrag zur Zeugin Fö. Dann geht er zur konkreten Begründung des Befangenheitsantrags über: Die abgelehnten Richter zeigen mit dem Beschluss überdeutlich, dass sie sich hinsichtlich der Schuldfrage endgültig festgelegt haben. Weiter belegen die Gründe für einen verständigen Angeklagten unabweisbar, dass die abgelehnten Richter den Beweisantrag mit willkürlichen Erwägungen ablehnten. Bei dieser Sachlage hat Herr Wohlleben begründetes Misstrauen in die Unparteilichkeit der abgelehnten Richter.

          Zu Ziffer II, 2 c, iii (1) führen die abgelehnten Richter aus, dass wegen des zeitlichen Abstandes zwischen dem im Waffenhandelsbuch von Schläfli & Zbinden vermerkten Versandes der Waffe Ceska 83 mit der Seriennummer 034678 und der Reise von Werner, Mundlos und Böhnhardt in die Schweiz im April 1998 ein Anhaltspunkt dafür, dass Werner, Mundlos und Böhnhardt bei der Beschaffung der Tatwaffe Ceska 83 half, nicht vorläge. Mit keinem Wort setzen sich die abgelehnten Richter damit auseinander, dass der zeitliche Abstand zwischen dem Versand der Waffe durch Schläfli & Zbinden und dem Erwerb einer Schalldämpferwaffe durch den Mitangeklagten Schultze sogar vier Jahre, die doppelte Zeitspanne, liegen und alle angeblichen Zwischenglieder – Germann, Müller, Theile, Länger) bestritten haben, an der Weitergabe einer Schalldämpferwaffe beteiligt gewesen zu sein. Allein dies belegt für den Angeklagten Wohlleben unabweisbar und schlagend, dass die abgelehnten Richter nicht bereit sind, ihre bereits feste Überzeugung über den Weg der Tatwaffe Ceska 83 auch nur kritisch zu überprüfen. Dies kann der verständige Angeklagte Wohlleben nur so verstehen, als dass das Urteil für die abgelehnten Richter bereits endgültig zu seinen Lasten feststeht. Bemerkenswert ist, dass der Senat bis heute nicht ermittelt hat, wer den Eintrag im Waffenbuch über den angeblichen Versand der Tatwaffe Ceska 83 bei Schläfli & Zbinden vorgenommen hat.

          [Zb.] hat sich während der Ermittlungen wegen illegaler Waffengeschäfte nach Ecuador abgesetzt. Dies alles ist den abgelehnten Richtern keine Überlegung wert. Die seitens der Verteidigung dargestellte Waffenbeschaffung der Tatwaffe Ceska 83 ist hinsichtlich des Jan Werner weitaus naheliegender als der seitens der abgelehnten Richter behauptete und durch keinen Zeugen belegte Weg über das Madley in Jena. Im Gegenteil: Der Zeuge Andreas Schultz gab in seiner polizeilichen Vernehmung sogar an, dass die Schultze verschaffte Waffe möglicherweise sogar eine kyrillische Schrift aufwies, welches ein Ausschlusskriterium für die Tatwaffe Ceska 83 ist. Dies wurde durch die Vernehmungsbeamten bereits in die Hauptverhandlung eingeführt und durch die abgelehnten Richter konsequent ignoriert. Die Angeklagte Zschäpe führte in ihren Angaben aus, dass ihr Böhnhardt berichtet habe, Jan Werner habe eine Waffe für Böhnhardt und Mundlos beschafft, die nach ihrer Erinnerung einen Schalldämpfer hatte, wobei sie letzteres jedoch nicht mehr beschwören könne. Die Identifizierung der Tatwaffe als angeblich durch Schultze gelieferte Waffe durch den Angeklagten Schultze selbst war zum einen unsicher und zum anderen in methodischer Hinsicht mehr als zweifelhaft. Demgegenüber hat Herr Wohlleben ausgesagt, dass die ihm von Schultze gezeigte Waffe klobiger als die in der Hauptverhandlung in Augenschein genommene Ceska 83 gewesen sei. Auch sei der Schalldämpfer kürzer und dicker gewesen. Im Übrigen hat Schultze genau wie Herr Wohlleben angegeben, dass der Schalldämpfer schwerer oder genauso schwer wie die Waffe war. In der Hauptverhandlung wurde das Gegenteil durch die Aussage eines Augenscheinsgehilfen bewiesen, der sowohl die Ceska 83 als auch den dazugehörigen Schalldämpfer gewogen hatte.

          In Anbetracht dessen, dass die abgelehnten Richter selbst davon ausgehen, dass Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt noch weitere Waffenbezugsquellen hatten, ist für Herrn Wohlleben noch weniger nachvollziehbar, weshalb die Richter sich einer Vernehmung der benannten Zeugin Fö. verweigern. Schließlich ist Jan Werner Beschuldigter im sogenannten NSU-Komplex. Ein Richter, der nicht mehr bereit ist, seine bereits gewonnene Überzeugung zu überprüfen, ist kein unparteilicher Richter im Sinne des Gesetzes. Götzl: „18 Seiten, da machen wir eine halbe Stunde Pause bis 14:25 Uhr.“

          Um 14:28 Uhr geht es weiter. Götzl: „Es wird rechtliches Gehör zu den gestellten Befangenheitsgesuchen gegeben.“ Bundesanwalt Diemer: „Wir werden gegenüber dem zuständigen Spruchkörper Stellung nehmen.“ Götzl: „Sind noch Anträge oder Erklärungen? Nicht? Der morgige Termin entfällt. Wir setzen fort am Dienstag, 20.6., 9:30 Uhr.“ Der Verhandlungstag endet gegen 14:30 Uhr.

            Der Beitrag Protokoll 367. Verhandlungstag – 31. Mai 2017 erschien zuerst auf NSU Watch.

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